Hirn Flimmern
Kennen Sie das, wenn Sie denken, Sie kennen was, aber dann fällt Ihnen auf: Sie kennen es ja gar nicht richtig? Letztens lief gottlob mal wieder “ Blow Up“ im TV, und ich wollte den „mal wieder“ anschauen. Und mir fiel auf: Ich kannte den gar nicht richtig. Sicher: Ich hatte ihn – oder Teile davon – schon ein paar Mal gesehen, aber offenbar nie richtig angeschaut. Es war hinreißend, diesen tollen Film einmal in seiner Gänze und Tiefe in mich aufzunehmen, und hier ist auch schon daspiece ofwisdom dieser Kolumne (die jetzt danach allerdings noch ewig weitergeht): Manchmal braucht’s den fünften oder zehnten endlich mal konzentrierten Anlauf, sich einer Sache anzunähern und ihre Großartigkeit zu erkennen – und den sollte man halt dann auch unternehmen. Eine herrliche Szene, an die ich mich zum Beispiel gar nicht mehr erinnerte, schließt sich an die Konzert-Sequenz an. David Hemmings gerät in ein Konzert der Yardbirds; sie spielen wie die Wilden “ Train Kept A-Rollin'“, Jeff Beck zerdrischt seine Gitarre und wirft den abgebrochenen Hals in die Menge, die augenblicklich komplett durchdreht und sich um das Ding prügelt. Hemmings, mittendrin, erringt den Hals, kämpft sich in einem irren Reißen und Rangeln aus der tobenden Menge frei, rennt wie um sein Leben durch Flure aus dem Club, schafft die Flucht, ist schließlich draußen auf der Straße, holt Luft, kriegt sich ein, blickt dann auf den Gitarrenhals in seiner Hand – und wirft ihn achtlos auf den Gehsteig. Ein junger Passant sieht das, hebt den Hals auf, betrachtet ihn – und wirft ihn dann auch wieder weg. Man kann sagen: So viel zum Thema Memorabilia. Vor langer Zeit, ich war noch vergleichsweise jung, besuchte ich mein erstes großes Open Air auf einer Wiese nahe Ulm; ah Headliner spielte der von mir gerade enorm toll gefundene David Bowie. Am Ende des langen Tages fand ich im Dreck vor der Bühne ein Gitarrenplektrum. Und ging, als sei dies der Logik einziger Schluss, davon aus, dies müsse das Plektrum von David Bowie sein. Dass den ganzen Tag über Bands gespielt hatten und es im Zweifelsfall wohl eher der Gitarrist der Quireboys (nein, ich kannte die auch nicht) gewesen war, der nachmittags ein Pick in die Menge geschlenzt hatte, verdrängte ich. Ich tat das Piektrum in eine Holzschachtel auf meinem Fensterbrett. Dort war es eine Zeitlang mein Bowie-Plektrum, halbheilig. Dann fing ich an, es manchmal zu benutzen, wenn kein anderes zur Hand war. Irgendwann waren dann auch andere Plektren in der Box, und mit den Jahren verschwamm meine Erinnerung, welches der drei, vier nun eigentlich das Bowie-Plektrum – also: das Piektrum aus dem Ulmer Matsch war. Heute habe ich eine kleine Holzbox, und wenn ich sie nicht aufmache und genau nachsehe und fest dran glaube, ist da ein Piektrum von David Bowie drin. Es ist ein bisschen wie mit Schrödingers Katze, und auf einer Sammlerbörse würde ich damit wohl keinen Stich machen. Aber in der Schachtel ist eben auch eine gute Erinnerung mit drin. Und die haut hin.