From California To The New York Island
Nach Lob, Preis und Hype ist Conor Oberst viel gereist in den letzten Jahren und hat Erfahrungen mit Medien gesammelt solchen, die ihn interviewen wonten und solchen, die mit Toten kommunizieren. Der Besuch bei Letzteren scheint ihn nachhaltig beeindruckt zu haben - er hat das neue Album Von Bright Eyes danach benannt.
Sein Händedruck ist zunächst warm und weich und unverbindlich, doch dann will er die Hand gar nicht mehr loslassen: „Hey! Du trägst da ja ein süßes Grandaddy-T-Shirt! Bist du Fan? Ich auch! Kennst du All Smiles? Das ist die neue Band von Jim Fairchild, dem Ex-Gitarristen von Grandaddy. Neulich hat er bei uns im Vorprogramm gespielt. Großartig! Er hat auch eine tolle Platte aufgenommen, ten readincs ofa warninc!“ All Smiles? „AllSmiles! Musstdu dir anhören. Toller Lo-Fi-Indierock!“Lo-Fi also, ganz im Gegensatz zu cassadaga, der luxuriösen neuen Platte von Bright Eyes, der Band um Conor Oberst, über die wir nun in aller Ruhe sprechen wollen. Über die Platte und alles, alles andere auch.
Zum Interview geht es ganz durch den Tourbus hindurch, vorbei an den Schlafkojen der Musiker, bis ins Heck, wo sich Conor Oberst im Schneidersitz auf die lederne Sitzgarnitur sinken lässt und durch die getönten Scheiben seine Fans beobachtet, die seit Stunden im wilden Norden von Washington vor dem backsteinernen „Nightclubg^o“ hocken und auf Einlass warten. Mädchen in Miniröcken und Turnschuhen. Jungs in Chucks, Schlaghosen und Trainingsjacke, mit einem zerfledderten Taschenbuch in der Hand und diesem neckisch angeschrägten Schüchternheitsvorhang vor dem Gesicht, der in der Indieszene als okaye Frisur gilt. „Ah, meine Lookalikes!“, freut sich Oberst: „Ich ändere mein Aussehen, und sie müssen damit Schritt halten. Ein großer Spaß!“ Allein seine Frisur ist Gegenstand hitziger Diskussionen, in einem deutschen Fan-Forum kursiert sogar eine Gebrauchsanweisung: „Nivea Baby Shampoo (macht die Haare schwer, aber nicht fettig!), einen Schuss Olivenöl beimischen und ein bestimmtes wachsartiges Gel bei handtuchtrockenem Haar gleichmäßig einmassieren. Danach noch lufttrocknen lassen und-voilä! Bei Bedarf noch ein bis zwei Haarspangen hinzufügen, noch ein wenig nachgelen, unddie Frisur sitzt den ganzen Tag.“
Allein, es nützt nichts. Vorhin, als er in einem Kleinbus ankam, hat kaum einer der Fans sein Idol erkannt. Was wohl weniger an seinem unscheinbaren Auftreten lag oder am geschäftig gezückten Handy. Sondern an den wirklich sehr langen Haaren, die dem 27-Jährigen inzwischen über die Schulter fallen. Zumindest an seinem Äußeren ist die Tatsache, dass dieser junge Mann schon scheu von den Titelblättern aller relevanten Musikmagazine weltweit geguckt hat, nicht spurlos vorübergegangen. Und an seinem Inneren? Wir sind hier, um das herauszufinden.
Shawn Foley, 45, kennt Conor Oberst schon, seit dieser ein kleiner Junge war. Den Beschützerinstinkt, den Oberst bei weiblichen Fans weckt, hat Foley zum Beruf gemacht: „Er brauchte halt jemanden, der ihm den Rückenfreihält, das war klar.“ Foley wirkt souverän, wie ein freundlicher Grizzly, und gilt als „persönlicher Manager“ von Oberst. Eine Einschätzung, die er selbst nicht teilt: „Ich bin der, der sich um Conor kümmert. “ So einen hatte das junge Talent auch nötig.
Mit Bob Dylan ist er schon verglichen worden, dem „Gewissen der USA“, der „Stimme einer Generation“. Mit Neil Young, dem Starkstrom-Dylan. Mit Bruce Springsteen, dem kleineren Dylan. Mit John Mellencamp, dem Westentaschen-Springsteen, aber das war eine Gemeinheit. Manche wollten in dem Jungen mit den dunklen Augen und der dunklen Seele einen neuen Michael Stipe erkannt haben, andere den nächsten John Fogerty. Wegen der intensiven Wut und ungefilterten „teenage angst“ in seiner Musik wurde Oberst schon als Wiedergänger von Kurt Cobain gefeiert, wegen der lässigen Reife seiner Country-Musik als junge, männliche Ausgabe von Emmylou Harris. Es gibt Musiker, die von der tonnenschweren Last solch schmeichelhafter Vergleiche erdrückt worden wären. Und es gibt Conor Oberst, der sich mit den Menschen hinter all diesen großen Namen einfach angefreundet hat. Mit Stipe etwa, der zu Oberst ein regelrecht väterliches Verhältnis aufgebaut hat. „Michael ist sehr süß, ein echter Freund“, sagt Oberst. Emmylou Harris hat er eingeladen, sein Album i’m wide awake it’s morning mit ihrer Stimme zu veredeln. Und bei der „Vote For Change“-Tournee, mit der eine Horde liberaler Musiker 2004 die Wiederwahl von George W. Bush verhindern wollte, stand er mit genau den Größen auf der Bühne, an denen er zuvor gemessen worden war. John Fogerty. Dave Matthews. Bruce Springsteen. Jackson Browne. Nicht mit Kurt Cobain, aber doch immerhin mit Eddie Vedder und Pearl Jam. Vor Neil Young, so wurde kolportiert, soll Oberst bei der ersten Begegnung in die Knie gegangen sein, immerhin. „So ein Quatsch „, empört er sich, und seine braunen Augen funkeln, „wer behauptet denn sowas? Ich verehre Neil Young, klar, aber so eine Geste hätte doch alles kaputt und jedes normaleVerhältnis unmöglich gemacht!“ Aha, Conor Oberst hat also ein „normales Verhältnis“. Zu Neil Young. Er hat den Hype erlebt und sieht dem etwaigen Backlash gelassen entgegen: „Über meinem Kopf hängt kein Damoklesschwert“, sagt er und schiebt sich ein Halsbonbon in den Mund. Die Stimme, klar. Auf dem neuen Album ist sie so weit nach vorne gemischt wie nie. Sie klingt brüchig wie immer, aber sie überschlägt sich seltener. Es steckt heute weniger Verzweiflung in diesem Timbre und mehr Selbstbewusstsein.
Mike Mogis kann das bestätigen. Mit seinen kurzen Haaren und der Juristenbrille sieht er ein wenig aus, als wolle er einem gleich die Steuer machen. Tatsächlich hat er schon befreundete Bands wie The Faint, Rilo Kiley, Cursive oder The Good Life produziert und eben erst das neue Projekt von Ex-Test-Icicles-Frontmann Devonte Hynes, er spielt nebenbei Mandoline, Banjo, Pedal Steel sowie Glockenspiel und ist neuerdings eines von drei festen Mitgliedern von Bright Eyes. „Vor ein paar Jahren war Conor ein Wrack“, sagt er vergnügt, „ein echtes Wrack“
Es war heiß im August 2003 im herrlichen Haldern am Niederrhein. Da sah man einen schwankenden Conor Oberst auf der Bühne das bauchige Weinglas schwenken und leeren, schwenken und leeren, eine ganze Flasche, und wenn er am Ende auch knapp am Lallen vorbeischrammte – er wurde immer besser. Oberst. Nicht der Wein. Damals wurde erstmals spekuliert, Obersts selbstzerstörerisches Auftreten könnte auch dazu dienen, den Effekt der manchmal arg selbstquälerischen Musik von Bright Eyes noch zu verstärken. Wer es wagte, in die stillen Momente seiner Songs hineinzuplappern, dem bot er schon mal an, ihm „das Maul zu stopfen „. Mit dem Album LIFTED ORTHE STORY IS IN THE SOIL, KEEP your earto the ground hatte sich der damals 24-Jährige gerade in die erste Reihe der US-Songwriter gespielt – und doch schon einen weiten, weiten Weg hinter sich. Conor Müllen Oberst war zarte 13, als er zusammen mit seinem älteren Bruder Justin in Omaha, Nebraska, ein eigenes Label gründete, nichts Großes. Um seinen noch etwas ungelenken, auf Kassette aufgenommenen Folk unters Volk zu bringen. Und um die flirrende Langeweile zu vertreiben, die sich in den endlosen Weizenfeldern des in vielerlei Hinsicht flachen Mittleren Westens der USA wohl zu fühlen scheint. „Meine Familie ist katholisch, ich war auf einer katholischen Schule, undich war, glaube ich, auch mal sehrfromm. Das hörte abrupt auf, so mit 14, 15. Seitdem bin ich kein praktizierender Katholik mehr. Meine Eltern halten sich selbst für sehr katholisch, sind aber in Wahrheit recht liberal. Sie haben mir nie Vorschriften gemacht, was mal aus mir werden soll.“
Vier Jahre gingen ins Land, während der Teenager in einer Band Gitarre spielte und sang, in einer anderen trommelte und davon träumte, eines Tages als professioneller Musiker zu leben. Mit 17 Jahren schmiss Oberst das College und setzte alles auf eine Karte, und die nannte er: Bright Eyes. „Ich mag Simon ¿& Garfunkel, und ich mag die Verfilmung des Buches ,Watership Down ‚.für die Art Garfunkel den Song ßright Eyes’sang, aber eigentlich bedeutet es einfach nur so viel wie .Hey Süßer‘, eine harmlose Redewendüng „, sagt Oberst über den Namen, unter dem 1998 als Erstes seine collection of songs written AND RECORDED i995-‚997 erschien. Eine Fingerübung im Vergleich zum im selben Jahr folgenden ersten „richtigen“ Album, einer Meditation über die Spielarten jugendlicher Melancholie mit der lustigen Täuschung im Titel, hier würde die Fröhlichkeit von der Leine gelassen: lettingoffthehappiness.
Eine zutreffendere Beschreibungfür Obersts fiebrige Selbstbespiegelungen war fevers and MIRRORS, ein Album, mit dem Bright Eyes 2000 zur Jahrtausendwende tatsächlich US-weite Aufmerksamkeit zuteil wurde – sogar in Europa war hin und wieder vom „Wunderkind“ die Rede, das es da zu entdecken gälte. Langsam wuchs sein Ansehen als relevante politische Stimme, als „boy from the bible belt“, der so gar keine hinterwäldlerischen Positionen vertrat. „Nebraska ist ein roterStaat, republikanisch bis ins Mark. Obwohl Omaha selbst eine progressive Stadt ist, leider weit und breit auch die einzige. Die Gegend ist sehr ländlich, Ackerland, Kleinstädte, alles ein wenig…“
-er hält inne und, zur Veranschaulichung des Niveaus, die Hand gaaanz flach über den Teppichboden.
Tatsächlich äußert Oberst sich dann am eloquentesten, wenn er über die politischen Verhältnisse in seiner Heimat referiert: „Eine der Eigenschaften, die Amerika großgemacht haben, ist die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, Fehler auszuräumen und besser zu werden. Andererseits ist dieses Land auf zwei schreckliche Dinge gegründet: den Völkermord an den eingeborenen Amerikanern nach neuen Schätzungen sollen^o Millionen Menschen einfach verschwunden sein, das ist völlig wahnsinnig, aber die Leute machen es sich nicht bewusst- undnatürlich die Sklaverei. Aber irgendwann gab es Leute, die das nicht mehr dulden wollten unddie Verhältnisse zum Besseren wandten.“
Die ihm aufgedrängte Rolle allerdings, als musizierender Motor dieser Wende aufzutreten, weist Oberst erschrocken von sich: „Ich kann da nicht hin und alles besser machen. Da gibt es diese… dunkle… böse, selbstsüchtige Seite in uns allen, die wird man nicht wegbekommen. Aber ich kann bessere Entscheidungen treffen in meinem Bereich. Ich kann tun, was ich kann. Aber ich fühle mich nicht verpflichtet, solche Dinge in meiner Musik auftauchen zu lassen, wie ich auch umgekehrt keine Musik mache, um Botschaften zu verbreiten. Ich schreibe einfach Songs.“ Und wer war bei „David Letterman“ eingeladen und hat dort zur besten Sendezeit und entgegen allen Absprachen einen wütenden Song namens „When The President Talks To God“ vorgetragen? Oberst streicht sich verschämt die Haare hinter die Segelohren und räumt ein:
„Ja, okay, stimmt. DAS war ein politisches Statement.‘ Er beeilt sich hinzuzufügen, dass er sich dieses nur erlauben konnte, weil er zu diesem Zeitpunkt sein bis dato wichtigstes künstlerisches Statement schon abgegeben hatte. Denn 2005 warfen Bright Eyes gleich zwei Kohlen ins Feuer und brachten mit dem countrylastigen i’m WIDE awake it’s morning und dem experimentelleren digital ash in a digital urn zwei recht verschiedene, unterschiedlich instrumentierte Platten gleichzeitig auf den Markt.
Mike Mogis hadert noch heute ein wenig mit diesem Schachzug einer doppelten Veröffentlichung:
„Alle liebten I’m with awake, und da konnten viele Kritiker offenbar nicht auch noch digital ash gut finden. Das wäre uncool gewesen „, vermutet der Produzent. „Ich habe Rezensionen gelesen, wo der Countryfünf Sterne bekommen hat -und die Avantgarde gar keinen.“ Oberst erzählt: „Normalerweise nehmen wir unsere Platten auf, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie wir sie live präsentieren wollen. Und dann gibt es gegen Ende der Arbeit im Studio immer diesen Moment, wo wir uns anschauen und feststellen:,Okay, wir haben die Platte. Aber wie zum Teufel bringen wir die jetzt auf die Bühne?‘ Besonders schlimm war das bei digital ash, ein extremes Beispiel, weil wirda überhaupt keine Ahnung hatten. Am Ende aber gehörten diese Shows zu den aufregendsten, die wir jegemacht haben. Wir hatten wahnsinnig viele Leute auf der Bühne, zwei Drummer, verschiedene Keyboards, eine gewaltige Lightshow, und ich hatte ein drahtloses Mikro, sodass ich auf der Bühne herumtanzen konnte, wasziemlich ungewohnt war.“
ImVergleich dazu bewegt sich cassada GAaufeher vertrautem Terrain. Wie Im wide a wake bietet die neue Platte gut abgehangenen Countryfolk, diesmal streckenweise unterfüttert mit üppigen Streicherarrangements, die Trompeter Nate Walcott – neben Oberst und Mogis das dritte feste Bandmitglied – geschrieben hat. „Wir haben uns schon gefragt“, erzählt Nate, ein erfreulich bescheidener Mensch, „ob wir wirklich bis ganz nach vorne an den Rand zum Kitschgehen wollten…“ – „Wir wollten“, bringt Mogis den Gedankengang zum lakonischen Ende: “ Unser Ziel war ein möglichst harmonisches, rundes Album.“
Gehört dazu auch die Spoken-Word-Sequenz, von der cassadaga eingeleitet wird? Ein ähnliches Intro gab es schon auf wide awake it’s morning Oberst: „Wir wollten Platten machen, die aus einem Guss sind, die man von Anfang bis zum Ende hören kann, wie eine durchgehende Geschichte. Wer von Track zu Trackskippen will, soll das tun. Aber um die Platte so zu hören, wie wir sie uns gedacht haben, braucht es ein solches Intro. Es soll den Hörer in die richtige Stimmung bringen für das, was folgt. Er soll nicht gleich überfallen werden – stattdessen sind da Stimmen und akustisches Ambiente, das beruhigt. Es ist, wenn du so willst, wiedie Eröffnungsszene eines Films, wie ein Bühnenbild.“
Aber welches Stück wird hier gegeben? „Was du da hörst“, erzählt Oberst, „ist die Stimme eines Mediums, einer Frau mit Kontakt zum Übersinnlichen. Genaugenommen ist es ein Zusammenschnitt von Ratschlägen dreier solcher Medien, die ich an unterschiedlichen Orten aufgenommen habe.“ Er ist viel gereist in den letzten Jahren, durchaus in der Tradition der Beat-Poeten, die sich das Land über seine Landschaft anverwandeln wollten, denn „this land is my land“, von Kalifornien, wo Oberst urlaubte, bis nach New York, wo er sich ein Apartment gemietet hat, weil es „alles, was esgibt, auch in New Yorkgibt- man muss nur gründlich danach suchen „. In Los Angeles gefiel es ihm da nicht ganz so gut: „Diese Stadt macht mir zwar wahnsinnig viele Angebote. Ich bin aber an den meisten nicht wirklich interessiert. Wer klassische Rock’n ‚Roll-Schuppen mag oder Hotel-Pool-Partys am Sunset Strip, der hat halt einegrößere Auswahl. Aber der Sonnenschein hilft da schon viel weiter. Und natürlich der Ozean. Ich hatte noch nie in der Nähe eines Ozeans gelebt. Er erinnert dich daran, wie klein du bist“, sagt er.
Ferner führten Conor Oberst seine Reisen – um bei Guthrie zu bleiben – vom Red wood Forest im Norden bis zu den Wassern des Golfstroms ganz im Süden. Was auch immer er auf diesen Trips gesucht hat, in Florida scheint Oberst es gefunden zu haben: „Cassadaga ist ein kleiner Ort in Florida, wo es von solchen Medien nur so wimmelt.“ Klingt cassadaga deshalb wie ein leicht angeschwurbeltes Konzeptalbum über Paranormales und Wahrsagerei? Oberst schüttelt den Kopf: „Es ist nur so, dass ich einige Zeit in Cassadaga verbracht habe und mich anschließend besserfühlte.“
Eben noch hatte Oberst die Musikwelt entzückt, nun ging es ihm schlecht? Ja. Ich habe dort eine Ruhe gefunden, die mir zuvor fremd war. Außerdem mag ich den Klang des Namens. Cassadaga. Das hat doch was! Ich wollte.glaubeich, mit der inneren Ordnungdes Universums in Kontakt treten. Ich wollte mehr darüber herausfinden, wo mein Platz in dieser Welt ist.“
Dennoch darf es verwundern, dass ihn diese ehrenhafte Suche ausgerechnet in die Hände von Wahrsagerinnen trieb, oder? „Naja, eine Freundin hat mich auf diesen Ort aufmerksam gemacht. Wir sind zusammen hingefahren und haben ein Medium besucht, das sie schon kannte. Sie hat mir einiges erzählt, vor allem aber, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dass ich, auch wenn es mir manchmal nicht so scheint, im Einklang bin mit den Energien, die mich umgeben“, sagt Oberst mit sachlicher Stimme – und leuchtenden Augen. Offenbar hat er, der Hochgelobte, sein Glück tatsächlich unter Scharlatanen gesucht – und gefunden. Dabei habe er sich aber nicht aus der Kristallkugel lesen lassen, wie erbetont: „Die Frau, die ich besucht habe, hatte sich auf die Aura von Menschen spezialisiert. Sie hat mir aus der Hand gelesen, ja, aber vor allem hat sie die Kette abgeschnitten, die ich seit Ewigkeiten getragen habe, und sie um ihre Hand gewickelt. Dann ist sie in Verbindung getreten mit der Energie, diemich umgibt, und hat versucht, mir davon zu erzählen.“
Offenbar war es etwas Interessantes: „I went to Cassadaga to commune with thedead“, heißt es im Titelsong, und im Gegensatz zu dem übrigen Schabernack leuchtet der Wunsch sogar noch einigermaßen ein, Zwiesprache mit den Toten halten zu wollen. Weil „tot“ nicht unbedingt auch „verschwunden“ bedeutet? „Exakt“, sagt Oberst.
„Esgib so viele Menschen, die ich kennen durfte. Die mir Sätze, Worte, Gedanken eingeschrieben haben, die ich im Herzen bewege, wenn ich alleine bin. Weil ich dann die Liebe und die Kraft spüre, die dahintersteckte, die ich in anderen Leuten wiedererkenne undin mir selbst.“
SO Wortkarg Oberst SICH über seine Kunst gibt, so ausführlich äußert er sich zu den politischen Zuständen in den USA. Manches könnte man gleich als Leitartikel an eine liberale US-Zeitung verkaufen; das läse sich dann wie eine aktuelle Bestandsaufnahme der kritischen US-Jugend: „Inzwischen, nach den Kongresswahlen, sieht es besser aus. Die Republikaner haben die Macht im Kongress verloren, das ist eingutes Zeichen, über das ich mich sehr gefreut habe. Im Moment bewegt sich einiges. Ich glaube, die Leute erkennen allmählich das Ausmaß des Desasters, das von der Bush-Administration angerichtet worden ist.Nicht nur die zerrütteten Beziehungen in der Außenpolitik, Irak, Afghanistan, sondern den Schaden hier, zu Hause. Die Armen sind ärmer, die Reichen reicher als zuvor, es hat noch immer kein Mensch eine Krankenversicherung, die Schulen sind in einem schrecklichen Zustand, weil sich für all die grundlegenden Dinge, die eine gesunde Gesellschaft braucht, der Staat nicht mehr verantwortlich fühlt. Ich denke, die Leute haben das inzwischen mitbekommen undhungern nach politischen Figuren, die sich mehr um das Wohl der großen Gemeinschaft sorgen als um dieVorteile einer kleinen Gruppe.“
Und welchem der beiden aussichtsreichen demokratischen Kandidatinnen räumt Oberst die größeren Chancen bei der nächsten Präsidentschaftswahl ein? Er holt tiefLuft. „Ich würdesagen … im Augenblick.ja, im Moment tendiere ich zu Barack Obama.lch mag Hillary, sie ist toll und extrem clever und ehrlich und alles. Was ich nicht mag, ist dieses Dynastie-Ding. Erst ein Bush, dann ein Clinton, dann wiederBush, und jetzt? Hallo? Niemand, der in den letzten zehn Jahren in irgendeiner Weise politische Verantwortung getragen hat, sollte mehr kandidieren dürfen. Eigentlich wünsche ich mir, das Dennis Kucinich Präsident wird. Er ist Demokrat, Kongressabgeordneter aus Ohio, und hat wohl keine Chance. Ersieht unscheinbar aus, eher wie ein Gnom. Was ich sagen will: Wir nähern uns dem Ende einer objektiv derart unfassbar schlechten Präsidentschaft, dass es nicht schlechter kommen kann.“
Hoffentlich hat er Recht. In Obersts Schlafkoje im Bus liegt – neben ein paar Münzen und CDs – ein Buch von Philipp Roth: „The Plot Against America“ (dt. „Verschwörung gegen Amerika“, 2004). Darin geht es um fiktionale USA, in denen zu Beginn der4oer-Jahre das Flieger-Ass Charles Lindbergh Präsident wird und an der Seite Hitlers in den Krieg ziehen will.
So suggestiv man ihn auch fragen mag, an der Schreibmaschine hält Oberst sich für einen Dilettanten: „Ich bin kein guter Autor. Aber mein Bruder Matt (Matthew Oberst Jr., spielte einst bei Sorry About Dresden, Anm.) hat gerade einen Roman fertig,400 Seiten. Und er ist großartig. So dicht! Ich meine, er hat dafürfast zwei Jahre lang hart gearbeitet, er hat sich dieser Sache richtig hingegeben. Das ist etwas völlig anderes, als Songs zu schreiben. Für so was, was mein Bruder da macht, bin ich wohl einfach noch nicht bereit. Das ist viel Arbeit, zu viel Arbeit“, und damit nichts für jemanden, der „Herumliegen und Faulenzen „als eine seiner Lieblingsbeschäftigungen und seine Musik „im Prinzip“nur als „Variationen eines einzigen Songs“bezeichnet. Aber so weit, Frank Zappas Diktum „only in itfor the money „zu unterschreiben, geht Oberst dann doch nicht. Nicht einmal an ein „unmoralisches Angebot“ will er sich erinnern können. Im Land des alles absorbierenden Kapitalismus – ist denn da wirklich noch nie eine Firma an ihn herangetreten mit dem Anliegen, seine Musik für Werbung verwenden zu dürfen? „Hm, nein.Ich meine, da ist noch niemand gekommen, nicht für Werbung. Aber viele Bands, die ich sehr mag, haben das schon getan. Einerseits ist es traurig zu sehen, wie ein Song sich in einen Jingle verwandelt. Andererseits gibt es für Musiker in dieser Welt nicht viele Möglichkeiten, Geld zum Leben zu verdienen. Ich bin also nichtböse aufKünstler, die so was gemachthaben. Es ermöglicht dir, deine Rechnungen zu zahlen.“
Rechnungen zu bezahlen hat übrigens auch Saddle Creek. Das Label baut zu Hause in Omaha derzeit einen regelrechten Themenpark inklusive Garten, direkt neben dem Haus von Conor Oberst. Dem scheint der Boom irgendwie unangenehm zu sein:
„Saddle Creek arbeitet auch, wenn ich nicht in Omaha bin „, sagt er und verweistauf seine eigenen „geschäftlichen“ Aktivitäten: „In New York habe ich vor zwei Jahren mein eigenes Label gegründet, Team Love. Da geht es darum, neue Bands zu suchen. Tilly On The Wall haben wir zum Beispiel veröffentlicht. Im Moment stehe ich auf Berg Sans Nipple.“ Berg Sans Nipple? „Ja, coolerName, oder? Er setzt sich aus Deutsch, Französisch und Englisch zusammen und bedeutet soviel wie,Berg ohne Gipfel.'“ jetzt und hier, nach einem zehn Jahre währenden Aufstieg – wo sieht sich Conor Oberst da in genau zehn Jahren? Die Antwort darauffällt fast leidenschaftslos aus: „Hm. Gesund und glücklich bin ich dann hoffentlich, und immer noch begeistert vom Leben. Abgesehen davon ist es mir eigentlich egal.“
Später, auf der Bühne des „Nightclub 9130 , mit Bright Eyes in voller Fahrt und M. Ward an seiner Seite, demonstriert Conor Oberst ein weiteres Mal, warum er diesen Job macht – wegen dieser Augenblicke, wenn die Menge im Raum „aufeine seltsame Weise genau dem Raum innerhalb des Songs entspricht“, wie er es ausdrückte, wenn alles im Einklang wirkt und vorantreibt, wenn alle auf wundersame Weise die gleiche Frequenz haben und etwas aufblitzt, das es bei aller Skepsis doch noch gibt, vielleicht auch nur, weil weit und breit kein „Medium“ in Sicht ist: pure Magie. >» www.thisisbrighteyes.com —