Fehlfarben – Funk Für Fortgeschrittene


Mit ihrem Titel "Es Geht Voran" lieferten sie das Motto für das neue Selbstbewußtsein der deutschen Rockmusik. Mit den Fehlfarben selbst aber ging es zunächst einmal nicht voran, sondern bergab. Nach Umbesetzungen und Neubeginn scheint die Gruppe heute stärker denn je. Nicht ohne Grund belegten sie mit ihrer neuen LP GLUT UND ASCHE Platz 1 der "MÜV"-Kritikertips in diesem Monat.

Die Fehlfarben werden vielerorts als die eigentlichen Väter dessen angesehen, was uns in den letzten Jahren als „Neue Deutsche Welle“ überrollte: „Es Geht Voran“ (eigentlich: „Ein Jahr [es geht voran]“) wurde zur Hymne der ersten großen NDW-Generation, zeitlich einzuordnen zwischen den experimentellen Anfängen in Punk/Underground und dem – späteren Schlager-Revival.

Für die Fehlfarben war dies ein verdienter und auch logischer Erfolg: Als ihr Album MONARCHIE UND ALLTAG im Spätsommer 1980 in den Kölner EMI-Studios entstand, schöpfte die Band aus den Erfahrungen diverser Vorläufer-Bands, ihrerseits Pioniere der westdeutschen Neutöner-Szene: Da gab es die legendäre Band Mittagspause, in der Sänger Peter Hein und Gitarrist Thomas Schwebel gewirkt hatten; Bassist Michael Kemner hatte bei DAF (damals noch ein Quintett) mitgemacht, und Saxophonist Frank Fenstermacher blieb, trotz seines Mitwirkens bei den Fehlfarben, den spontan-dilettantischen Ambitionen von Der Plan treu.

„Es Geht Voran“ war für die Fehlfarben und die ersten stürmischen Töne der neuen deutschen Musik aber nicht nur der Höhepunkt, sondern auch Endpunkt eines Entwicklungsabschnitts. Peter Hein, als „Janie Jones“ schon zu Mittagspause-Zeiten die Galionsfigur der Düsseldorfer Punk-Szene, verließ die Gruppe nach der ersten LP, um bei der ersten Krupps-Formation Stahlteile zu klopfen. Für viele waren „Es Geht Voran“ bzw. die Fehlfarben unlösbar mit Hein und seiner ausdrucksstarken Performance verbunden. Gerade hatte man in ihnen die möglichen deutschen Rolling Stones gesehen, da wagte es die Band, den Verlust ihres Jaggers einfach so hinzunehmen und sich nicht schicksalsfromm in die Auflösung zu flüchten.

Thomas Schwebel, Michael Kemner und Drummer Uwe Bauer holten den Gitarristen Uwe Jahnke von der befreundeten Gruppe S.Y.P.H. zu den Fehlfarben, und im Sommer ’81, „Es Geht Voran“ war immer noch in aller Munde, entstand bereits die zweite Fehlfarben-LP.

33 TAGE IN KETTEN war für die eher konservative NDW-Kritik ein gefundenes Fressen, fehlte doch der noch von früher so geliebte Geist der Rebellion. Besonders Thomas Schwebels eher zurückhaltender Gesang deutete einen Stilwandel bei den Fehlfarben an, doch stammte noch gut die Hälfte des Materials aus der Zeit mit Peter Hein. 33 TAGE war so eine Platte, die zwischen Vergangenheit und Zukunft der Fehlfarben stand.

Die Texte – größtenteils von Schwebel – verloren die frühere Einfachheit, wurden nachdenklicher, abgehobener, nicht so leicht zu identifizieren. Musikalisch gingen die Fehlfarben weg von den Stones, hm zu Chic. Doch war diese Schwäche für gut gemachten Mainstream-Disco durchaus schon früher vorhanden. Thomas Schwebel heute über „Es Geht Voran“.

„Viele Leute kennen Chic überhaupt nicht, besonders die, die ,Es Geht Voran‘ super toll finden und auf Demonstrationen mitsingen. Den Chic-Einfluß bemerken die gar nicht. .. dabei war die Gitarre ein ganz krasses Rip-Off.“

In diesen Tagen erscheint GLUT UND ASCHE, die dritte Fehlfarben-LP Das Ende einer einjährigen Plattenpause, die nur durch die „14-Tage“-Single und -Maxi kurz unterbrochen wurde. Einige Auftritte in neuer Besetzung, dann wieder personelle Probleme, die schließlich mit Michael Kemners Ausstieg ihr Ende finden.

Thomas Schwebel beschreibt die Entwicklung der Fehlfarben als ein ständiges Hin und Her um den Ausstieg verschiedener Mitglieder und freut sich, daß diese Querelen nun erst mal ein Ende gefunden haben:

„Es ist endlich Ruhe in der Band, Ruhe, um mal wieder Luft zu holen. Das war auch keine normale Entwicklung, …nach der ersten LP kam nur noch Krampf, Druck und, ich steig‘ aus, ich steig‘ nicht aus‘, jetzt hatten wir wieder mehr Zeit, auch mal über die Musik nachzudenken.“

In der Tat ist es GLUT UND ASCHE anzumerken, daß mit Sorgfalt und Überlegung produziert wurde. Schwebeis Lieblingsmusik, Soul (besonders: Chic’s TAKE IT OFF) und englischer Pop (besonders: Elvis Costellos IMPERIAL BEDROOM, auch ABC, Dexys), hinterläßt ihre Spuren. Eine Ähnlichkeit zu MONARCHIE UND ALLTAG ist nicht mehr festzustellen, dafür gibt es die bisher reifste Fehlfarben-Platte. Schwebel: „Wir spielen jetzt ohne permanenten Bassisten und sind auch nicht mehi die Rock-’n‘-Roll-Gruppe in dem Sinne, daß wir Proberäume haben und unsere Stücke im Studio dann nur noch schnell runterspielen. Viele Gitarren-Themen entstehen bei jemandem zu Hause, werden im Studio aufgenommen, und der Rest kommt dann stückweise hinzu. „

Welche verschiedenen Einflüsse kommen denn im neuen Konzept zusammen?

„Die Texte sind von mir, die Musik entsteht heute mehr zusammen als auf den früheren Platten. Unsere Ideen decken sich auch. Wir sind uns einig, wie es auf der Platte klingen soll. Wir arbeiten mehr zusammen, und die Einflüsse sind gleich verteilt.“

Welche Vorlieben haben deine beiden Kollegen?

„Deckt sich eigentlich auch. Uwe Jahnke mag wie ich Soul, aber auch Mainstream wie Steely Dan, Stones, Shalamar… Bei ihm wechselt das auch sehr, er hat schon die verschiedensten Sachen gehört und achtet immer auf die Gitarre, was ich nie mache. Der Uwe Bauer hört außerdem gerne experimentelle Sachen, Avantgarde und so…“

Ihr legt offensichtlich besonderen Wert auf eine exzellente Produktion.

„Wenn’s gut arrangiert ist… ABC ist wohl das krasseste Beispiel, das ist mir schon ein bißchen zuviel, aber es paßt zu den Stücken…“

Auf eurer neuen LP habt ihr eigens einen Arrangeur engagiert. ..

„Ja, den Mattias Keul. Er hat die Arrangements in Noten aufgeschrieben, aber die Ideen sind zum größten Teil von uns, nur können wir keine Noten schreiben, und die Streicher zum Beispiel brauchen Noten. Wir haben ihm die Ideen vorgesungen oder auf dem Klavier vorgespielt, dann hat er sie bearbeitet, ein paar eigene Sachen eingebracht, die uns wieder vorgespielt und so weiter.“

…und eine ganze Reihe Gastmusiker.

“ Teilweise Leute, die wir aus Düsseldorf und Köln kennen, teilweise Leute … naja, das Streichquartett etwa, das der Mattias kannte.“

Habt ihr lange an der Platte gearbeitet? 1982 hat man sonst ja nicht viel von euch gehört.

“ Vom Oktober bis Anfang Dezember, mit Pausen. Das war länger, als wir gedacht hatten, aber nicht verkrampft.“

Die Texte der Fehlfarben, also Thomas Schwebels Texte, mögen auf den ersten Blick gar nicht zu ihren musikalischen Vorlieben passen. Keine gewaltsamen Eindeutschungen von „groove“ oder „bring your body to the party“ (wie bei Peter Hein/Xao Seffcheques Funk-Versuchen mit Family Five), eher Alltags-Situationen besonderer Art. Doch steht Schwebel als Texter weit außerhalb des Trubels, gibt Situationen meist abstrakt, oft ins Absurde überzeichnet wieder und benutzt gerne verwirrende, lyrische Bilder. Ist Thomas Schwebel ein nachdenklicher Mensch?

„Hm, das kann man wohl sagen.“

Wie siehst du dich denn als Texter und auch Sänger einer Band, die von Chic beeinflußt ist?

„Es hindert einen ja nicht daran, Texte zu machen, die nicht unbedingt Mainstream sind. Gerade die Verbindung macht es dann wieder interessant. Manche Sachen sind aber auch durchaus Mainstream, ,Tag und Nacht‘ ist zum Beispiel ein ganz normales Liebeslied. „

Du hast aber auch oft diesen analytischen Unterton, der mir z. B. bei „Die Wilde Dreizehn“ gut gefallen hat.

„Mir gefällt TAKE IT OFF deshalb am besten von Chic, weil da Good-Times-Rhythmen drauf sind und gleichzeitig ein analytisches Ding mit, Reagan ’s on your back‘.“

Der Text von „Es Geht Voran“ ist dagegen eine Sammlung von Schlagwörtern. War der auch von dir?

„Der Text war von allen. Janie brachte die erste Strophe, den Rest haben wir im Studio gemacht. .. aber dafür schäme ich mich eigentlich heute.“

Du schämst dich?

„Ja, ich find‘ den Text doof. Fanden wir eigentlich alle damals… Diese, Graue B-Film-Helden‘-Zeüe ist zum Beispiel total übel. Wenn man jemanden nur wegen seiner Vergangenheit als B-Film-Held abqualifiziert, dann finde ich das übel Auch, daß die Kritik der Linken ausschließlich auf Reagens Cowboy-Rollen abzielt – er hat doch auch andere i Rollen gespielt.“

Wahrscheinlich hat ihm die Cowboy-Rolle am besten gelegen…

„Mag sein, aber so ein Schauspieler oder ein Erdnußbauer wie Carter ist mir doch lieber als solche Berufs-Politologen mit Geld wie die Kennedys.. .“

Apropos Geld 1982, im Jahre des groben NDW-Booms, verzichteten die Fehlfarben großzügig auf eine Beteiligung am großen Goldrausch, „Wir hatten einfach keinen Bock, uns in den ganzen Zauber reinzustürzen. Mir war schon Anfang des Jahres klar: Nach diesem Sommer kommt der große Einbruch… war interessant, das zu beobachten, viel interessanter als daran teilzunehmen.“

„Die Gefahr bei einem Boom ist, daß man selbst ,out‘ ist, wenn der Boom wieder vorbei ist.. .“

Du hältst die neue deutsche Musik für eine Mode?

„Nein, nicht die neue deutsche Musik, sondern die neue deutsche Welle! Das. was der Öffentlichkeit unter diesem Namen verkauft wird Die neue deutsche Musik wird es immer geben, nachdem sie sich jetzt etabliert hat.

Ich sehe uns einfach nicht auf demselben Level wie Hubert Kah oder so. Die Musik sagt mir auch nichts… ich kann da wirklich nichts zu sagen, mir fällt dazu nichts ein… Interessanter ist es schon, was mit einer Gruppe wie Ideal passiert.“

Ideal sind ähnlich lange dabei wie ihr. Die haben schon Tradition und Eigenleben.

Ja, Ideal haben ihren eigenen Stil etabliert. Ob man ihn nun gut findet oder nicht. „

Glaubst du, daß sich in Deutschland eine beständige Musikszene um Gruppen wie euch oder Ideal etablieren wird?

„Die Situation im Augenblick hier bei uns ist so wie m England um 78/79 rum. Erst ein Boom mit 1000 neuen Gruppen, dann verschwinden die meisten wieder und einige wenige bleiben. So The Clash, Siouxsie & The Banshees, lange Zeit auch The Jam. Die verkaufen mal mehr, mal weniger, aber sie sind da. Man kann sie nicht mehr wegreden. „

Und jemand wie Captain Sensible hat plötzlich einen Hit und zieht dabei im Video seinen alten Punk-Genossen Adam Ant durch den Kakao…

Ja. Ähnliches steht uns in Deutschland noch bevor. Eine Szene wird sich halten. Man kann das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen, auch wenn viele Journalisten mittlerweile alles Deutsche verdammen. „

So sind die Fehlfarben also vom frühen Deutschpunk bei ausgereifter Produktion angelangt. Als Parallele zum Bombast-Rock der Frühsiebziger will Schwebel diese Entwicklung aber nicht gedeutet wissen:

„Damals war klar: Es kann nur immer größer werden. Heute dagegen gibt es keine Regeln mehr. ABC können heute ihre Clitzer-Show machen, morgen was völlig anderes, meinetwegen ein Zwei-Gitarren-Baß-Drums-Rock-n‘-Roll-Ding oder was ihnen einfällt. Wäre ja toll, wenn’s so käme, wirklich interessant. ..“

Dann könnte also auch die nächste Fehlfarben-Platte ähnlich losgehen?

Ja, wäre vielleicht gar nicht schlecht. Es ist wichtig festzustellen, daß wir nicht eine Platte machen und dann immer so klingen werden. Solche Wechsel hegen ja in jeder einzelnen Person begründet… Wahrscheinlich ist aber, daß unsere nächste Platte in der Art der neuen sein wird, weil wir diese Richtung und diese Art zu arbeiten noch weiter verfolgen wollen. Die übernächsten könnte dann aber vielleicht. …naja, Pläne gibt es da noch nicht so richtig…“

Für jemanden wie Thomas Schwebel, der mit offenen Augen (für die Texte) und offenen Ohren (für die Musik) durch die Welt läuft, wären Pläne von solchen Dimensionen auch fast schon schädlich. Hierzu finden sich auf GLUT UND ASCHE klare und wohlbekannte Zeilen:

„Millionen glauben an den Zusammenhang von Schweiß und Gefühl und Ehrlichkeit/In Wahrheit zählt die Kunst des Zitats/in Wahrheit zählt der richtige Moment.“ Dieses Statement dürfte darauf hinweisen, daß die Fehlfarben auch in Zukunft die Improvisation den festen Plänen vorziehen werden.

Schwebel über die Gegenwart der Fehlfarben: „Daß unsere zweite LP nach der ersten schlechte Kritik bekommen würde, war uns klar. Mit der neuen ist das jetzt wieder so wie mit der ersten: wie sie ankommt, ist für mich völlig offen. „

Schwebel über das Leben: „14 Tage sind zu kurz, um alles zu erleben. „