Ideal – Fröhlich und provokativ
Wurde langsam Zeit, daß wir mal 'ne Geschichte über Ideal bringen, gelle? Aber manchmal müssen Dinge reifen - auch bei uns!! - und Ingeborg Schober traf "Annette, Effjott und die anderen erst jetzt in München...
Der Berliner Rock-Circus ist in München und die Stimmung im Schwabinger Bräu ist ausgezeichnet. Denn gerade haben Ideal einen exzellenten Auftritt beendet. Oben auf dem Rang, wo Musiker und Veranstalter ihr Privat-Eck haben, herrscht hektische Betriebsamkeit. Umbaupause für die Insisters. Ob wir dazwischen ein Interview mit Ideal machen können? Einer vom Personal ist dagegen, Annette jedoch dafür. Annette Humpe ist Sängerin, bedient die Keyboards und schreibt die Texte: „Mir liegt Triviales, ich bin gern sentimental.“ In ihrem Marlene-Dietrich-Aufzug sieht sie viel jünger aus als sie ist. Eine kesse Berliner Göre, die immer gleich zur Sache kommt. Früher hat sie als Pianistin in Transvestiten-Bars getingelt, in verschiedenen Berliner Gruppen gesungen, zuletzt bei den X-Pectors, deren Mitglied auch Gitarrist Eff Jott Krüger war. Ob sie das mit der Musik als Beruf ansieht: „Na, klar, was soll ich denn sonst machen? Du lebst doch auch von deinem Job.“
Eigentlich will Annette das Reden heute lieber Eff Jott und Schlagzeuger Hansi Behrendt überlassen. Doch im Flur der Konzerthalle ist es so laut, daß man sein eigenes Wort nicht versteht. Wir geben auf, als die Insisters mit ihrem Set anfangen. Hansi hat ebenfalls eine Menge musikalische Erfahrungen vor seiner Zeit bei Ideal gesammelt, zum Beispiel bei Volker Kriegels Mild Maniac Orchestra. letzt trommelt er sauber, präzise und gradlinig moderne Ohrwürmer. Gassenhauer ist die Bezeichnung, die mir zu Ideals Liedern einfällt.
Der zweite Anlauf zu einem Interview verläuft zwar auch nicht ungestört, aber effektiver. Bassist Ulli Deuker ist der einzige, der noch in der Halle war, nachdem die Insisters von der Bühne sind. „Wir kennen das Programm ja schon auswendig“. Ulli spielte bei Linkerton und beim Margo-Quintett. Ein Jahr sind Ideal in dieser Besetzung nun zusammen. Ja, seit März oder April 80. Aber wir haben früher schon mal locker zusammengespielt, auch ein paar Stükke gemacht. „Berlin“ ist schon im Februar entstanden, bei einer Art Session. Alle haben damals noch in anderen Bands gespielt, aber wir haben uns so gut verstanden und es kam viel dabei raus, wenn wir zusammen gespielt haben, da haben wir gedacht, warum machen wir nicht zusammen eine Band auf.“
Soweit die kurze Entstehungsgeschichte von Ideal. Über Nacht bekannt wurde die Gruppe durch den Auftritt als Vorgruppe zu Barclay James Harvest, als diese Ende Juli vor dem Berliner Reichstag spielten. Kurz darauf nahmen sie ihre erste Single auf, und zwar im Wilmersdorfer „Beat-Studio“, das mit Senatsgeldem finanziert wurde. „Das war ‚Berlin‘, das auch auf der LP ist und ‚Männer gibt*s wie Sand am Meer“, ein alter Schlager aus den 50er Jahren, den wir neu arrangiert haben.“ Es scheint so, als ob Ideal ein Faible für solches Schlagergut habe. Annette, die ja die Texte macht, ist schon ein bißchen davon beeinflußt. Und ich finde zum Beispiel, daß die Schlager zum Teil auch unheimlich originell waren. Das kann man schon akzeptieren.“ Hat die normale Rockmusik bei euch keine Spuren hinterlassen? „Ich würde sagen, von den Arrangements her, bei er Gitarre, beim Baß und Schlagzeug, ist schon Einfluß von New Wave drin. Aber wir würden uns nicht als New-Wave-Band bezeichnen. Und zu der neuen deutschen Welle gehören wir vielleicht nur am Rande, aber nicht direkt.“
Ideal hat sich selbst als Tanz-Band, als Unterhaltungscombo bezeichnet. Was seid ihr nun? Das Aushängeschild der Berliner Szene? „So würden wir uns bestimmt nicht bezeichnen. Also mich stören schon so Etiketten, die man angehängt bekommt. Aber das kann man wohl nicht vermeiden, die Presse braucht solche Aufhänger und sucht sie.“ Mit Annette habe ich über ihren Auftritt in der Fernsehsendung „Aspekte“ gesprochen, von dem sie nicht gerade begeistert war. Sowas würde sie nicht mehr machen, nur Playback im Studio. (Trotzdem treffe ich eine Woche später die Gruppe in München wieder, wo sie eine Playback-Aufzeichnung für „Rockpop“ macht). Ich frage Ulli, ob sie es sich überhaupt leisten können, auf Fernsehauftritte zu verzichten? „Nein, man sollte halt versuchen, sich etwas Originelleres einfallen zu lassen. Fernsehen ist eine unheimlich gute Werbung. Viele Leute haben uns überhaupt erst durch „Aspekte“ kennengelernt. Aber anstelle von diesem Kaulquappen-Playback sollte man vielleicht ein Video machen. Man muß nur sehen, inwieweit die Fernsehsendungen dazu bereit sind.“ Ihr wehrt euch also nicht gegen Popularität wie viele andere deutschen Gruppen? „Nee, das können wir uns auch gar nicht erlauben. Und das ist auch nicht der Sinn der Sache – Popularität an sich ist ja erst mal eine ziemlich wertfreie Sache.“ Ihr haltet also nicht viel von dem Trend in der neuen deutschen Welle, erst mal eine Kultband zu sein? „Nicht in dem Maße, nein. Wir sind natürlich auch schon ein bißchen länger im Geschäft und haben einige Erfahrungen gemacht, wie man den Leuten gegenüber auftreten muß, die einen vermarkten wollen. Das ist zwar noch nicht der Weisheit letzter Schluß, aber Eff Jott zum Beispiel ist ein Typ, der auch geschäftlich was drauf hat. Der kann verhandeln, die Interessen der Gruppe vertreten und behält immer den Überblick. Und bei der Firma, bei der wir sind und die ziemlich klein ist, sind wir inzwischen der Renner. Die sind also froh, daß sie uns haben. Andererseits finden wir die Bedingungen da auch ganz dufte. Wir können zum Beispiel unser Styling, unser Outfit und unsere Plattenhüllen sehr beeinflussen. Wir können Vorschläge machen. Die entscheiden zwar, aber sie würden es niemals darauf ankommen lassen, mit uns zu brechen. Die machen im Prinzip das, was wir uns vorstellen. Und wir machen uns auch sehr viel Gedanken darüber, wie wir zum Beispiel in der Öffentlichkeit auftreten und uns darstellen wollen. Und die Firma unterstützt das einfach.“
Ideal betreibt also Imagepflege? „Das ist vielleicht übertrieben. Aber ich finde schon, daß man das ein bißchen kontrollieren muß. Liveauftritte und Covergestaltung sind eine wichtige Angelegenheit. Musik ist zwar nach wie vor die wichtigste Sache für uns, aber das Drumherum ist auch wichtig. Zum Beispiel die optische Präsentation. Wir haben zu „Berlin“ und „Luxus“ Videos produziert. Ich würde nicht sagen, daß wir dabei die Rolle der Industrie übernehmen, nach dem Motto ‚wie können wir die Jungs am besten verkaufen‘, wir machen nur das, was wir vertreten können. Outfit und Styling, das ist auch eine Sache, das darf nicht aufgesetzt sein. Man muß dahinterstehen können, daß muß eine Art Selbstdarstellung sein. Ich fühle mich zum Beispiel in dieser Rolle mit Hut und Brille wohl.
Es macht mir Spaß, bei „Telepathie“ zu singen und über die Bühne zu stapfen. Das ist nach wie vor immer noch Popmusik und nicht Jazz, wo die Leute im karierten Hemd sich hinstellen und schüchtern spielen.“
Wer Ideal einmal live gesehen hat, der weiß, das diese Gefahr nicht besteht. Schüchtern ist diese Gruppe auf der Bühne wirklich nicht, eher aufgekratzt und fröhlich-provokativ. Ideal verkauft sich gut, sogar sehr gut. „Um die 40 000 LPs sind weg, wie ich gehört habe. Das ist verdammt gut. Wir wundern uns selbst.“ Die LP ist noch nicht einmal ein Jahr alt und wurde für das hauseigene Plattenlabel IC von Elektroniker Klaus Schulze produziert. Ich frage Ulli, ob sie was Neues planen? Ja, im Mai. Wir sind schon jetzt dabei, ein paar neue Stücke zu machen. Eines hast du ja auf der Bühne gehört, ‚Feuerzeug‘ (noch ein moderner Ideal-Schlager zum Mitsingen in der Badewanne), das ist im Februar entstanden. Drei oder vier sind schon fertig, an anderen arbeiten wir noch. Also, ein Grundkonzept für die nächste LP ist da und Ideen auch mehr als genug. Im Moment brauchen wir echt keine Angst zu haben, daß uns die Ideen ausgehen würden, und ich hoffe, daß das auch bei der dritten so läuft.“
Ideal plant also weit voraus. Eine Gruppe, die wirklich professionell arbeiten will und die besten Voraussetzungen dazu mitbringt. Beim „Berliner Rock-Circus“, der im März durch Deutschland reiste, waren sie zwischen Tempo, Z, Insisters und Morgenrot die frischeste und über überzeugendste Gruppe. Dabei gab’s zum Anfang der Tournee für Ideal Probleme. Annette war krank, und die Band konnte erst ab Neu-Isenburg mitmachen. Und gleich am zweiten Tag, in Düsseldorf, wurde ein Konzert völlig abgesagt. „Das lag an der Organisation, am örtlichen Veranstalter. Das war eine Universität und mit denen haben wir, was Organisation betrifft, immer schlechte Erfahrungen gemacht.“ Was für Erfahrungen haben die Musiker selbst mit sich auf dieser Package-Tour gemacht, wo man tagtäglich zusammen auf engstem Raum auskommen muß? Oder hat man sich schon vorher gut gekannt? „Ich würde sagen, es gibt so ein paar private Kontakte in der Berliner Szene, aber eigentlich sind die sehr gering. Man hört immer Berliner Szene und stellt sich da die Hölle vor. Aber es ist einfach nicht so, daß alle zusammenarbeiten und ein ständiger Austausch stattfindet. Höchstens, daß man zu den Konzerten der anderen Bands geht. Ich zum Beispiel gehe auf viele Konzerte. Aber der direkte, persönliche Kontakt ist nicht besonders. Ich könnte ihn mir besser vorstellen. Aber die Tour hier hat einen ganz klaren Effekt. Die Leute lernen sich besser kennen und Vorurteile, die aus dem Konkurrenzkampf resultieren, der natürlich da ist, sind ziemlich weg. Ich habe das Gefühl, daß unheimlich viel Kollegialität herrscht, eigentlich eine ganz gute Stimmung.“
Die Berliner Szene hat in letzter Zeit viel Aufsehen erregt und wird vom Senat auch unterstützt. So trägt dieser das Minus dieser Tournee, falls eines entstehen sollte. Besteht nicht die Gefahr einer totalen Vermarktung der Berliner Szene? „Ja, das hat auch schon schlechte Auswirkungen gehabt. Nicht für uns, wir haben Glück gehabt. Aber Tempo zum Beispiel haben mit ihrer Firma gebrochen. Die sind mit ihrem Plattenvertrag schlecht gefahren. Und noch eine geschädigte Band ist Z. Das sind ganz klar die ersten schlechten Auswirkungen. Die Berliner Szene ist vielleicht noch nicht so vermarktet worden wie die Hamburger. Nur ein Beispiel: als das mit unserem Vertrag bei IC noch nicht klar war, haben wir unsere Bänder vielen großen Firmen angeboten, die gar nicht darauf reagiert haben. Es war also kein totaler Run der Firmen auf alle Berliner Bands da.“
Nun, vielleicht passiert das noch, gerade durch den Erfolg von Ideal. Aber das wäre wirklich nicht positiv. Denn ob es dann bei allen so ideal wie bei Ideal laufen würde, ist zu bezweifeln. Toll war‘ s natürlich schon – oder besser gesagt „ganz einfach irrrre!“