#fuckbinge: Warum unsere Gier nach Serien einfach alles kaputtmacht
Unser Autor erklärt, warum wir alle weniger Serien schauen sollten. Und warum „Game of Thrones“ die beste Show der Welt ist.
Wenn man Freunden, Kollegen oder sonst wem am Montag erzählt, man habe das Wochenende damit zugebracht, die gesamte zweite Staffel „Daredevil“ anzuschauen, ist man kein Nerd ohne Sozialleben mehr. Im Gegenteil: Tatsächlich ist man ein ziemlich cooler, weil unabhängiger und selbstbestimmter Typ. Voll am Puls der Zeit, ein moderner Entertainment-Konsument. Man ist dann einer, der endlich mal wieder nur an sich gedacht, sich eine dreizehnmal 45-minütige TV-Auszeit von der Welt genommen hat.
Da Kino seit einigen Jahren – das hört man ja immer mal wieder – einfach nur Remake und Fortsetzung und Superhelden ist, ging das Publikum zu den Serien. Zu den großen US-Produktionen, die durch geduldige Figurenentwicklung und mehr Raum für gute Geschichten überzeugen. Vor einer gefühlten Ewigkeit fesselte uns Tony Soprano auf HBO, später gerieten wir kollektiv über dieses dusselige Finale von „Lost“ in Rage. Einzelne Sendungen prägten ganze TV-Jahrzehnte. Auch weil es vor der Streaming-Ära weniger Auswahl an hochqualitativen Serien gab, die obendrein noch schwerer zugänglich waren. Die Highlights, die ganz großen Formate, hielten dafür aber Millionen rund um den Globus in Atem. In Internetforen, Freundeskreisen und WGs mussten wöchentliche Cliffhanger und monatelange Dürrephasen bis zur nächsten Staffel überbrückt werden.
Mein Amazon, mein Sky, mein Netflix
2016 ist die Diktatur der festen Sendeplätze und wöchentlichen Veröffentlichungen dank Mediatheken und Streaming-Diensten größtenteils verschwunden. Und damit leider auch das gemeinsame Zuschauen. Der moderne Serienkonsum, der durch „letsbinge“-Hashtags gefeiert wird, macht seine Zuschauer zu Einzelgängern. Und könnte langfristig die Qualität des Serienformats beschädigen.
Gespräche über angesagte Serien sehen mittlerweile oft so aus:
„Die neue ‚House Of Cards‘ hatte ich gleich am ersten Wochenende durch. Du etwa noch nicht?“
„Nein. Dafür hab’ ich ‚Narcos‘ und ‚Mr. Robot‘ schon weg. Als nächstes dann ‚Making A Murderer‘-Marathon.“
‚Flaked‘ hatte ja nur acht Folgen, hab’ ich schnell zwischengeschoben vor der zweiten Staffel ‚Penny Dreadful‘. Die fängt gut an, da geht es um…“
„Ey, nicht spoilern!“
Wo früher mal Gespräche über diese oder jene neue Folge stattfanden, steht mittlerweile immer öfter die Home-Entertainment-Variante des alten „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Werbespots der Sparkasse. Da spoilerbedingt nur noch im Flüsterton über inhaltliche Überraschungen, Cliffhanger oder Serientode gesprochen werden darf, wird allzu oft stumpf aufgezählt, was und wie viel davon man zuletzt gebinged hat. Ganze Staffeln an einem Wochenende sind dabei natürlich Trumpf. Binge watching ist das neue Protzen des kleinen Mannes, der gutes Internet und einen Smart-TV hat und monatlich ’nen Zehner in Netflix oder Amazon Prime investiert.
Besonders clever ist, wer bei Netflix noch drei Euro mehr springen lässt, seine Kinder oder den Partner via multipler und parallel nutzbarer Accounts ebenso zu selbstbestimmten Wann-immer-ich-will-Konsumenten erzieht. Wer Netflix- sowie Amazon-Prime-Accounts und dazu noch einen Sky-Receiver sein Eigen nennt, hat sich sein Entertainment-Äquivalent zum tollen Boot aus der Sparkassenwerbung zusammenabonniert.
Es gibt zu viel von allem
TV-Affine durchleben gerade eine vermeintliche Glanzzeit der hochwertigen Produktionen, schon klar. Tolle Figuren, große Budgets und Autoren müssen ihre Visionen nicht auf 120 Minuten runterbrechen. Dazu haben all diese Schauspieler, deren Namen man sich nie merken kann, die in diesem einen Film mal in einer Nebenrolle total cool waren, jetzt endlich Hauptrollen in irgendwelchen Serien, deren Namen man wohl auch bald wieder vergessen wird. Weil es mittlerweile einfach zu viele davon gibt.
Hätten es acht furchtbar belanglose Episoden „Flaked“ jemals ins deutsche Free-TV geschafft? Eine Serie über Hipster in Venice Beach, in der Hauptdarsteller Will Arnett eigentlich nur dadurch heraussticht, dass er viel mit dem Fahrrad unterwegs ist? Wohl kaum. Zuletzt fand sie aber auch hierzulande ein Publikum. Weil Netflix sie einfach als Highlight anpreist, und acht Folgen mittlerweile ja schon als Reinschnuppern gelten. Also wird es angeklickt, weggebinged in zwei, drei Tagen. Weil der Mensch, der Konsument eben gierig ist, gar nicht genug bekommen kann für die 9,99 Euro, die er im Monat für seinen Streaming-Dienst überweist und später stolz darauf zurückblickt, wie viel er für dieses kleine Geld konsumiert hat.
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Serien sind das neue Fast Food. Sie sind billig verfügbar, werden ungeachtet der Qualität verzehrt – und zunehmend auf Masse produziert. Ein „House of Cards“ kann dank sofortiger Verfügbarkeit trotz 13 Folgen keine 13 Wochen lang mehr begeistern, ein „Orange is the New Black“ hat trotz aller dramaturgischer Kniffe und Spannungsbögen eine verschwindend geringe Halbwertszeit. Deshalb schieben TV-Sender und Streaming-Dienste schnell nach. Und sie folgen dabei Trends, die im vergangenen Jahrzehnt bereits das Kino in Verruf gebracht haben.
„Rush Hour“ und „12 Monkeys“ als Serie – Anzeichen für den Untergang
Die Liste der Remakes, Fortsetzungen und Kinofilm-zu-Serie-Adaptionen, die jüngst liefen oder in naher Zukunft ausgestrahlt werden, ist bereits schon lang und voller Reißbrettware. „From Dusk Till Dawn“ erntet im Episodenformat genauso wenig Ruhm wie „Sleepy Hollow“. Das „Rush Hour“-Serien- Remake floppte direkt nach seiner US-Erstausstrahlung Anfang April. Dazwischen dümpeln irgendwo die TV-Adaptionen von „12 Monkeys“ und „Hannibal“ durchs Netz. Ach nein, letztere wurde ja nach drei Staffeln schon wieder abgesetzt. Nicht unwahrscheinlich, dass sich Netflix oder Amazon imFall„Hannibal“bald die Rechte an der Serie sichern – die Marke ist schließlich zu wertvoll, um sie im Archiv zu lassen.
„Game Of Thrones“ ist seit Jahren die beliebteste Serie der Welt. Sie wäre es nicht, wenn jeder Fan die neueste Staffel sofort nach Erscheinen wegbinged. Bei „Game Of Thrones“ wird Woche für Woche gefiebert, gerätselt, diskutiert. Gemeinsam.
Dieser Text erschien zuerst im aktuellen me.MOVIES-Magazin. Eine Übersicht über alle Themen findet Ihr hier: