Heart: Schwestern Hiebe


Als Schwestern machten sie Karriere, als Schwestern steuerten sie aber auch zielstrebig in den Konkurs. Wie Heart die Haßliebe zwischen Ann und Nancy Wilson überlebte, erfuhr ME/Sounds-Mitarbeiter Helmut Werb in Los Angeles.

Hello Nancy! Die treuen blauen Augen der Rocklady aus Seattle blicken wohlgeübt und tief in die meinen. Sie nimmt geziert Platz wie dereinst eine ihrer Vorfahren am schottischen Hof.

Gut drei Jahre liegt die letzte LP von HEART schon zurück, und fast anderthalb Jahrzehnte ist es immerhin her, daß ich die Schwestern Ann und Nancy Wilson zum ersten Mal traf. DREAMBOAT ANNIE und LITTLE QUEEN. die ersten beiden Alben, waren bereits auf dem Markt. Und mit „Magic Man“, „Crazy On You“ und „Barracuda“ hatten die Wilsons ihre ersten großen Hits. Heart war heiß: Zwei tolle Weiber, die nicht nur stimmlich paßten, sondern mit ihrem Aussehen so manchen akne-pickligen Teenager als Ersatzbefriedigung zum Gitarrespielen animierten. Hardrock und Metal waren zu der Zeit als Marketing-Argumente noch nicht mal erfunden – es genügte, wenn’s fetzte. Und die Wilsons fetzten – you better believe it.

Aber Schönheit und Jugend sind nun mal vergänglich. Man braucht nur jeden Morgen in den Spiegel zu schauen, damit man das niemals vergißt. Und 15, 16 Jahre gingen auch an den zwei Wilson-Schwestern nicht spurlos vorbei, vor allem nicht an der schwarzhaarigen Ann, die seit geraumer Zeit vergeblich mit ihren Gewichtsproblemen kämpft und deshalb die Fotografen scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Nichtsdestotrotz hat sich ihre Plattenfirma entschlossen, noch einmal tief in die Taschen zu greifen: Interviews werden gegeben. Fotos allerdings sind nicht gestattet. Dafür werden eigens die Top-Knipser dieser Welt angeheuert: Gorman, Rolston und wie sie alle heißen. 6000 Dollar pro Tag kostet eine einzige Session, gleich deren drei werden gemacht. Bei dem Aufwand muß die Schönheit ja rüberkommen. Wenn nicht: Der Retuscheur, selbstverständlich der teuerste, ist bereits gebucht.

Auch die Interviews sind trainiert. Mehrere Hollywood-Publizisten haben die Mädchen auf alle Fragen getrimmt. Die Antworten kommen folglich gut poliert und ohne Zögern rüber. Und trotzdem – Nancy hält sich eine halbe Stunde lang krampfhaft an ihren manikürten Händen fest. Bassist Mark Aiides, blond gelockt, mit teurem Hemd und teurer Uhr, kommt ihr prompt zu Hilfe, wenn die Fragen nach dem „Rock After Fourty“ nun doch ein wenig‘ zu lästig werden. „Schau mich doch an! Ich bin 42, stehe auf der Bühne und wackle mit meinem Arsch. Aber mir macht’s nichts aus, verheiratet und Vater zu sein und zugleich vor blutjungen Kids zu spielen.“

Schon möglich. Aber wenn das stimmt, dann war Mark sicher die große Ausnahme. Die Band selbst schlitterte nämlich in Riesenprobleme. Zwei lange Jahre waren sie auf Achse, um das letzte Album BAD ANIMALS unters Volk zu bringen, ein Stück Musik, das zwar immer noch leidlich erfolgreich war, aber doch ….. irgendwie nicht so fetzte“. Es gab Knatsch zwischen den Schwestern. Hotelzimmer gingen zu Bruch, Nancy und Ann reisten nicht mehr zusammen – logische Folge: Trennungsgerüchte. Aber wie läßt man sich von seiner Schwester scheiden?

„Nein, darum ging’s doch nie“, versucht Nancy sofort abzuwiegeln. „Wir hatten in der Tat Meinungsverschiedenheiten über banale Dinge – sonst nichts. Das Ganze wurde reichlich hochgespielt. Warum sollen wir uns nicht mal anschreien dürfen?“ Mark, der Hübsche, muß wieder in die Bresche springen. „Die Band ging durch persönliche Spannungen, aber das ist unter Künstlern nur normal.“ Doch Vertrag ist Vertrag, ’ne Platte mußte her. Die Plattenfirma, die zuläßt, daß sich mehrfach platinveredelte Bands so mir nichts dir nichts auflösen, muß erst noch erfunden werden.

Und siehe da: Nach drei Jahren versucht man’s doch noch mal miteinander – mit dem neuen Album BRIGADE. Was läßt sie denn eigentlich weitermachen – außer dem Drang, die florierende Firma am Leben zu erhalten?

„Musik, Mann! Auf der Bühne zu stehen vor 10000 Menschen! Sie in der Hand zu haben, ihre Gefühle bestimmen zu können! Gefeiert zu werden, ist für mich das größte High. Deshalb versuchten wir auch, diese Platte nicht totzuproduzieren. Wir wollten näher an das rankommen, was wir auch auf der Bühne fühlen. BRIGADE ist die erste Platte von Heart, die ich mir wieder anhöre.“