H. R. Kunze empfiehlt: Caspar Brötzmann Massaker


Pablo Picasso hat einmal gesagt, daß jedes Bild, wenn es wahrhaft gelungen ist, die Welt verändert — selbst dann, wenn es niemals von einem Zuschauer außer vom Maler selbst erblickt wird. Die schiere Tatsache seiner Existenz ist durch nichts und niemanden ungeschehen zu machen; mag der Anstoß, der von ihm ausgeht, auch nur mikroskopisch klein sein, nichts ist mehr wie vorher. Eine ähnlich einschneidende Erfahrung war für mich das Kennenlernen der Musik des Caspar Brötzmann Massakers. Glücklicherweise musiziert diese in Berlin ansässige Gitarrenband nicht gänzlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit; auch und gerade im geschmacklich aufgeschlosseneren Ausland wurde den bisherigen drei Alben viel Bewunderung zuT 0 N S PIO N

mindest der an fortschrittlichen Außenposten Interessierten zuteil. Thurston Moore von Sonic Youth bezeichnet Caspar Brötzmann, den Sohn des furiosen Freejazz-Pioniers Peter, als einen der besten Gitarristen überhaupt. Die gelegentlichen Hendrix-Vergleiche werden diesem erstaunlichen Vulkaniker nicht gerecht; die oft beklemmende, manchmal auch unerhört befreiende Intensität, mit der das Trio düstere Rituale, elektrische Mantras eines im Dunkel der Zukunft verborgenen Kultes zelebriert, ähnelt eher den klobigen Steinköpfen der Osterinseln als den Blümchenhemden des psychedelischen Blues. Am ehesten fallen mir als Referenz die brachialsten, urzeitlichsten Momente von Nick Cave’s Birthday Party ein.

Nicht genug damit, der vielleicht ungewöhnlichste Gitarrist zu sein, den Deutschland hervorgebracht hat — Brötzmann hat eine ganz eigenständige Art entwickelt, mit Worten umzugehen, und scheut trotz der Welt-Weite seiner Klanggebilde dabei auch nicht vor seiner Muttersprache zurück. Seine friihexpressionistische Metaphorik, schroff und assoziations-offen, füllt ideal die vor Spannung knisternden Lauerphasen aus, in denen die vor Erschöpfung glühende Gitarre Atem holt — und die nervenzerfetzende Schonungslosigkeit eines im besten Sinne des Wortes betroffenen Horrorszenarios wie „Koksofen“ macht mit Leichtigkeit 90 Prozent der hierzuländlichen pseudo-engagierten Zeigefingerschwingerei auf linkem Bildzeirungsniveau obsolet. Es mag Leute geben, die der atemberaubenden Urgewalt des Massakers nicht auf die Dauer standhalten können. Niemand kann aber ernsthaft abstreiten, daß hier große Künstler am Werk sind.