Endlich: Dein Radio liebt dich
Das lernfähige Internetradio Pandora ist eine der besten Web-Erfindungen der letzten Jahre.
Wir überspringen die obligatorische Einleitung über den traurigen Zustand der flurbereinigten Radiolandschaft in Deutschland und kommen gleich zu den wichtigen Dingen: Pandora. 400.000 Songs von über 20.000 Künstlern und ein System, das Internetradio revolutioniert. Die Fakten klingen zunächst wenig vielversprechend, vielleicht sogar besorgniserregend: Im Hintergrund der Seite www.pandora.com arbeiten Angestelke, die mit großen Kopfhörern an langen Reihen von Computer-Terminals sitzen. Die „Music Analysts“ kaufen CDs, wandeln sie in MP3-Dateien um und arbeiten dann Tag und Nacht daran, den „genetischen Code“ von Songs aus allen Genres (mit Ausnahme von Klassik und „Weltmusik“) zu knacken.
Pro Titel werden bis zu 400 Kategorien ausgefüllt- gibt es „Handclaps“? Enthält der Song ein Orgel-Solo? Ist der Aufbau klassisch? Welche Erzählstruktur hat der Text? usw. -, damit man dem Hörer eines Tages den perfekten Mix auf den Leib schneidern kann. Was sich auf dem Papier nach konventioneller Formatradio-Marktforschung mit anderen Mittelnanhört, ist in Wahrheit ein innovatives Projekt, das verblüffend gut funktioniert. „Gene machen einen Menschen groß oder klein, schwarz oder weiß, schnell oder langsam, lassen ihn Sommersprossen haben oder nicht“, sagt Tim Westergren, der Gründer des „Music Genome Projects“. „Gene sind wie Bausteine – wir glauben, dass das bei Musik ähnlich funktioniert.“
Das „Music Genome Project“, das Westergren 1999 gründete, basiert auf einer einfachen Idee: Legt man eine Datenbank mit hunderttausenden von Songs an, in der Titel, die einem gefallen, mit anderen, strukturell ähnlichen Stücken gruppiert werden können, hat man den ultimativen Musik-Empfehlungs-Service geschaffen – gut für Jäger und Sammler, gut aber auch für die Musikindustrie.
Gibt man als Benutzer bei Pandora beispielsweise „Bob Dylan“ ein, startet ein Stream mit dem „Alternate Take“ von „It’s All Over Now, Baby Blue“, gefolgt von einem ausgezeichneten Song von John Prines Album SOUVENIRS. Danach kommen die Go-Betweens, „You Are My Sunshine“ von Johnny Cash und „Poor Boy“ von Dylans großem Vorbild Woody Guthrie. Später taucht der Meister selbst wieder mit einer raren Version von „Tangled Up In Blue“ auf.
Pandora besteht Tests in allen Genres: Ein „Programm“ mit der Vorgabe „Ice Cube“ erfreut mit anspruchsvollerem Old-School-Hip-Hop von Dr. Dre, Snoop Dogg und anderen; der Sender „Beach Boys“ startet mit „That’s Not Me“ von pet Sounds, führt über The Bands „Tears Of Rage“ aus music from the big pink, The Kinks‘ „Stop Your Sobbing“ und einen fantastischen Titel der legendären The Nazz (der vielleicht ersten anglophilen US-Band überhaupt) zur kommerziell gescheiterten „Supergroup“ The Millennium, die 1968 in Kalifornien progressive Psychedelia aufgenommen hat. Die Trackauswahl ist erstklassig, die Mischung spannend und abwechslungsreich.
Interaktivität ist eines der Geheimnisse von Pandora. Stört in einem „Mates Of State“-Stream mit Heather Duby, Low, Pretty Girls Make Graves und der Indie-Wunderkindband Smoosh ein nerviger Titel von den Kaiser Chiefs, kann man ihn per Mausclick auf ein „Daumen runter“-Symbol abschießen. „Sorry aboutthat“, entschuldigt sich Pandora dann höflich. „Wir probieren ’s mitwas anderem und spielen diesen Song nie wieder auf diesem Sender.“
Selbst Menschen, die allergisch auf „Das könnte dir gefallen“-Empfehlungen reagieren, werden überrascht sein – Pandora hat eine erstaunlich hohe Trefferquote. Die knapp 40 „Music Analysts“, die fast alle selbst Musiker sind, wählen nach musikwissenschaftlichen, nicht aber nach kommerziellen Gesichtspunkten aus. Vom Benutzer geliebte Songs und Künstler werden so zum Einstieg für neue Musik. “ Unsere Lizenz erlaubt uns nicht, sofort ,on demand’Wunschtitel zu spielen. Und wir liefern nur drei oder vier Songs von einem Künstler in einergewissen Zeitspanne-du bekommst nicht Coldplay nach Coldplay nach Coldplay „, erklärt Pandoras CEO Joe Kennedy. „Unser Service läuft so: Ja, du magst Coldplay, aber wir werden dir auch fünf andere Künstlervorstellen, die einen großartigen Sound haben und im gleichen musikalischen Universum beheimatet sind.“
Pandora, das derzeit beeindruckendste Katalogisierungsprojekt der Unterhaltungsmusik, streamt Songs mit 128 Kbit pro Sekunde über den Webbrowser. Der Service ist kostenlos, die schlicht gestaltete Seite enthält aber Werbebanner. Zu vielen Songs erscheint das Cover des zugehörigen Albums, und zu den meisten Künstlern kann eine Biografie mit Foto aufgerufen werden. Links führen zu Amazon.com und dem iTunes-Musicstore.