Im Interview: Walther R. Krause
Der Pop Shop unterhält zu seinen Hörern ein fast kameradschaftliches Verhältnis, welcher Vorteil entsteht hierdurch für die einzelnen Sendungen?
DAS IST ALSO MEIN PERSÖNLICHES PROBuEM. Ich halte mich nicht, nur weil ich zufällig Redakteur geworden bin nun für so kompetent, dass ich jetzt auf einem Podium sitze und lehre oder diktiere. Sondern ich lerne jeden Tag verflucht viel von den Hörern, und das schlägt sich zwangsläufig auf unser Programm nieder. Deshalb haben wir auch ganz bewusst jeden Tag eine 3/4 Stunde Sendung hereingenommen, die von den Hörern gestaltet wird. In der Sendung ’20 zu 1′ wird das Manuskript eines Hörers oder Hörerin verwirklicht. Weiter nichts. Denn wir halten uns nicht für einen Tümpel von Ideen, aus dem man ununterbrochen schöpfen kann, sondern wir sind auf die Anregungen von draussen angewiesen. Und es ist auch hier eine Wechselbeziehung. Die Leute draussen merken, denen fehlt es an Ideen, also schicken wir welche. Warum nicht? Da sitzen tausend Leute an ihren Empfängern, Schüler, Lehrlinge, Studenten, Kinder, die ganz brauchbare Einfälle haben. Wir kommen nicht drauf. Warum also sollen wir die nicht verwircklichen? Nur, weil wir nicht drauf gekommen sind? Das halte ich für schlecht.
Sie praktizieren also ein Modell: Mitbestimmung des Hörers an bestimmten Sendungen?
JA. ES HAT MICH MAL WAHNSINNIG GEÄRGERT. Es gibt ja da Tageszeitungen, die einmal in der Woche auf einer Seite ihr jugendliches Image pflegen. Und in solch einer Zeitung war ein Artikel, der von den Pressediensten so rumgereicht wird mit der Bitte, druckt das doch mal ab. Es handelte vom Norddeutschen Rundfunk, der einmal im Monat eine Stunde Programm macht, das von den Hörern gestaltet wird. Wir haben jeden Monat fünf Stunden! Sie können sich vorstellen, dass ich mich da wahnsinnig geärgert habe.
Auch dem Pop Shop können Fehler unterlaufen, werden Sie eingestanden?
SEHEN SIE BEI UNS IST ES GENAUSO WIE IN DER SCHULE. In der Schule ist der Lehrer auch nicht mehr der Dozierende, dem geglaubt werden muss wie dem lieben Gott. Auch der Lehrer kann sich irren. Gott sei Dank! Das geben selbst die Lehrer heute zu. Ich meine, es gibt keinen Redakteur in Deutschland, der die Weisheit gepachtet hat, auch wir alle zusammen nicht. Wir sind genauso ein Teil des Volkes, wie jeder andere auch. Wir haben nur zufällig, und das ist beinahe eine Gnade, dieses Massenmedium in die Hand bekommen, um unsere Ideen zu verwirklichen mit der Hilfe vieler Menschen.
Das ist aber eine grosse Verantwortung!
ALLERDINGS. DIE IST SO HOCH, DASS MAN JEDEN TAG RAUSFLIEGEN KANN. WENN MAN ETWAS FALSCH MACHT.
Was könnten Sie zum Beispiel Falsch machen?
SILBERE LÖFFEL STEHLEN. Dann bin ich sofort drausen. Ja, oder eben den Staatsvertrag nicht einhalten. In einer Demokratie sagen: die Demokratie ist die schlimmste Herrschaftsform, die es gibt. Wenn man davon überzeugt ist. soll man es einmal sagen, dann muss man aber auch wissen, man ist draussen.
Herr Krause, Sie sind sehr ehrlich, sind Sie auch heute noch Idealist?
DAS IST EIN FEHLER UNSERER FAMILIE. Wir haben alle komische Berufe ergriffen. Keiner von uns ist jemals reich geworden. Wir haben alle immer für eine Idee gelebt.
Kann man als Pop Shop-Redakteur reich werden?
NEE, ALS REDAKTEUR KANN MAN IN DEUTSCHEN RUNDFUNKANSTALTEN NICHT REICH WERDEN. Man kann gut leben. Das ja. Aber reich werden, nee. Will man reich werden in der Branche, kann man nur das machen, worauf wir in diesem Interview ständig zurückkommen, nämlich: PUSHEN. Natürlich, jeden Tag bekomme ich Anrufe, willst Du nicht das oder jenes machen. Krause sagt immer, nein. Ich meine, viele haben es inzwischen aufgegeben, die wissen der Krause macht wirklich nicht mit. Aber sie probieren es immer wieder. Reich kann man auch werden, indem man auf ein Blättchen Papier fünf Noten hinkritzelt und die erscheinen dann wirklich. Ich kenne Kollegen, die können noch nicht mal Noten schreiben, die haben komponiert. Das ist Wahnsinn, sowass wird dann gesendet. Das ist irgendwo AFTER, AFTER-Literatur, aber doch weiter nichts. Die Hörer müssen dies ertragen, die kriegen das vorgesetzt. Ich finde das unerhört.
Ist es für eine Rundfunkanstalt wichtig, eine gleichbleibende Zuhörerschaft zu haben?
ICH HALTE ES FÜR SEHR WICHTIG. Jede Rundfunkanstalt, wir konkurrieren zwar nicht miteinander, möchte anerkannt werden. Wir haben nur akustische Möglichkeiten, uns erkenntbar zu machen. Deshalb wollen wir also Sprecher möglichst lange behalten, wenn sie gut sind. Denn man soll sich an die Stimme gewöhnen und diese mit dem Sender identifizieren. So möchte ich es im POP SHOP auch haben. Deshalb auch die sture Einhaltung, alles, war zur Pop-Musik zählt, kommt, also was nicht dazu zählt, wird nicht gesendet. Der Hörer, der den POP SHOP inzwischen kennengelernt und sich vielleicht daran gewöhnt hat, möchte nicht enttäuscht werden. Er hat ein Rechl darauf, nicht enttäuscht zu werden.
Wie kommt man in den Pop Shop?
MAL ZU ALLERERST… ICH BRAUCHE KEINE DISC-JOCKEYS, KEINE MODERATOREN, ICH BRAUCHE VOLL VERANTWORTLICHE REDAK-TEURE. Das Ideal ist immer, ich habe es einmal so formuliert: Er muss 25 Jahre alt sein, aber eine Stimme haben wie ein 16-jähriger. Er muss ein voll abgeschlossenes Studium haben, das aber verdrängen können, so dass er sich noch volkstümlich ausbilden kann, aber aus einem Fundus schöpft. Zum Beispiel, es kommt jemand, der hat Musik studiert. Nun könnte man sich vorstellen, dass man also seine neueste Platte mal nach den Harmonien auseinandernimmt. Der kann das. Ihm muss also ein Partner gegenübersitzen, der das auch kann. Denn es ist eine reizvolle Sache, das einmal vor dem Mikrofon zu praktizieren. Insofern braucht man Leute, wo sich jeder in einem Sachgebiet aus kennt. Und darüberhinaus, das ist Grundbedingung, müssen sie mindestens 15 Jahre zurück die Beat- oder Pop-Szene verfolgen können. Das wäre also unser Ideal. Aber so etwas finden wir nicht, das kann man nicht haben. Also müssen wir uns so helfen, dass jeder etwas einbringt.
Wie sieht die Möglichkeit aus von einem Pop Shop rund um die Uhr? Also 24 Stunden.
JETZT SPRECHEN SIE MICH NATÜRLICH IN MEINER EHRE ALS REDAKTEUR AN. Wer hat nicht das Ziel vor Augen, möglichst 24 Stunden die tollen, guten Ideen, die er hat, zu verwirklichen? Eine Ausdehnung der Sendezeit kommt noch in diesem Jahr. Doch kann ich jetzt noch nichts darüber sprechen, weil noch nichts verbrieft und versiegelt ist.
Wenn Sie ihre Sendung ausdehnen, benötigen Sie ja auch mehr Leute.
JA, PRAKTISCH BRAU-CHEN WIR NUR DIE LEUTE, DENN DAS ARCHIV IST JA VOR-HANDEN. Alle Platten, die hier stehen, sind mein Privatbesitz. Ich werde seit über zehn Jahren von den schönen deutschen Firmen bemustert. Er sinds jetzt über 30.000 Lps und Singles. Davon über 20.000 Lps.
Das ist ja wahnsinnig!
HAHA, ALLE HABEN GESAGT, DU BIST JA VÖLLIG VERRÜCKT, DASS DU DEN KRAM AUFHEBST. Ich sagte, ich weiss nicht, vielleicht kann ich es noch eines Tages gebrauchen. Ja, und Ende ’69 waren wir so weit. Der Krause konnte senden mit seinen Platten. Denn mit dem Archiv des SWF konnte ich nichts anfangen. Als ich vor acht Jahren hier ankam, da gab es eine Platte von den Beatles und zwar die deutsche Fassung von ‚She Loves You‘. Da war ‚Rubber Soul‘ schon draussen. So sah das hier aus.
Wie sehen Sie die heutige Deutsche Musik-Szene?
DEUTSCHLAND IST FÜR MICH NOCH IRGENDWIE PIO-NIERLAND IN HINSICHT DER BEAT-SZENE In Deutschland gibt es zum Beispiel keine Manager-Schulen. In den Staaten gibt es die wie Sand am Meer. Also haben wir hier einen enormen Nachholbedarf. Ich sehe in Deutschland deshalb die Chance, weil wir noch etwas hinterherhängen, deshalb kann sich hier noch echter Pioniergeist durchsetzen. Wir sollen also über Rolf Ulrich Kaiser nicht so schnell urteilen, nur weil er zwei Firmen an der Hand hat. Es ist natürlich auch Käse dabei. Aber er hat die Möglichkeit, den Firmen etwas zu unterbreiten, wo dann die betreffenden Firmen sagen, halt, das könnte ein Geschäft werden. Wenn du heute mit einem Band zu einer Plattenfirma gehst und du kannst einen von deiner Musik begeistern, dann wird er das durchpauken. Würde ein Manager an der Spitze stehen, dann gibt es so etwas nicht. Es gibt bei den deutsahen Plattenfirmen noch eine weiche Stelle, eine Lücke, in die man hineinstossen muss. Und diese Möglichkeit sehe ich in Deutschland noch gegeben, weil dieses Managertum hier einfach noch nicht existiert. Wir haben in Deutschland den irrsinnigen Nachholbedarf von ungefähr 10 Jahren. In dieser Zeit haben wir nur gekauft, gekauft und nochmals gekauft, was von draussen hereinkam. In Deutschland wurde nichts für die eigene Szene getan, ausser den Schlagermätzchen. Doch nun stellt man fest, dass in Deutschland etwas auf der Bildfläche erscheint, was man anhören und verkaufen kann. Wir kommen 10 Jahre zu spät mit dem, was wir machen. Damit ist nicht gesagt, dass die Musiker um diese Zeit nachhinken, ganz im Gegenteil. Ich meine nur, die Möglichkeit für die deutschen Gruppen kommt zehn Jahre zu spät. Das ist die Misere, die wir überbrücken müssen.
Herr Krause, wir danken Ihnen für dieses Gespräch