Hollies: Noch immer eine Hitfabrik


Wenn Allan Clarke ins rote Scheinwerferücht tritt, das Mikro ergreift und „Tarn Alive“ anstimmt, möchte man sich gerne der Illusion hingeben, es sei 1965, die Schulfete hätte gerade begonnen und man müßte Angst haben, beim Knutschen in der dunklen Mattengruft hinten in der Turnhalle erwischt zu werden. Indes schreiben wir 1977, Allan Clarke singt „Im Alive“ bei einem Konzert im Kuppelsaal der Stadthalle von Hannover und der Songtitel ist mehr denn je eine Erkennungsmelodie der Hollies: Es gibt sie noch, dreizehneinhalb Jahre nach ihrem allerersten Hit; sie haben noch immer Erfolg, sind quicklebendig und bringen frisch und knackig einen repräsentativen Querschnitt ihrer Laufbahn auf die Bühne.

Allan Clarke (voc), Terry Sylvester (git, voc), Tony Hicks (git, voc), Bern Calvert (bass) und Bobby Elliot (drums) spielen noch immer über ihre alten Vox ac 50-Verstärker, einzig durch ein aufwendigs Gesangs-PA ergänzt. Für allen anderen modischen Schnick-Schnack wie Synthesizer etc. ist ein neuer Mann zuständig: Pete Wingfield (keyboards), kein Hollie, sondern der „Cousin eines Hollie“, wie Manager Robin Britton anmerkt. Die jüngste Tournee der Gruppe diente dazu, die neuen Alben, „Russian Roulette“ und „Hollies Live vorzustellen; deshalb stehen Songs wie das ironische „Daddy Don’t Mind (what Daddy don’t see)“ und das lateinamerikanisch aufgemachte „Draggin‘ My Heels“ im Mittelpunkt des Repertoires.

Erstaunliche Präzision im Harmoniegesang und im Umgang mit den Instrumenten bei eher zurückhaltender Lautstärke sind kennzeichnend für dieses Konzert. Da verblüfft noch immer das kanonartige Doppelgitanensolo in „Bus Stop“, noch immer kann Allan Clarkes Stimme, deren Klarheit Paul McCartney einmal mit einer Bachtrompete verglich, mühelos einen riesigen Saal ausfüllen („He Ain’t Heavy, He’s My Brother“). Dann ein Stück, „das wir neulich nach einem Reeperbahnbummerl komponiert haben“: Stop, Stop, Stop“, Tonys Banjo brilliert, der Drive stimmt – und fast möchte man Allans Schwindelei glauben, wenn man nicht wüßte, daß Graham Nash das Stück vor zwölf Jahren geschrieben hat. Für seine hohe Stimmlage. Und obwohl Tony Hicks und Terry „harmony“ singen, hört man Graham „Willie“ Nash noch immer durch die „upper vocals“ geistern, wenn man die Augen schließt.

Sendepause nach 21 Volltreffern

Obwohl die Hollies auf ihren letzten Alben rockiger wurden, Bläser einsetzten, ihre Engelsstimmen zum Funkyfalsett zusammenmischten („Wiggle That Wotzit“), obwohl sie sich für „Daddy Don’t Mind“ und „Russian Roulette“ zugegebenermaßen (vergl. Interview) von den Eagles, Steely Dan und den Doobie Brothers anregen ließen, sind sie auf der Bühne immer noch die eher leichtgewichtigen „Peers Of Pop“, zu denen sie vor zehn Jahren gekürt wurden. Freundlich, fröhlich, nonchalant. Hinter ihnen liegt eine fast einzigartige Karriere, aber auch eine schwere Zeit, in der die Gruppe auseinanderzubrechen drohte. Die Hollies wissen noch genau, wie demütigend es war, als sie in weißen Dandyanzügen vor einem Publikum auftraten, das plötzlich auf Jeans, Parkas, Supermatten und „progressive Musik“ umgeschaltet hatte und die Hollies verlachte und auspfiff. Um 70/71 herum waren sie fast vom Fenster weg, und das, obwohl sie in England eine Hitbilanz von 21 Treffern vorweisen konnten, die nur von den Beatles, Cliff Richard und Elvis Presley übertroffen wurde.

Ende 1971 verließ Allan Clarke die Band, nahm ein erfolgloses Soloalbum auf („My Real Name Is Arnold“), und die Hollies mußten sich einen neuen Sänger suchen. Mikael Rikfors von der schwedischen Gruppe Bamboo sprang ein. Es war eine Katastophe: „Auf der Bühne war er unsicher, und obwohl er im Mittelpunkt stand, fürchtete sich Mikael vor den Spotlights. Es war eine so beschissene Situation, ich begann, alles zu hassen, hatte Tränen in den Augen, denn ich wußte, wie gut wir sein konnten. Es war Betrug am Publikum, das die Hollies hören wollte“, erzählte mir Terry Sylvester beim Interview vor dem Konzert. Rikfors mußte gehen, obwohl er sich im Studio bewährt hatte, und die Hollies mit ihm sogar wieder einen Hit verbuchen konnten („The Baby“).

Terry Sylvester packt aus

Allan, der für die Fans solo auch nur die Hälfte wert war, kam ’73 zurück. Ab sofort ging es wieder aufwärts: „The Air That I Breathe“ wurde unser größter Hit überhaupt,“ sagt Terry, dem man seine 30 Jahre nur ansieht, wenn er die schwarzen Haare nachdenklich aus der Stirn streicht. „Seit dreizehn Jahren bist Du verheiratet und hast Kinder,“ fragte ich Terry Sylvester, „wie verträgt sich eigentlich das Herumtouren mit dem Familienleben?“

Terry: Irgendwie hat das immer hingehauen. Ich kenn’s auch gar nicht anders, seit ich bei den Ascots und den Swinging Blue Jeans spielte. Für mich bedeutet in einer Band zu spielen und auf der Bühne zu stehen gar nicht mal, daß ich nur Platten machen kann. Das ist eher nebensächlich. Ich möchte sogar sagen, daß, wenn der Tag kommt, an dem die Hollies nicht mehr live auftreten, die Band am Ende ist.

ME: Entstehen also auch Eure Songs unterwegs?

Terry: Ja, das heißt manchmal, wenn wir einen Tag frei haben, und unsere Stimmen nicht für einen Auftritt schonen müssen. Häufig treffen wir uns bei Robin (Britton) und fangen einfach an, etwas zu komponieren. In Robins schönem Londoner Haus sind wir für niemanden zu erreichen, wir unterhalten uns, trinken was,und aus den Geschichten entstehen oft die Lyrics für die Songs. Das klingt sehr profan und professionell. Aber es ist schon so, unsere besten Lieder sind so entstanden. Manchmal hat aber auch einer schon die kompletten Texte in der Tasche, dann arbeiten wir mit akustischen Gitarren die Grundmelodie aus. Fertig. Zuhause komme ich nicht zum schreiben, weil die Kinder stören oder das Telefon klingelt.

ME: Auf Eurer jüngsten LP „Russian Roulette“ sind starke Einflüsse der neueren amerikanischen Musiktrends hörbar, die Eagles scheinen Eure Lieblingsgruppe zu sein. Übernehmt Ihr bewußt musikalische Ideen von anderen?

Terry: Nun, man kann nicht behaupten, daß wir direkt kopieren. Aber das mit den Eagles stimmt: Als ich „Livin‘ Eyes“ zuhause auflegte, fragte mich mein Sohn: „Ist das Eure neue Scheibe, hört sich gut an.“ Wir hören auch viel Steely Dan oder die Doobies. Warum sollte ich das nicht zugeben? Schließlich ist es ja so: Wenn wir uns heute von Westcoastgruppen beeinflussen lassen, wissen wir, daß diese Gruppen zuerst von den Hollies beeinflußt worden sind…

ME: Und mit Euch gemeinsame musikalische Vorfahren haben, die Everly Brothers…

Terry: Das dauert bis zum heutigen Tag an. Phil Everly hatte in England eine Single veröffentlicht, die für ihn ein Flop wurde: „The Air That I Breathe“. Wir dachten, es sei ein hübscher Song und haben ihn aufgenommen.

Songthemen aus Amerika

ME: Alle neuen Songs klingen, als würdet Ihr ständig in den Staaten leben. Ihr wohnt aber, den hohen Steuern zum Trotz, noch immer in England. Wie kommt es also, daß Ihr von Spielhöllen in New Orleans und so typisch amerikanischen Begebenheiten wie die Liebe auf dem Rücksitz im Autokino, „Heavy Chevy Soft-Top Down“ („Daddy Don’t Mind“) erzählt?

Terry: Amerikanisch ist für Rocksongs der einzig geeignete Slang. Wenn ich an „The Road“ denke, stelle ich mit einen US-Superhighway vor. „By The Time I Get To Phoenix“ ist fantastisch! „By The Time I Get To Manchester“ klingt dagegen einfach nicht so gut.

ME: Ist das aber nicht auch ein Ausweichen in die Exotik? Ich meine, Ihr seid keine „bad boys“ wie etwa die Stones. Es gibt bei Euch keine Skandale und keine kaputten Hotelzimmer. Andererseits könnt Ihr heute wohl kaum noch Songs wie „Too Young To Be Married“ schreiben…

Terry: Richtig, mit der Faszination des Exotischen hat es schon etwas zu tun. Oft ist es aber nur die Fantasie, nicht unser wirkliches Leben. Allan zum Beispiel hat einen Cowboy-Fimmel, aber es ist eben nur ein Tick; darum ist er trotzdem ein sehr wohlerzogener Bursche. „We’re civilised people“, und wenn wir Mobiliar demolierten, würden unsere Kinder nicht schlecht staunen. Außerdem wollen wir uns keine Feinde machen. Wir nehmen so schnell auch nichts übel, nicht mal ’ne schlechte Kritik.

ME: Hast Du Dir schon einmal überlegt, was Du machst, wenn es die Hollies nicht mehr gibt?

Terry: Tja, eigentlich nicht so richtig. Ich habe aber zumindest etwas Geld auf der hohen Kante. Außerdem Einnahmen aus meinem Musikverlag; Robin ist mein Kompagnon. Außerdem glaube ich, daß für jeden von uns die Möglichkeit besteht, bei einem Plattenkonzern zu arbeiten. Bei der Erfahrung, die wir haben! Aber noch steht das ja nicht zur Debatte. Wir werden bestimmt noch ein paar Jahre weitermachen.