Im Mellencamp kehrt Ruhe ein
Nach seinem Herzinfarkt ist es John Mellencamp nach eigenem Bekunden leid, den „angry young man" zu geben. Mit 45 Jahren hat er das auch nicht mehr nötig
Sieh mal, wir vergleichen jetzt unsere Zigaretten, indem wir sie beide in den Aschenbecher legen. Wetten, daß meine nach ein paar Sekunden ausgeht, während Deine bis zum Filter verbrennt? Das liegt an den Chemikalien, die überall drin sind, nur nicht in meinen Zigaretten. Gottseidank!“ Natürlich behält er recht, und mein Glimmstengel verflüchtigt sich schneller als man glaubt. Der vermeintliche Tabakvertreter mir gegenüber ist John Mellencamp, bekannt für subtile Momentbetrachtungen des amerikanischen Alltags.
Der 45jährige Familienvater lebt immer noch in Bloomington, Indiana. Dort betreibt Mellencamp sein eigenes kleines Studio, wo unter anderen auch schon Bob Dylan seine Klampfe zupfte. Auch sein neues Album spielte er hier ein. Der ungewöhnliche Titel: ‚Mr. Happy Go Lucky‘. „Ja, das bin ich!“, lacht Mellencamp und zeigt sich sichtlich erfreut über meine verdutzte Miene. „Natürlich ist auch ein Funken Ironie darin enthalten, aber im Großen und Ganzen muß ich sagen, daß es mir ausnehmend gut geht. Ich fühle mich gesund, meine Familie ist wohlauf und nach all der Zeit habe ich eine positive Lebenseinstellung gewonnen, die sich auf dem Album widerspiegelt.“ Wie langweilig, mag man gähnend erwidern, doch weit gefehlt. Für die Produktion des Albums holte sich der stets um Innovation bemühte Rocker einen Mann ins Studio, der mit dem Begriff „Mainstream Rock“ so wenig vertraut ist, wie der Papst mit Kondomen: den New Yorker Star-Mixer Junior Vasquez. „Es muß schon komisch ausgesehen haben: Junior hockte hier am Pult mit seinem futuristischen Instrumentarium, und wir saßen da drüben mit unseren Gitarren wie die Hinterwäldler und staunten“, schmunzelt Mellencamp, jedoch nicht ohne Stolz. Und das zu Recht: Was sich bereits auf ‚Dance Naked‘, dem hastig eingespielten Vorgänger andeutete, kommt nun in voller Bandbreite zum Tragen: Die Synthese aus Mainstream Rock und Dancebeat. „Nimm zum Beispiel ‚Full Catastrophe‘, was eigentlich ein traditioneller Blues ist, aber vom Beat her völlig modern klingt. Ich bin mir ziemlich sicher, daß wir etwas völlig Neues geschaffen haben“, tönt der immer noch rauchende Sänger, der vor einem knappen Jahr während einer USA-Tournee einen Herzinfarkt erlitt. „Ich bin seit fast 20 Jahren erfolgreich und dabei nie zur Ruhe gekommen. Ständig rannte ich irgendwelchen Dämonen hinterher, aber das ist jetzt vorbei. Ich bin es leid, der ‚angry young man‘ zu sein, der sich nachts um drei mit Burgern vollstopft und vier Schachteln am Tag raucht. Was, wie man sieht, nicht heißt, daß ich zum Gesundheitsapostel geworden bin! Mir wurde nur be-wußt, daß ich langsam anfangen kann, mich etwas zu entspannen. Ich muß mir nichts mehr beweisen und kann dank MTV und Videoclips auch darauf verzichten, monatelang kreuz und quer durch die Lande zu reisen. Also konzentriere ich mich auf meine Musik und überlasse das Rebellentum anderen.“