Fotografie als offene Türe
Wir zeigen Bilder von Ira Vinokurova, die als Ruff-Schülerin das Erbe der Düsseldorfer Photoschule fortführt.
Die Düsseldorfer Photoschule von Bernd und Hilla Becher begründete eine der wichtigsten Strömungen der Fotografie. Sie brachte Ikonen wie Andreas Gursky und Thomas Ruff hervor, deren Arbeiten heute Höchstpreise erzielen. Wir zeigen Bilder von Ira Vinokurova, die als Ruff-Schülerin das Erbe fortführt – auf ihre Weise.
Fotografie ist anders geworden. Die Demokratisierung einer Kunstform, die ihren Anfang in den 60er-Jahren mit den ersten Kleinbild- und Sofortkameras nahm und in den 90er-Jahren mit den 29,95-DM-Knipsen aus dem Drogeriemarkt ihren ersten Höhepunkt erreichte, scheint heute abgeschlossen. Jeder von uns besitzt ein Smartphone, das bessere Bilder macht als erwähnte Apparate. Fotografie, das ist heute auch Instagram und Snapchat. Andererseits öffnet genau die Tatsache, dass das stetige Anfertigen von Bildern so sehr Bestandteil unseres Alltags geworden ist, der Fotografie als Kunstform neue Räume. In Düsseldorf arbeitet man sich seit Jahren an solchen Räumen ab. Die Düsseldorfer Photoschule, das klingt zwar nach einem großen Gebäude mit einem steinernen Portal, nach Klassenzimmern, mit Linoleum ausgelegten Gängen, vielleicht sogar Tafeln. Der Begriff „Schule“ ist aber eher als Wirkprinzip zu sehen. Begründer waren das Fotografen-Ehepaar Bernd und Hilla Becher, die am Anfang einen der Pfeiler des Wirkprinzips setzten: Ihre Fotografie zeigte dokumentarisch das auf, was war. Hauptmerkmal war eine Sachlichkeit, die sich sowohl auf deutsche Fotografen wie August Sander als auch auf den großen amerikanischen Dokumentator Walker Evans und seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 30er-Jahren bezog. Eine Manipulation erfuhren ihre Motive, häufig Industriearchitektur, nicht, sogar jene durch das Wetter vermieden sie. Dass die Bilder der Bechers so blass wirken, liegt daran, dass sie meist entstanden, wenn keine Sonne schien. Ab 1976 unterrichtete Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. In den Folgejahren zählten zu seinen Schülern unter anderem Andreas Gursky, Thomas Ruff, Candida Höfer und Axel Hütte. Sie etablierten radikal andere Stile, in denen aber die DNA der Düsseldorfer Schule stets erkennbar blieb.
Bei Ruff wiederum lernte Ira Vinokurova. Und so, wie Ruff mit den Arbeitsweisen seiner Lehrer brach, emanzipierte sich Vinokurova rasch von dessen Vorgehensweisen. Die 40-Jährige stammt aus dem russischen Kaliningrad und kam 1997 nach Deutschland, um zu fotografieren. Die Bilder, die wir zeigen, stammen teilweise aus ihrer Heimat, wurden zum Teil aber auch in Deutschland aufgenommen. Vinokurova spielt mit den herkömmlichen Strukturen, mit Parametern wie Schärfe und Beleuchtung. Zum Teil tut sie das digital – die Serie „Portrait in der blauen Stunde“, die das flüchtige Licht der Dämmerung nutzt, entstand ähnlich eines klassischen Porträts über mehrere Sitzungen, die dann am Computer zusammengefügt wurden. So entsteht eine Tiefe, die mit einer Langzeitbelichtung, die auf den ersten Blick ähnlich wirkt, kaum zu erreichen wäre. Auch ihre Stadtlandschaften wirken wie aus der Zeit gefallen. Ist das Kunst? Ist sie eine Künstlerin? Nach einer Pause widerspricht sie, legt Wert darauf, dass Fotografie etwas Eigenes ist. Mehr als nur ein Mittel oder ein Medium, wie es ihr an der Photoschule so oft gesagt wurde. „Ich habe großen Respekt vor der Technik“, sagt sie. Heute arbeitet sie passenderweise streng analog. Und ohne allzu große Pläne. Sie geht aus dem Haus und sucht offene Türen. Was für ein schöner Ansatz.
Die Bilder von Ira Vinokurova: