Heim Werker


Heim und Herd sind ihm heilig, und bei der Garten- arbeit fühlt er sich Ludwig van B. ganz nah. Billy Joel öffnet die Tür zum Ort seiner Inspiration.

So habe ich mir Rock V Roll immer vorgestellt. Sommer, strahlender Sonnenschein und mit Billy Joel am Steuerrad der importierten „Ente“ von Supermodel Christie Brinkley (mit einer persönlichen Widmung von Herstellerfirma Citroen am Armaturenbrett) durch die Hamptons zu fahren und über das Wetter und die Beatles, Levi’s Jeans und die spezielle Mentalität jener Menschen zu reden, die am Ende von Inseln leben. Billy fährt anscheinend schnurgerade aufs Ende der Welt zu: Sanddunen. Strandhafer, rechts, links und geradeaus der Atlantik. Die Sommerpaläste von New Yorks Geldadel liegen längst hinter uns, wir haben vor guten zehn Minuten den Marktplatz von Montauk umrundet, dem letzten Ort am Ostzipfel von Long Island. Billy Joel-Territorium: Hier wuchs er auf, als sich die Eltern in frühen Jahren scheiden ließen und der deutsche Vater, ein Virtuose am Klavier, laut Billy, in die Heimatstadt Nürnberg zurückkehrte. Auf Long Island war es auch, wo William Martin Joel als Vierjähriger für die nächsten zwölf Jahre Klavierunterricht bekam, wo er im Alter von 14 Jahren einer von den Beatles inspirierten Band, The Echoes, beitritt, und auf Long Island ließ sich der Beatlesfan beim Boxtraining die Nase zusammenschlagen.

Billy legt die „Ente“ in eine scharfe Rechtskurve, und wir stehen unvermittelt vor einem Anlegedock. Fischerboote dümpeln im Wasser, direkt am .Hafen‘ steht ein einstöckiges, holzverkleidetes Haus, an dem noch kräftig gearbeitet wird. „Mein neues Büro, oben, erster Stock“, grinst Billy, „in fünf Tagen wollte ich eigentlich dort einziehen. „

Die neue Billy Joel CD RIVER OF DREAMS sollte ursprünglich auch schon fertig in den Plattenläden stehen. Jetzt wird es wohl doch Mitte Juli werden. Grund für Joels Langsamkeit: Der 44jährige Pop-Klassiker mußte zunächst den „Beethoven Code“ knacken, bevor er mit den zehn Songs der neuen CD beginnen konnte. Den Beethoven Code? „Beethoven war schon immer eine große Inspiration für mich und seine Musik hat mich tief bewegt“, sagt Joel, „aberich wußtenie, warum das eigentlich so ist. Bis ich eines Tages erkannte, daß Beethoven Gefühle auszudrücken versuchte. Er hatte, glaube ich, eine sehr ausgeprägte politische Meinung, er litt unter der Ungerechtigkeit, die seinen Mitmenschen von den Fürstenhäusern angetan wurden, Beethoven muß außerdem in seinem privaten Leben sehr unglücklich gewesen sein, und ich begann mich zu fragen, warum hat er dieses Musikstück gerade an jenem Tag geschrieben und kein anderes.“

Und Joel fügt hinzu: „Jeder Song, jedes wirklich gute Musikstück hat einen Code, der nur zu diesem einen Stück paßt und zu keiner anderen Melodie. Ich bin der festen Meinung, daß in jedem guten Musikstück eine Aussage verborgen ist, noch bevor sie überhaupt niedergeschrieben wurde. Denn Musik ist Ausdruck für einen Gefühlszustand, und die Aufgabe des Künstlers ist es zu erforschen, was die Botschaft dieses bestimmten Songs ist.“

Das kann Wochen, Monate oder länger dauern. Besonders wenn man, wie Joel, Musik träumt. Nicht die Texte, sondern den kompletten Sound mit einzelnen Instrumenten, die ganze Pizzascheibe samt Auflage. Wenn dann beim Aufwachen ein fast fertiges Musikstück im Kopf herumschwim. heißt es Sherlock Holmes zu spielen, um die dazugehörigen Textzeilen und Aussagen aufzuspüren. Da hilft es, zugegebenermaßen, wenn man den Code des guten Ludwig von B. geknackt hat.

Joel hat’s geschafft. Das Ergebnis, aus zehn Songs die von einem textlich wie musikalisch harten, aggressiven Opener („No Man’s Land“) über eine voll unverhohlener Einsamkeit und sexueller Lüste kochenden Rockballade („Blonde over Blue“) über den ersten Bluessong, den Joel je veröffentlicht hat („A Minor Variation“) bis hin zu einem zarten, mit viel Streichinstrumenten unterlegtem Wiegenlied an seine siebenjährige Tochter Alexa Ray reicht („Lullabye, Good Nicht, My Angel“).

„Ich bin ein Album Musiker im Sinne der 60er Jahre. Ich halte daran fest, daß eine Platte einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende haben sollte. Das war es, was mich als Hörer an einem Album reizte. Jeder Song war mit dem voraufgegangenen untrennbar verbunden. Ich schreibe einen Song, weil er die Weiterfiihnmg des voraufgegangenen ist, und wenn ich am Ende angekommen bin, bin ich restlos ausgelaugt. So habe ich auch die zehn Songs auf der neuen CD geschrieben. Genau in der Reihenfolge, wie sie auf der Platte erscheinen.“

Und wie’s bei Billy Joel im Kopf ausschaut, in seinem Gedankenfluß, eben jenem „River Of Dreams“, hat die Ex-Pariser Kunststudentin und jetzige Frau Joel, Supermodel und Sonntagsmalerin Christie Brinkley mit dem Pinsel festgehalten. Fürs Cover. Und ganz naiv.