Gegen Eminem, The Strokes, Gwyneth Paltrow und Trump, für Finna, EA80 und Kaleo Sansaa: Die Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann die High- und Lowlights der Woche. Welcher Künstler, welche Serie, welche Drogenerfahrung lohnt sich (nicht) – und was war sonst noch so los? In der neuen Folge zur KW 07/2020 dreht sich alles um die esoterischen Umtriebe von Gwyneth Paltrow – sowie um die Frage: Was soll denn jetzt bitte auch noch an Eminem schlecht sein? Außerdem gibt die Rapperin Finna body shaming a bad name (bitte im Bon-Jovi-Singsang lesen). Die neue Popwoche ist da – und keiner kann was machen!
LOGBUCH: KALENDERWOCHE 07/2020
Seit Jahrzehnten ganz vorne für eine Band das Gesicht hinhalten? Das geht an den meisten nicht spurlos vorbei. Da mag es nicht verwundern, dass man hinter der Bühne nicht nur umgänglich ist. Apropos die ikonische Deutschpunk-Combo Slime. Deren Sänger Dirk Jora aka „Dicken“ steht nicht gerade im Ruch besonderer Verträglichkeit. Als ich den Talk zwischen Slime und der Band Akne Kid Joe (#Punkergenerationentreffen) moderiere, bin ich vor allem froh, dass er mir keine reingeschlagen hat. Das soll natürlich bl0ß eine erleichterte Feststellung sein. Kann einem ja nicht jeder Künstler Tee machen und Kissen bringen wie Mark Forster. Alles cool.
Der Talk zwischen Slime und AKJ übrigens im nächsten Musikexpress.
TWEET DER WOCHE: TRUMP VS. LARRY DAVID
https://twitter.com/i/status/1227040292060180481
Trump in a nutshell:
Seinfeld-Schöpfer Larry David (72), der seit mittlerweile 30 Jahren aussieht wie ein Sechzigjähriger, hat eine neue Staffel der Serie „Curb Your Enthusiasm“ draußen. Schön und gut.
In einer Szene werden Trump-Devotionalien genutzt, um Leute von sich fern zu halten. Larry David spielt ja eine äußerst soziopathische Rolle. Und wer wird schon von seinem Umfeld behelligt, wenn er sich mit einer „Make America Great Again“-Kappe schmückt?
Larry Davids Alter Ego schneidet nun auf der Straße versehentlich einen Motorradfahrer, der sich als unangenehmer Fiesling entpuppt. Doch als er die Kappe entdeckt, dreht sich die Stimmung, der Biker wird freundlich, lässt von seinem potenziellen Opfer ab.
Die Aussage der Folge: Trump-Wähler sind peinliche Würstchen, wer sich zu Trump bekennt, stößt Menschen ab. Trump selbst teilt dennoch auf Twitter die bloße Szene und suggeriert, hier handle es sich um eine Hommage an ihn.
Aus schlechten Nachrichten einfach gute machen: Wäre Trump irgendein Privatidiot, man wäre vermutlich beeindruckt von dieser Dreistigkeit. In der Position als amerikanischer Präsident allerdings mag es doch etwas befremden, wie beiläufig hier Manipulation und Unwahrheit als selbstverständliche Mittel eingesetzt werden. Hey, andere Politiker haben zumindest den Anstand, so etwas noch zu verbergen!
INTERVIEW DER WOCHE: FINNA
„One-Size ist keine Größe / Ich pass da nicht mal rein“
Die Hamburger Rapperin Finna hat sich in dem neuen Video „Overscheiß“ mit dem Thema Body Positivity auseinandergesetzt. Dieses Thema ist zwar gerade ein Trend, doch die Alltagsrealität fühlt sich immer noch gar nicht mal so positiv an für all jene, die durchs schmale Raster normschöner Körper fallen. Für diese Kolumne hat sie mir drei Fragen dazu beantwortet.
Finna, was hat dich motiviert oder gar provoziert diesen Song zu schreiben?
FINNA: Hauptgrund war eigentlich meine Wut im fetten Bauch darüber, dass Leute andauernd meinen Körper kommentiert haben. Genau wie die Erfahrung, dass gegenseitiges Empowerment in der queeren feministischen Fat-Positive-Bewegung einfach wahnsinnig geholfen hat, sich wieder in die Vielfältigkeit von Körpern zu verlieben.
Du zeigst dich ja selbst nackt. Hattest du Angst vor den Reaktionen oder war es ein einziger Selbstermächtigungs-Rausch?
FINNA: Ich hatte eher generell einfach Schiss, was zu releasen und vor den Reaktionen, wenn ich mich auf meine Art ausdrücke. Was das Thema und auch meine Nacktheit als fette Person im Video angeht, wollte ich das von Anfang an komplett so, wie es jetzt ist – und da waren mir Kommentare in Bezug auf meinen Körper ziemlich egal. Hatte eher Angst vor politischer Kritik, dass man im D.I.Y.-Kontext schwer die wirkliche Vielfältigkeit von Körpern zeigen konnte.
Wie geht es weiter bei dir?
FINNA: Ich bin jetzt auf meiner ersten eigenen Tour mit eigener Show, so richtig mit Bühnenbild, Crew und allem was dazu gehört. Danach sehe ich weiter.
Finna Live:
20.02. Berlin – Monarch (mit Babsi Tollwut)
21.02. Leipzig – WERK2-Kulturfabrik (mit Sir Mantis)
06.03. Düsseldorf – FFT (mit Fe*Male Treasure)
SERIE DER WOCHE: THE GOOP LAB
Der offizielle Trailer, den ich hier auch anhänge, lässt ganz leicht die Stimmung zu dieser neuen Netflix-Produktion ablesen: 2200 Likes auf 24.000 Dislikes.
Doch lasst mich anders beginnen. Als Gwyneth Paltrow seinerzeit von Chris Martins Coldplay verlassen wurde, waren meine Sympathien zumindest klar verteilt. Sie lagen natürlich bei ihr und daher konnte ich mir auch einigermaßen unvoreingenommen diese sechs Folgen New-Age-Gehubere mit Selbstversuchen ansehen. In einem übercleanen Setting, das mitunter an die dystopischen Szenarien aus „Black Mirror“ erinnert, werden Grenzerfahrungen dokumentiert – unterfüttert von reichlich Küchenpsychologie und moderater Esoterik. Paltrow als eine Art Günter Wallraff der Selbsterfahrungs- und Heilstein-Szene.
Beim meditativen Ausprobieren von psychedelischen Pilzen ist unsere Showrunnerin dann aber natürlich nicht dabei. Stattdessen sieht man Beteiligte weinen, eine Frau scheint eher retraumatisiert denn „geheilt“ zu werden von den Geistern ihrer Vergangenheit. Überhaupt wirken die präsentierten Versuche der Serie fahrig, fahrlässig, bestenfalls inszeniert. Es fehlt eindeutig an psychologischem Backup sowie an Seriosität bei den Mitteln und in den Themen.
Ein kleiner Skandal ist diese Serie mit scientologyhaften Aura und der kühlen, blonden Bienenkönigin Paltrow im Gegenschnitt also auf jeden Fall. Wer Bock hat, sich verstören oder triggern zu lassen: Na, herzlich willkommen zu diesem fragwürdigen Trash. Allen anderen rate ich eher ab.
EP DER WOCHE: KALEO SANSAA
Von Sambia in Ostafrika verschlug es Kaleo mit zehn Jahren nach Duisburg und heute lebt sie in Köln. Ihrer Musik hat sie dankenswerterweise selbst eine Definition verpasst: „Sun-Drunk Sound and Solar-Based Hip-Hop“. Klingt mollig warm, offen und hell, allerdings gefällt mir persönliche vor allem die gewisse Schwere, die auf den Stücken liegt. Nicht wie ein Mühlstein, eher wie so eine Therapiedecke, HipHop und Gospel-Anleihen fallen selten so schön in eins wie bei Kaleo Sansaa. Auf der jetzt erscheinenden EP „Paradise Not Lost“ finden sich vier Songs. Mein Tipp: Heute schon Fan werden, später von allen bewundert werden dafür.
VIDEO DER WOCHE: THE STROKES
Fast genau 20 Jahre, nachdem The Strokes mit „Is This It“ das Rockding der Stunde waren, steht nun eine neue Platte an. Was es indes nicht mehr wirklich gibt: Rock. Geschweige denn „das Rockding der Stunde“. Diese Leerstelle umfährt die Band dann cleverweise auch, denn die Auskopplung „At The Door“ liefert beatlosen Synthie-Pop mit kleinem Oktavbass-Boost und Autotune gegen Ende. So geschrieben passt das nicht wirklich zur dirty sexy Rock’n’Roll-Band, oder?
Nun, zu Gute halten muss man The Strokes, dass man sie auch in diesem Outfit sehr gut erkennt. Ich habe dennoch die Vermutung, mehrere Musiker waren bei den Aufnahmen nicht anwesend. Kurz am Auto oder zum Büdchen – und dann einfach nicht wiedergekommen, wozu noch der ganze Scheiß?
So verpassten sie diese Session hier der Marke Pink Floyd im Endstadium, die sich episch aufbaut, ohne eine Entladung zu finden oder irgendwohin zu führen. Ein Song, zu dem im Club das Licht angeht. Wenn dieses ereignisarme Stück das Stärkste ist, was die Band im neuen Jahrzehnt anzubieten hat, dann Gute Nacht um fünf.
Doch jede Story besitzt zwei Seiten, das möchte ich nicht verschweigen – und so kommentiert zumindest der geschätzte Kollege André Bosse in eine Strokes-Abgesang-Diskussion einen anderen Blickwinkel rein:
„Ich finde das total super, und wer unbedingt will, dass mehr passiert, schaut halt Nachrichten.“
JAOK, hört doch selbst:
LINK DER WOCHE: DU DA IM RADIO (EA80)
Letztens besuchte ich das Konzert von EA80 im Café Exzess in Frankfurt, Vorgruppe waren Klotzs aus Siegen. Schon auf dem Weg dorthin mansplainte ich meine Begleitung voll, wie unkommerziell EA80 seien und dass sie niemals Zugaben gäben. Das Wiedererscheinen auf der Bühne würden sie als lächerliches Rock-Ritual ablehnen.
Umso größer unser Erstaunen daher am Ende des Sets, als wir – bereits mit Jacken an – von einem Zugabenblock überrascht wurden (das Einfordern dessen empfand ich kurz davor noch als hochnotpeinlich für alle Klatscher). Oops! EA80 geben mittlerweile also Zugaben? Wie lange war ich denn nicht mehr bei der immerhin seit 1979 aktiven Düsterpunkband? Und überhaupt, ist das nicht schon Sellout?
Nein, da sich ansonsten nichts, rein gar nichts verändert hat, darf man EA80 getrost weiterhin für eine der unbestechlichsten Bands überhaupt halten. Ein aktuelles Radio-Feature von Benjamin Moldenhauer wirft diese Woche ein bisschen Licht auf die fast obszön stoische Gruppe aus Mönchengladbach. Inklusive O-Ton von dem höflichen Deutschpunk-Granden Jan Müller #Tocotronic. Gern gehört.
MEME DER WOCHE
DER VERHASSTE KLASSIKER: „EMINEMS „THE MARSHALL MATHERS“-LP IST SCHLECHTER GEALTERT ALS DIE ALBEN VON DER WOLF UND CAPPUCCINO“
Eminem
„The Marshall Mathers LP“
VÖ 23.05.2000
Dass es gerade in Deutschland für den Siegeszug von HipHop im Mainstream einen blonden Typ gebraucht hat – geschenkt! Ich meine, Eminem selbst hatte es auch nicht leicht damals!!!11 Das wissen wir ja wohl alle seit „8 Mile“ – und dass oft letztlich die wahren Opfer von Diskriminierung Weiße sind, wissen wir spätestens seit der AfD.
Also, was hat Eminem nicht alles für die Popkultur getan? Seine Kunst und vor allem diese Platte hier etablierte Schimpfworte wie „Faggot“ auch auf den hiesigen Pausenhöfen. Die ganze LGTBQI*-Community schätzt sich bis heute glücklich, dass Marshall Mathers a.k.a. Eminem aus den Ressentiments gegenüber ihr seine Weltkarriere gebastelt hat. Ich sage mal so: Da sind andere sind schon für weniger in der Hölle gelandet, Alter! Aber Rap-Texte sind ja per se unangreifbar – und meinen zur Not eh immer das Gegenteil, jaja.
Doch ich möchte ohnehin auf etwas ganz anderes hinaus. Und zwar: Was für ein Tagesgeschäft der fluide HipHop gerade im Sound ist, kann man sehr gut an der „The Marshall Mathers LP“ hören. Die Platte klingt heute nämlich nicht ehrfurchtgebietend Old School, sondern komplett abgehängt – quasi an der Schwelle zur Sound-Satire.
Dagegen sind die Alben von Cappuccino, Der Wolf oder den Massiven Tönen noch besser gealtert. Was natürlich nicht darüber hinweg täuschen soll, dass der Eminem-Song „Stan“, dieses melodramatische Kitsch-Duett mit Dido, auch damals schon eine einzige Zumutung darstellte – und später eine Art Blaupause lieferte für unheilige Charts-Allianzen wie, sagen wir mal, Revolverheld und Martha Dingsda von Die Happy.
Mein Fazit: Wer heute noch an der „The Marshall Mathers LP“ und Eminem festhält, kann gleich auch Jan Delay den Wagen waschen, denn dann ist eh schon alles egal.
– Linus Volkmann („Musikjournalist“)
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von (Julia Lorenz und) Linus Volkmann im Überblick.