5 High- und Lowlights beim Eurosonic Showcase Festival 2016


Europas musikalisches Schaufenster: Zum 30. Mal versammelte sich sich die Musikindustrie in der niederländischen Universitätsstadt Groningen um zu diskutieren, präsentieren und feiern. Wir waren vor Ort und fassen die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Die größte Überraschung

Gut 300 Acts auf über 40 Locations verteilt: Da ist Organisationstalent gefragt – besonders, wenn man die Überschneidungen unter seinen Must-Sees so gering wie möglich halten möchte. Schon am frühen Donnerstagabend wird der persönliche Timetable über den Haufen geworfen. Auf dem Weg zur norwegischen Pop-Sensation Aurora hört man von einer jungen Musikerin, die in die gleiche Kerbe wie die junge Skandinavierin schlägt, aber dafür nicht im hässlichen Mehrzweckzelt Damsterstage spielt: Alice On The Roof. Die zierliche, blonde Belgierin betört in der Musikschule Vrijdag mit zurückgenommenem, elektrifiziertem Pop und ihrem zuckersüßen Auftreten.

Der katastrophalste Auftritt

Gibt es für Konzertgänger etwas Schlimmeres als herauszufinden, dass die Band, die man auf Platte so wahnsinnig faszinierend findet, live eine völlige Katastrophe ist? Wohl kaum. So geschehen im Vera, der geschichtsträchtigsten Konzerthalle Groningens. Dort, wo schon Nirvana und Joy Division auf der Bühne standen, blamieren sich die vier Schwedinnen von Dolores Haze bis auf die Knochen. Schon nach dem ersten Song steht man mit offenem Mund in der mit gut 1500 Leuten rappelvollen Halle und fragt sich, ob die jungen Frauen sich erst zum zweiten Mal ihre Instrumente umgeschnallt haben. Ein völlig unterirdisches Geschrammel, dem völliges Rhythmusverständnis fehlt. Nach dem zweiten Track ist die Halle schon lichter geworden, nicht einmal die Hälfte des vorher gespannt wartenden Publikum möchte sich das länger freiwillig antun. Während man sein Bier in der Schneise zwischen Eingangshalle und Konzertraum trinkt (in den Niederlanden herrscht strengstes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit) weist man die in die Halle kommenden Leute darauf hin, was sie da drin erwartet. Ein junges Pärchen antwortet, man werde sich trotz des nett gemeinten Ratschlages auf Dolores Haze zu verzichten doch selbst einen Eindruck machen. Zwei Minuten später kommt dieses Pärchen lachend aus dem nun vielleicht noch mit 300 Personen gefüllten Vera und hat für Dolores Haze nur ein Kommentar für uns auf den Lippen: „They’re aweful!“

Das schweißtreibendste Konzert

John Coffey sind spätestens seit dem Video, in dem ihr Sänger auf den Händen des Publikums stehend ein nach ihm geworfenen Bierbecher einhändig fängt und den Inhalt ext, jedem Rock-Fan ein Begriff. Dass ihr Konzert laut und wüst werden könnte, war bekannt – besonders, wenn sie im winzigen Lola auftreten. Im mit Goldstuck und Ballhaus-Flair begeisternden Laden drängen sich schon eine halbe Stunde vor Beginn gut 200 glückliche Gesichter. Die Luft ist aufgeheizt, als die aus Utrecht stammende Band auf die Bühne kommt und mit einem brutalen Hardcore-Punk-Kickstart den Pogo anstimmt. Das Bier fließt in Strömen, Sänger David Achter de Molen dreht nicht nur einmal eine Runde durch das Publikum und irgendein Irrer verteilt auch noch Hackbällchen auf einem Silbertablett. Das Lola mutiert für die nächsten 30 Minuten zu einem Irrenhaus. Der Schweiß läuft von geschafften Leibern, das Kondenswasser tropft von der Decke. Was für ein Kontrastprogramm zum Line-Up dominierenden (Dream)-Pop/Rock.

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Das tanzwütigste Publikum

Guts aus Frankreich bespielen als letzter Act die Minerva Art Academy. Die Besucher, die den Weg in den südlichen Zipfel der Groninger Altstadt gefunden haben, sehen geschafft aus. Man sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, lehnt sich an das Geländer und nippt am kühlen Bier. Kaum vorstellbar, dass hier noch einmal exzessiv das Tanzbein geschwungen wird. Doch der Hybrid aus Funk, Soul und Hip-Hop setzt in jedem Anwesenden nicht da zu glaubende Kräfte frei. 40 Minuten lang wackelt wirklich jeder, egal, ob einfacher Besucher, Akkreditierter oder Crew-Mitglied, mit seinen Hüften, Beinen und womit man sich sonst so bewegen kann. Noch Minuten nach dem letzten Song steht das euphorisierte Publikum vor der Bühne und schreit sich die Seele für einen weiteren Song aus dem Leib. Leider vergeblich – die örtlichen Bestimmungen müssen eingehalten werden.

Das beste Konzert

Es ist natürlich schwierig eine solche Aussage zu treffen, aber Leyya aus Österreich haben sich die Krone für das beste Konzert verdient. Im Kulturzentrum der Groninger Studenten, USVA, spielt das live zu einem Quartett aufgestockte Duo hypnotisierenden, experimentellen Electronika, der besonders durch die shoegazige Gitarre an Tiefe und Dynamik live dazu gewinnt. Dieser Act hätte es verdient in einer größeren Location untergebracht zu werden. So freut man sich jedoch mit gerade einmal 50 weiteren Besuchern vor der schwummrig beleuchteten Bühne zu stehen und sich zu fragen: Wie kann man bloß so wunderschöne Musik machen?