Er gilt als einer der größten Songschreiber aller Zeiten und als schwieriger Charakter. In Kürze kommt Brian Wilson auf Tour.
Ein großer Moment in der Popgeschichte. Diese 23 Sekunden am Anfang von „Good Vibrations“. Die ersten vier Zeilen des Songs, bevor die bittersüße Melancholie der Worte („I Iove the colorful clothes she wears / And the way the sunlight plays upon her hair / I hear the sound of a gentle word / On the wind that lifts her perfume through the air“) übergeht in die sonnige Euphorie des Refrains. Das war die Handschrift von Brian Wilson. Nicht zuletzt mit dieser Beach Boys-Single begründete er seinen Ruf als einer der größten Songschreiber des zwanzigsten Jahrhunderts. Das war im Jahr 1966. Bereits zwei lahre vorher hatte sich Wilson nach diversen Nervenzusammenbrüchen als aktives Mitglied der Beach Boys vom Tourleben verabschiedet, blieb der Band allerdings als Komponist, Arrangeur und Produzent erhalten. Womit bereits die beiden einzigen Konstanten in Wilsons Leben genannt wurden: seine labile psychische Verfassung und die Beach Boys, oder besser: die Musik, die er für die Beach Boys geschrieben hat.
Gründe für Wilsons psychische Labilität kann man genug finden. Sein Vater Murray Wilson ist einer davon. Der war als erster Manager in den Anfangstagen der Band nicht unbedingt nett zu seinen Schützlingen. „Als die Beach Boys angefangen hatten, war mein Daddy sehr gemein zu uns“, erinnert sich Wilson. „Er hat uns die ganze Zeit angeschrien. Das hat uns richtig Angst eingejagt.“ Ende der sechziger Jahre war Wilson senior dann noch eine Spur gemeiner. Damals verkaufte er die Rechte an den Beach Boys-Songs für einen Apfel und ein Ei. „Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hab mich richtig mies dabei gefühlt. Mein Vater wollte aus dem Geschäft aussteigen. Und deshalb hat er die Songrechte einfach verhökert.“
Oder Wilsons manischer Perfektionismus, die permanenten Selbstzweifel an seinen kreativen Fähigkeiten, die dazu führten, dass sich die Aufnahmen zu „Good Vibrations“ sechs Monate lang hinzogen und den Song zur bis dato teuersten Single werden ließen. „Wir haben eben so lange an ‚Good Vibrations gearbeitet, bis uns der Song gefallen hat. Aber ich liebe das, was letztlich dabei herausgekommen ist.“ Oder das legendäre, nie veröffentlichte „Smile“-Album, das von Leuten, die es gehört haben, als Meisterwerk bezeichnet wird. Ein Meisterwerk? Wilson wiegelt ab: „Wir waren damals mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Die Musik hat einfach nicht gepasst. Keiner von uns hat das Album gemocht. Wir waren damals alle auf Drogen, als wir es aufnahmen.“
Stichwort: Drogen. Wilsons exzessiver Rauschgiftkonsum führte dazu, dass er phasenweise nicht mehr sein Haus verließ, ganze Tage im Bett verbrachte und sich in den siebziger und achtziger Jahren mit einer Reihe von falschen Freunden umgab, die sich nicht unbedingt positiv auf das Selbstbestimmungsrecht des Künstlers Wilsons auswirkten. Wie etwa der Prominenten-Psychiater Dr. Eugene Landy. Dem war es zwar gelungen, seinen Patienten Ende der achtziger lahre in einen einigermaßen stabilen seelischen Zustand zu versetzen, ihn von seiner Drogen- und Fresssucht zu befreien und ihn wieder in ein Plattenstudio zu bringen. Auf der anderen Seite haue Landy Wilsons Leben dermaßen unter Kontrolle, dass ihm schließlich per Gerichtsbeschluss der Umgang mit Wilson untersagt wurde. Der allerdings will heute davon nichts mehr wissen. „Ich denke über diese Zeit nicht mehr so viel nach“, sagt er. Und das ist vielleicht auch besser so.
Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die Brian Wilsons Leben in die Hand nehmen, ihn lenken und für ihn die Denkarbeit übernehmen. Zurzeit sind das seine Frau und sein Manager. Die verkünden dann alle paar Jahre triumphal die Rückkehr des Brian Wilson. Zuletzt 1999, als der einst von starkem Lampenfieber Geplagte seine Ängste besiegt zu haben schien und zum ersten Mal seit Jahren wieder auf Tournee ging. Seither tritt er regelmäßig öffentlich auf. Jetzt, im Januar, sogar zum ersten Mal in Deutschland.
Brian Wilson ist wieder da. Auf der Bühne zumindest. Aber es darf bezweifelt werden, dass er mittlerweile im Leben angekommen ist. Im Gespräch macht Wilson einen abwesenden Eindruck, hat mitunter leichte Wortfindungschwierigkeiten, ist äußerst kurz angebunden und antwortet nicht selten mit Allgemeinplätzen, die er aufsagt wie ein Schüler ein auswendig gelerntes Gedicht. Wie zum Beispiel bei der „Abfrage“ zum Meilenstein-Album „Pet Sounds“, das nicht nur die Beach Boys, sondern die gesamte Popmusik aus den Fesseln der Naivität befreite. Alles, was der geniale Songschreiber dazu zu sagen hat: „Ich hatte so viel Liebe in meinem Herzen, und ich wollte diese Liebe an die Menschen weitergeben. Wir haben ‚Pet Sounds‘ für Leute aufgenommen, die Liebe gebraucht haben.“ Aber was hat den Wechsel vom einfach strukturierten Surfsound zu den komplexen Arrangements bewirkt, woher kam die Inspiration? „Von Phil Spector. Er ist einer meiner größten Helden.“ Und: „Ich glaube, die Leute haben ‚Pet Sounds‘ deshalb gemocht, weil es so gut aufgenommen war.“ Ach so. Nach all den Jahren, dem ständigen persönlichen Auf und Ab, der Paranoia, den Drogen, den schlechten Einflüssen – was würde er rückgängig machen, wenn er könnte? „Ich habe nichts zu bedauern“, sagt Brian Wilson und lacht dabei. Zum ersten Mal.
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