Helen Terry
Helen Terry ist eine schwergewichtige Dame, die, mit rasenden Kinderaugen gestikulierend, ihrem noch schnelleren Redefluß unter die Arme greift.
An einem Sonnabendmittag sitzt diese eigenwillige Frau mir in einem Londoner Hotel gegenüber und wirkt gehetzt: „Morgen habe ich meinen ersten freien Tag seit drei Monaten. Ich werde Krocket in unserem Garten spielen, außerdem bekommt meine Katze Junge und so werde ich wahrscheinlich mit heißem Wasser herumlaufen.“
Die ganze letzte Zeit der Madame Terry ist vom Culture Club besetzt worden, mit dem sie quer durch Amerika tourte. Denn Helen Terry das ist die voluminöse Soul-Stimme der Culture-Club-Stücke „Church Of The Poison Mind“ und „Black Money“. Wie ist sie denn Boy George begegnet?
„Meine erste Begegnung? Ich dachte, oh mein Gott, ist dieser Junge seltsam! Das war nachts, ich kam gerade aus dem ‚Heaven‘, einer Schwulen-Disco, wo ich in einer Cabaret-Show auftrat. George stand draußen vor der Tür, er war gerade aufgestanden, während ich nach Hause ins Bett wollte.
Er suchte verzweifelt eine Sängerin für den Culture Club – und Marilyn, ein Freund von mir, sagte zu ihm, vor der Tür: ‚Hey George, das ist Helen Terry, die hat auf ‚Walk On The Wild Side‘ mitgesungen, gib ihr ’nen Job!‘ Also gab mir George den Job, ohne Vorsingen!“
Helen Terry war zwei Jahre lang Sessionsängerin bei den Thunder Thighs (Terry: „Prostituierendes Singen für Geld!“), die u.a. auch auf Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ mitwirkten. Hier lernte sie ihr Studiohandwerk, ehe sie dann in New Yorker Jazz Clubs auftrat: „Ich ging in die Clubs, fragte, ob sie einen Sänger für heute Nacht brauchten – und wenn ich Glück hatte, gaben sie mir eine Probe mit dem Pianospieler. In jenen Tagen durchlebte ich meine Phase des hungernden Musikers, ich brauchte das Geld zum Überleben!“
Sie wurde entdeckt und bekam die Stelle einer Gesangslehrerin an einer Kunstschule für Tanz; „Da fand ich mich nun vor all den Schwarzen wieder, die es gewohnt waren, von einem Schwarzen unterrichtet zu werden – aber schließlich brachten wir uns gegenseitig in Verlegenheit, und ich habe beim Lehren selbst viel für meine eigene Gesangstechnik gelernt!“
Helen ist mit der Jazzmusik von Dave Brubeck und Sarah Vaughan aufgewachsen, mit 12 hörte sie Janis Joplin und schließlich den Blues des Captain Beefheart.
Mit ihrer Debüt-Single „Love Lies Lost“ beweist Helen, daß sie eine großartige Rhythm & Blues-Sängerin ist. Zusammen mit Boy George und dem Culture Club-Gitarristen Roy Hay hat sie die R & B-Songs ihres Albums geschrieben, das aber erst im Frühjahr ’85 erscheinen soll.
Die resolute Dame nennt ihr Werk ein ‚transatlantisches Album‘, sie arbeitet in Detroit mit den WAS NOT WAS-Musikern, in New York mit dem Aretha Franklin-Mentor Arif Mardin und Musikern aus der Michael Jackson Crew; in England produziert Steve Levine für sie.
Die zwei Jahre mit Culture Club hat sie genossen, doch will sie sich heute ausschließlich auf die eigene Arbeit konzentrieren: (vielleicht singt sie noch auf der nächsten Club-LP mit).
Helen: „George, Marilyn und ich besuchen uns gegenseitig, wir sind immer noch sehr eng miteinander befreundet. Wenn wir dann beisammensitzen, entdecken wir die Kunst der Konversation – und ich sage dir, dabei gibt es eine ganze Menge zu entdecken!“