Hoe_Mies im Interview: „Es gibt gute deutsche Rap-Mucke, die woke ist – sie soll aber auch tanzbar sein“
Das DJ-Duo Hoe_Mies über den schmalen Grat zwischen Musikgeschäft und politischem Aktivismus, kreative Impulse während der Pandemie und spannende Newcomer*innen.
DJs, Podcasterinnen, Aktivistinnen: Die Bandbreite der Hoe_Mies ist groß. Gizem Adiyaman und Lucia Luciano alias LuciaLu und Meg10 setzen sich nun seit drei Jahren für mehr Diversität in der HipHop-Szene ein. Ihre Partyveranstaltungen sollen Schutzräume für Frauen und LGBTQ-Personen bieten, die sich sonst in dem männerbesetzten Musik-Genre nicht repräsentiert sehen. In ihrem Podcast „Realitäter*innen“ sprechen sie mit ausgewählten Gästen unter anderem über Sexismus in der Musikbranche, aber auch über Obdachlosigkeit während der Pandemie. Auf diese Weise versuchen sie Musik, Party und politischen Aktivismus miteinander zu verbinden. Wir haben uns mit Gizem Adiyaman zu einem Interview getroffen, um mit ihr über den Status Quo der deutschen HipHop-Szene, die Gratwanderung zwischen Musk-Business und politischem Aktivismus sowie kreative Impulse während der Corona-Zeit zu sprechen.
Musikexpress.de: Seit 2017 veranstaltet Ihr eine inklusive Eventreihe. Gleichzeitig klärt Ihr im Podcast „Realitäter*innen” über Sexismus im HipHop auf. Hat sich der Status Quo in der deutschen Szene mittlerweile verändert?
Gizem Adiyaman: Ja, ich finde es hat sich dahingehend was getan, dass das Potential von weiblichen Künstlerinnen im HipHop mehr gesehen wird. Das hat nicht allzu viele Fairness-Gründe, sondern kommerzielle. Es steht ein Markt dahinter. Das sieht man zum Beispiel in den Staaten. Weibliche Rapperinnen können dort koexistieren und es funktioniert für alle. Die Zeiten, in denen man dachte, es kann nur Eine geben, sind zum Glück vorbei. Das realisieren die Leute hierzulande auch und investieren dementsprechend in Nachwuchskünstlerinnen. Trotzdem ist deutscher HipHop noch immer total homophob, queer- und transfeindlich und natürlich immer noch sexistisch. Da würde ich mir wünschen, dass wir mehr queere Rapper*innen bekommen. Auch transgeschlechtliche. Die gibt es ja auch in anderen Ländern.
Seht Ihr die Gefahr, dass feministische Ansätze durch diesen „Markt” instrumentalisiert werden und dass politischer Aktivismus durch einen „Hype” geschwächt werden könnte?
Adiyaman: Ja, durchaus! Ich habe bei manchen Tracks schon das Gefühl gehabt, dass dort eher Marketinginteressen im Fokus stehen, als das eigentliche Thema. Oder dass sich wirklich mit Diskriminierung und Ungleichheiten auseinandergesetzt wird. Das ist dieses typische ‚Woke signaling‘. Das beste Beispiel dafür war, als alle dieses schwarze Bild bei Instagram gepostet haben, als die „Black Lives Matter“-Bewegung sehr im Fokus stand. Ich finde es gut, dass sich Leute damit auseinandersetzen. Aber das sollte keinen Trend-Charakter haben. Manche Menschen haben einfach nicht die Wahl, ob sie nun weitermachen mit dem nächsten Thema, weil sie jetzt keinen Bock mehr auf das andere haben. Das gibt es natürlich auch in der Musik. Es gibt schon gute Rap-Mucke aus Deutschland, die woke und conscious ist. Zu der Mucke sollte man aber auch tanzen können. Wie bei CHICKA oder Rapsody zum Beispiel. Ich würde mir mehr solche Artists für den deutschen Markt wünschen. Ebow zum Beispiel. Die hat politische Messages und ist gleichzeitig supercool.
Bei Euch geht es ja auch in eine Business-Richtung. Wie weit wollt und könnt Ihr gehen, ohne Eure Ideale zu verraten?
Adiyaman: Das ist eine stetige Auseinandersetzung, die wir haben. Auch weil ich Politik studiert habe und eine super linke Phase hatte in meiner Schulzeit. Ich war auch sehr kapitalismuskritisch. Und dann merkt man plötzlich, dass man schon sehr Teil dieses Systems geworden ist. Allein die Tatsache, dass wir letztes Jahr über 100 Gigs gespielt haben. Dann kauft man sich neue Outfits und merkt, man konsumiert ganz schön viel. Das ist bei uns ein ständiger Reflektionsprozess. Wir überlegen auch immer, mit wem wir zusammenarbeiten können und mit wem nicht. Letztendlich werden sich Leute immer auf irgendwas stürzen, weil sie etwas scheiße finden. Gerade dann, wenn du einen politischen Anspruch hast. Aber solange für uns klar ist, warum wir mit wem zusammenarbeiten, ist das in Ordnung. Ich lasse mir da nicht so viel reinreden. Aber natürlich sind wir offen für Kritik und lernen ständig dazu.
Wie geht Ihr mit der aktuellen Corona-Situation um?
Adiyaman: Am Anfang war es so, dass wir ein paar Streaming-Gigs hatten. Und wenn wir keine hatten, haben wir selber welche organisiert zusammen mit Salwa Houmsi. Da haben wir uns dann jeden Mittwoch über einen Live-Stream unterhalten. Meistens ging es um Musik und um Auflegen, aber auch um Female Empowerment. ‚Wie lernt man aufzulegen oder sich Gigs zu holen?‘ Das ist mittlerweile ein bisschen abgeebbt. Mir persönlich bringt es auch nicht so viel zu Hause zu streamen und Kommentare zu lesen. Ich brauche die Energie des Publikums. Was gut daran war – und das ist eine sehr privilegierte Sicht –, dass man über das eigene Handeln und Tun nachdenken konnte, um sich zu überlegen, welche Spuren man eigentlich hinterlassen will. Diese Entschleunigung war hilfreich, nachdem wir auf Tour waren, auf Festivals spielten und unsere Party in andere Städte brachten. Die Sicht ist deswegen privilegiert, weil wir natürlich noch unseren Podcast haben. Der startete im Februar und im März ging es in den Lockdown. Man könnte fast sagen: ‚gutes Timing‘.
Wie sollte man als Künstler*in allgemein mit der dieser Situation umgehen? Habt Ihr da nützliche Erfahrungen in Eurer Community gesammelt?
Adiyaman: Es wird auch wieder andere Zeiten geben. Darauf muss man vertrauen. Viele DJ-Kolleginnen von mir sind sehr frustriert, was ich nachvollziehen kann. Viele haben dieses Jahr erst angefangen aufzulegen und wollten natürlich Club-Gigs spielen. Das geht halt gerade nicht. Aber man darf nicht verzweifeln. Leute bringen gerade viel Musik raus, denn jeder hat Zeit Content zu konsumieren. Deswegen brauchen wir weiterhin kreative Menschen und Musiker*innen. Die Leute müssen weiterhin ihr Ding machen. Man kann sich auch einen neuen Skill aneignen. Ich habe mir jetzt selbst das Produzieren beigebracht. Damit gehe ich dann aus dieser Pandemie heraus.
Ihr habt erwähnt, dass es Euch wichtig ist, den Leuten Musik näherzubringen, die außerhalb des Mainstreams stattfindet. Gelingt Euch das? Wen sollte man auf dem Schirm haben?
Adiyaman: Ehrlich gesagt, finde ich diese DJs ein bisschen peinlich, die betonen müssen, dass sie irgendeinen Künstler oder eine Künstlerin schon früher gekannt haben. Aber ich selbst gehöre auch dazu. Ich fahre halt mehr auf internationale Mucke ab. Aber ich freue mich, wenn hier jemand abgeht. Da gibt es ein queeres Pop-Duo, die heißen FHAT, die haben wir zum Beispiel schon für Events gebucht. Gianni Mae haben wir damals nach Berlin geholt und die ist jetzt auch hier geblieben und macht Musik. Wir haben auch eine Playlist auf Spotify, die heißt „Clitney Houston“. Da versuchen wir auch deutschen Artists ein bisschen mehr Gehör zu verschaffen im Bereich HipHop, Dancehall und RnB. Diese Listen haben wir bei unseren Partys gespielt, um den Leuten Artists zu zeigen, die sie nicht kennen. Der Fokus liegt natürlich darauf, weibliche und queere Künstler*innen zu pushen. Das hat voll gut funktioniert. Manchmal schicken uns Leute sogar Sachen zu, die wir nicht kennen. So einen direkten Austausch zu haben ist schön und wichtig.