Iggy Pop Über Jazz


Wenn wir alt sind, hören wir alle Jazz. Oder besser noch: Wir machen welchen. Sogar der wilde Ober-Stooge Iggy Pop macht jetzt Jazz. Nicht zuletzt, weil er heute endlich die Stimme dafür hat.

Warum macht ein gestandener Rocker wie du auf seine alten Tage ein Jazzalbum?

Im Rock geht es immer um dieselben Themen: Ich töte dich – ich ticke dich – ich nehme dir dein Geld weg – was bin ich doch für ein toller Typ! Oder man stilisiert sich zum neuen politischen Führer. Das ist nicht mein Ding. Ich wollte mal ein anderes Spektrum von Gefühlen ausdrücken. Auf einem Album, das in Richtung Jazz tendiert, kann ich viel intimer sein. Jazz stellt viel größere Anforderungen an den Hörer. Deshalb ist mein neues Album zudem relativ kurz. Ich gebe mich einfach der Musik und meinen Gefühlen hin.

Ist Jazz für dich der bevorzugte Stil, um Alter und Sterblichkeit auszudrücken?

Vielleicht liegt das ja am Jazz selbst. Er ist eine aussterbende Kunstform, die ihre Höhepunkte langst hinter sich hat.

Aber Jazz hat einen speziellen Geruch, den ich schon immer mochte. Mein Album ist sicher keine echte Jazzplatte, aber es beschäftigt sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Jazz. Ich habe sogar ein ganz traditionelles Jazzstück darauf, das entstand, weil ich zum konkreten Zeitpunkt gerade Musik von Louis Armstrong hörte. Die meisten Tracks fühlen sich jedoch einfach nur jazzig an.

Der traditionelle Jazz scheint dir ohnehin mehr zu liegen als die Jazz-Avantgarde.

Daran hat der Klarinettist des Albums (Marc Phbaneuf – Anm. d. Red.) großen Anteil. Er ist ein viel beschäftigter Broadway-Musiker. Während der Aufnahmesessions habe ich ihn nicht persönlich getroffen. Ich konnte ihn nur hören und hatte wundervolle, romantische Bilder von ihm und den anderen Bläsern vor Augen: bleiche, ausgemergelte Gestalten mit fetten Bäuchen, spärlichem Haar, abgetragenen Klamotten und brennenden Zigaretten. Als wir uns bei einer TV-Show in Frankreich kennenlernten, entpuppte er sich als das komplette Gegenteil. Er war überhaupt keiner dieser coolen Typen, die in irgendeiner Bar vergessen worden sind, sondern ein professioneller Musiker, dem es gut ging.

Vielleicht wird der Jazz ja untergehen, aber seine Klischees werden sicher überleben.

Oh Mann, es gab so wundervolle Jazzalben. Ich habe gerade ein tolles Buch über John Coltrane von Ben Ratliff gelesen. Er beschreibt, wie Coltrane lange Zeit nur einen festen Auftrittsort hatte. Das war eine fiese Mafiabar auf der Westside von New York. Sowie die Musik los ging, wurden die Getränke doppelt so teuer. Die Garderobe war ein Auto draußen vor dem Club. Ich liebe diese Geschichten. Alan Lomax hat ein fantastisches Buch über Jelly Roll Morton geschrieben, in dem er von den Bordellen erzählt, in denen der Jazz von New Orleans anfangs hauptsächlich stattfand. Ich mag diese Legenden, die davon erzählen, wie sich diese Musik in diesen dreckigen Kaschemmen zwischen Nackttänzerinnen, billigem Fusel und Drogen entwickelt hat.

Was hast du von den Meistern des Jazz gelernt?

Vor allem habe ich von ihnen viel über die Schönheit der Melodie gelernt. Die Musik dieser Leute konnte noch so komplex und virtuos sein, sie hatten doch immer ein unbeschwertes Verhältnis zur Melodie. Man lernt von ihnen, wie man seine Attitüden allein mit der Musik zeigen kann. Jimi Hendrix sagte mal, er spiele immer tongue-in-cheek. Dieser besondere Humor findet sich auch in gutem Blues. Die wichtigste Lehre des Jazz ist aber, dass die beste Musik stets subtil ist. Sie ist niemals steif. Der größte Teil der aktuellen Musik ist unglaublich steif. Jazz hatte stets die besten Interpreten und Arrangeure. Er fließt.

Ist Jazz für dich mehr eine musikalische Kategorie oder eine Lebenshaltung?

Definitiv eine Lebenshaltung. Im Sinne Norman Mailers war ich immer eine An „weißer Neger“. Jazz steht für mich für den leichtfüßigsten Umgang mit Dingen, die viele Menschen für schockierend oder unmoralisch halten würden. Eine Musik für Außenseiter.

Aber warst du dann nicht immer ein Jazzmusiker?

Das trifft sicher zu.

Wenn man sich frühe Songs der Stooges wie „I Wanna Be Your Dog“ oder „Fun House“

anhört, dann hatten diese Nummern wesentlich mehr mit Pharoah Sanders und John Coltrane gemein als mit Blue Cheer oder den Young Rascals. Für mich war das eine Art Jazz im Rock.

Wie hast du den Crooner in dir entdeckt?

Ich wollte das schon immer. Schon mit 28 habe ich das ausprobiert. Seither übe ich immer beim Spazieren gehen. Aber erst als ich aufgehört habe, Zigaretten und Marihuana zu rauchen, konnte sich meine Stimme voll entfalten. Ich habe mit dem Scheiß schon kurz vor der Jahrtausend wende aufgehört, aber erst 2007 reagierte mein Körper positiv darauf, da sich Körperzellen nur alle sieben Jahre vollständig regenerieren. Damals machte ich das Rcumonalbum mit den Stooges, und ich hielt es für keine gute Idee, dass die Stooges plötzlich einen Crooner als Leadsinger haben. Meine Stimme bietet drei Möglichkeiten: Ich kann im Bariton singen, schreien oder den Hörer ärgern. Jetzt ist meine Stimme besser als je zuvor. Ich kann Farben ausdrücken, zu denen ich vorher nicht imstande gewesen wäre. Ich brauchte diese Platte, um mich als Jazzsänger entfalten zu können.

Das Stück „Autum Leaves“ ist einer der Jazzklassiker schlechthin. Es gibt davon neben unzähligen amerikanischen Fassungen auch schöne Versionen von Edith Piaf und Yves Montand. Aber warum singst du es jetzt ebenfalls auf Französisch?

Ursprünglich habe ich den Song für einen Film aufgenommen. Die Filmemacher konnten sich die Rechte für den englischsprachigen Text einfach nicht leisten. Damals kannte ich nur den amerikanischen Titel, der jedoch eine Adaption des französischen Songs „Les Feuilles Mortes“ war. Der amerikanische Texter war ein berühmter Jazzpoet namens Johnny Mercer. Meine Publizisten sagten mir, dass Mercers Rechteinhaber mir niemals erlauben würden, diesen Song in einem Film zu singen, außer die Filmemacher bezahlten eine immense Summe dafür. Wenn ich es auf Französisch singen würde, müssten sie gar nichts zahlen. Auf Französisch ist es ein viel besserer Song. Er erzählt eine Geschichte, sodass ich den Text beinahe sprechen kann. Das wäre mit der amerikanischen Fassung nie möglich. So ist er sehr elementar und traurig. Die englische Version ist viel metaphorischer. Da geht es nicht so sehr um Trauer und Bedauern, als vielmehr um fallende Blätter als Bild für unerfüllte Sehnsucht. Das ist viel leichter und unverbindlicher. Typisch amerikanisch.