Gegen die Wand
Der Philosoph Jean Baudrillard forderte den „Aufstand der Zeichen“. Diese sechs Street-Art-Künstler treiben ihn Wand um Wand voran. Sie heißen Blu, Os Gêmeos, Shepard Fairey, Zevs, Faile und JR. Sie sind die Rockstars ihres Genres, denn keiner schreit die Bilder so laut heraus wie sie.
„In Europa ist es ein Verbrechen, Wände zu bemalen. In Latein-amerika schauen die Menschen sich eher die Bilder an. Sie haben viel weniger Vorurteile.“
Blu
Der Italiener Blu hat die Dose gegen die Farbrolle getauscht. Damit malt er oft beeindruckend große Figuren. Mal niedlich, mal beängstigend, immer unverkennbar. Seine Arbeiten sind in Berlin, Brasilien, der West Bank oder Serbien zu sehen. Außerdem experimentiert Blu mit Stop-Motion-Animationen. Seine Filme haben bei YouTube mittlerweile sechs Millionen Menschen geklickt und gesehen.
Berlin-Kreuzberg
„Wir nennen es nicht Street Art, das ist ja eher ein neuer Name. Wir machen Graffiti. Nach unseren eigenen Regeln.“
Os Gêmeos
Die Pandolfo-Zwillinge sind die Pioniere der brasilianischen Graffiti-Bewegung. Mittlerweile arbeiten auch sie überall auf der Welt und werden auf internationalen Ausstellungen gezeigt. Ihr Stil ist einzigartig, ihre Themen geprägt vom Leben in der Heimat. Eine Mischung aus Fantasy und Realitäts analyse, aus Folklore und Comic. Wiederkehrendes Merkmal ist die gelbe Gesichtsfarbe ihrer Figuren, von denen die Brüder sagen, dass sie ihnen in ihren Träumen begegnen.
Kelburn Castle, Schottland
„Die Aufregung, die man bei der Arbeit auf der Straße verspürt, wird immer größer sein als die Aufregung bei einer Ausstellung in der Galerie.“
Shepard Fairey
Der studierte Künstler, Skateboard- und Punkfan aus Los Angeles begann 1989, erste Sticker zu kleben. Sein „Obey“-Logo mit dem stilisierten Gesicht des Wrestlers André the Giant istweltweit auf Häuserwänden und T-Shirts zu sehen. 2008 entwarf er ein Poster zum Wahlkampf von Barack Obama, mit dem Gesicht des heutigen amerikansichen Präsidenten und der Unterschrift „Hope“, das inzwischen so ziemlich jeder kennen dürfte.
„A familiar face keeps watch.“
„Die Straße ist wie ein Atelier, wie eine große Leinwand, aber ohne Grenzen. Auf der Straße zu arbeiten ist ein Adrenalinrausch.“
Zevs
Zu den Aufsehen erregensten Arbeiten des Pariser Künstlers gehört wohl die Entführung des Models aus einem großen Werbeplakat am Berliner Alexanderplatz. Die Firma zahlte hinterher 500.000 E Lösegeld stellvertretend an ein Pariser Museum. Sicher auch, weil sie wusste, dass die Aufmerksamkeit es wert war. Zevs (gesprochen Zeus) ist bekannt für seine Arbeit mit Werbung und Firmenlogos. Er attackierte unzählige Werbeposter und Luxus-Geschäfte mit seinen Materialien.
Zevs und die Entführte
„Bilder in einer Auktion zu sehen, die Nachts auf die Straße gebracht wurden und nie dazu gedacht waren, verkauft zu werden, ist etwas frustrierend. „
Faile
Das New Yorker Künstlerduo, bestehend aus Patrick McNeil und Patrick Miller, gehört zu den sechs Street Artists, die es in die Londoner Tate Modern geschafft haben. Ihre Arbeiten sind visuelles Sampling der Popkultur. Sie nutzen Teile aus Comics, Zeitungen oder Werbung und setzen sie neu zusammen. Faile arbeiten mit Siebdruck oder Schablonen. Anders als die meisten ihrer Kollegen versuchen sie, eine politische Aussage zu vermeiden.
„Sinful Rip“ von Faile, 2007
„An den meisten Orten, an denen wir gearbeitet haben, gibt es nicht mal ein Museum. Deswegen gehen wir genau dorthin.“
JR
Der Pariser Fotograf und Artivist macht die Straße zur Galerie. Er druckt seine Fotografien als großflächige Poster aus und kleistert sie in Paris oder in Sierra Leone an Wände, auf Züge oder die Häuser einer brasilianischen Favela. Seine Arbeiten erzwingen Aufmerksamkeit. Eines seiner bekanntesten Projekte sind die Portraits lachender Rabbis und Imame mit schiefen Zähnen, die JR 2007 auf beide Seiten der West-Bank-Barrier klebte.
Mauer an der West Bank, israelische Seite
Street-Art-Bücher gibt es mittlerweile zu Dutzenden in den internationalen Museumsbuchhandlungen. Mit Beyond the Street haben die Herausgeber Patrick Nguyen und Stuart Mackenzie jedoch ein Ausnahmewerk vorgelegt, in dem die weltweit 100 wichtigsten Akteure der Urban- und Street-Art-Szene aufgelistet werden. Deren Werk ist umfangreich illustriert und wird in Interviews näher beleuchtet. Dabei wird vor allem klar: Was lange Zeit als Vandalismus verpönt war, ist endgültig im Kunstbetrieb angekommen.
Beyond the Street 400 Seiten, 49,90 Euro
Gestalten, www.gestalten.com