Heinz Rudolf Kunze
Nach vier Jahren ein weiterer schüchterner Versuch, hier in Linz Fuß zu fassen“ -— was soll er auch sagen, wenn die Halle nicht mal zu einem Viertel gefüllt ist? Da klingt der Kunze-Klassiker schon beinahe unfreiwillig komisch: „Ich geh‘ meine eigenen Wege, welcome to this one man show“. In Linz scheint es besonders schwer, die eigenen Wege zu beschreiten. Denn zum Kunze-Konzert im Kulturzentrum Posthof verirrten sich gerade mal 200 Zuschauer — immerhin eine satte Steigerung, denn beim letzten Mal vor vier Jahren waren es nur 50. Die eingefleischten Kunze-Kenner — alle zwischen 25 und 40. besondere Kennzeichen: keine — lassen sich die gähnende Leere allerdings nicht groß anmerken:
Schon nach den ersten Tönen von „Verschwörung der Idioten“ ist der dünn besetzte Saal völlig aus dem Häuschen — „Brille“ ist hier bestens bekannt.
Überhaupt macht Kunze ganz den
Eindruck, als brauche er das Toben auf der Bühne wie gewöhnlichere Menschen die samstägliche Sportschau. Trotz des schlappen Besucherzustroms läßt er in Linz, gelinde gesagt, die Sau raus. Selbst seine Version des eher ruhigen Stones-Klassikers „You Can’t Always Get What You Want“ — nach fast drei Stunden als letzte Zugabe gespielt und eigentlich als Verbeugung vor den Vorbildern gedacht — hat so viel Power, daß Jagger und Richards eigentlich die Rente einreichen müßten, sollten sie Kunze zufällig mal hören. Von ruppigen Eigenkreationen wie „Kriegstanz“ oder“.Doktor, Doktor“ ganz zu schweigen. Kunze braucht nicht viel Klimbim, um sein Publikum mitzureißen — keine verblüffenden Show-Effekte, keine aufwendige Lightshow und keine zeitraubenden Kostümwechsel. Ihm genügen kernige Rock-Rhythmen und eine gesunde Mischung aus fetzigen Nummern und bedächtigen Balladen.
Manchmal allerdings tanzt er auch aus der Reihe. Dann wird er plötzlich ganz ruhig und fängt an. seine eigenen Verse zu rezitieren: Kunze liest Kunze — ganz wie in der Volkshochschule. Er wäre eben doch gerne Dichter geworden. Oder er zieht mit giftigen Seitenhieben über die bundesdeutsche Medienlandschaft her: „Angesichts der Bodenoffensive im Golfkrieg verbieten sie im Radio .Deine Spuren im Sund‘ vom Kollegen Carpendale. „Oder er leitet den nächsten Song ein mit dem Hinweis: „Wenn Ingmar Bergmann und Roland Kaiser ein Wochenende mit Zeh, Papier und Bleistift in Kannen verbringen würden, könnte etwa folgendes dabei herauskommen: .Alles gelogen‘.“
Nur jeweils wenige Minuten dauern diese Ausflüge in Ruhe und Gelehrtentum. dann ist er wieder ganz der alte Rocker und läßt es krachen – beispielsweise mit „Marlowe. finden Sie Mabel“ oder seiner Cover-Version des Kinks-Klassikers „Lola“. Das Publikum läßt beide Kunze-Seelen gelten. Es belohnt Gedichte mit andächtigem Klatschen. Satire mit brüllendem Gelächter und Rock ’n‘ Roll mit johlendem Applaus.
Bleibt nur noch eine bange Frage: Wie bringt man die Leute in einem lausig besuchten Konzert dazu, drei Stunden lang zu toben und dann auch noch viermal nacheinander unerbittlich Zugabe zu fordern? Dafür gibt’s nur eine Erkläruni;: ..Du mußt besser sein. Brille, besser als der Rest.