In kreativer Eigenbrötelei basteln Individualisten wie The Marble Man, Get Well Soon und Sir Simon Battle an kleinen Songwriter-Juwelen.


Andere würden für ein so idyllisches Studio viel Geld zahlen. Es muss ein erhebendes Gefühl sein, wenn Josef Wirnshofer alias The Marble Man um zwei Uhr früh zur Zigarettenpause auf den Balkon seines Elternhauses in Erlstätt im bayerischen Chiemgau tritt, hinter sich in dem mit Instrumenten vollgepackten Dachzimmer ein halbfertiger Song, vor sich das schlafende Dorf. „Zum Glück hat sich noch keiner beschwert“, sagt Wirnshofer. „Das kann schon vorkommen, dass ich um zwei noch Mundharmonika spiele.“ Typischerweise in einsamen Nachtsessions sind die Songs für das erstaunliche Marble-Man-Debüt Sugar Rails entstanden, ein kleines Folkpop-Juwel, das einen Songwriter mit delikatem Händchen für Melodien und harmonische Feinheiten offenbart – der über den Aufnahmen beinahe seine Abiprüfungen vernachlässigt hätte.

Wir wollen jetzt keine Flutwelle von Neuen Deutschen Conor Obersten ausrufen. Aber bemerkenswert ist sie doch, die neue Garde von jungen Songwriter-Individualisten hierzulande, die unter kryptischen Namen und in der selbst gewählten Einsamkeit der Schlaf bzw. Dachstube Kostbarkeiten produzieren, denen die Aufmerksamkeit gerechterweise schier zufliegt. Marble Man Wirnshofers zweiten Live-Auftritt überhaupt sah letzten Sommer eine BR-Mitarbeiterin, die dem 18-Jährigen empfahl, ein Demo an den „Zündfunk“ zu schicken, wo dann ein Lied gespielt wurde, welches das Label Schinderwies aufmerken ließ – diesen Juni erscheint nun das Album.

In Berlin operiert-meist am Laptop in der Butze- Simon Frontzek. Der Tontechnikstudent fertigt seine Folkpop-Ohrwürmer unter dem hübsch kalauerigen Namen Sir Simon Battle und trat erstmals im Herbstals Support von Tomte in die Öffentlichkeit. „In Berlin läuft man ja manchmal Thees Uhlmann übern Weg“, sagt Frontzek. „Und jemand hat ihm wohl mal ein Demo gegeben. Dann hat er eines Vormittags angerufen: ob ich Lust hätte, mit auf Tour zu kommen. Zu der Zeit hatte ich ein einziges Konzert gespielt.“ Nach den obligaten Schülerbands hatte sich Frontzek vom Musikmachen entfernt, bis ihn 2004 „eine richtige Scheißzeit“ an die Gitarre zurückbrachte. “ Um nicht durchzudrehen, setzt man sich hin und spielt Gitarre. Und da hab ich angefangen, Sachen aufzunehmen. Erst natürlich mit dem Gedanken, dass das nie jemand hören wird.“ jetzt ist das erste Album fast fertig, Veröffentlichung ist geplant für den Herbst – dann sicher mehr an dieser Stelle.

Einen Schrittweiterist der 25-jährige Konstantin Gropper alias Get Well Soon. Auch der klassisch ausgebildete Sohn eines Musiklehrers spielte in Bands, bevor er die Vorzüge des kreativen Eigenbrötelns entdeckte: „Interessanterweise klingt die Musik, die ich jetzt mache, nach viel mehr Leuten als die Band davor.“ In der Tat: Was sich auf seiner bereits fertigen, aber noch labellosen (Verhandlungen laufen), grandiosen Schlafzimmerproduktion Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon an sonischer Pracht entfaltet, trägt Radiohead/Sufjaneske Züge. Der Mannheimer Exil-Allgäuer erlebt gerade seinen persönlichen kleinen Brit-Hype, seitsein Album über England-Kontakte des Managements don zum Geheimtipp wurde. So wurden Get Well Soon (Gropper nebst Liveband aus Freunden und Schwester) zum diesjährigen Glastonbury Festival geladen; Ende Mai tourte man bereits zum zweiten Mal im UK. „Ich mache schon seit zehn Jahren Musik“, sagt Gropper. „und jetzt passiert das alles plötzlich. Ich muss mich erst daran gewöhnen.“

Vor zehn Jahren war Josef Wirnshofer neun und stand auf DJ Bobo. Die Erleuchtung nahte: The Beatles For Sale, ein Geschenk der Tante, war für den Elfjährigen „der erste Anstoß auf den rechten Weg“, Meilensteine folgten mit Velvet Underground und Nico (deren Marble Index er seinen Namen entlehnte). Mit 13 schrieb er sein erstes Lied, „das fand ich ganz toll – bis ich HARVEST von Neil Young hörte und mir klar wurde, dass ich noch einmal, ‚Heart Of Gold‘ geschrieben hatte.“ Wenn Josef Wirnshofer „toll“ sagt, dann mit sympathischem Understatement. Er weiß, dass er was kann, die große Selbstsicherheit trägt der stille Chiemgauer aber nicht vor sich her – wobei es ihm weniger Stress macht, vor 300 Leuten beim „Zündfunk“-Festival in München zu singen, als seine Lieder Bekannten und Verwandten vorzuspielen. Vor allem die stolzen Eltern müssen darben „Sie möchten unbedingt mal ein Konzertsehen, aber ich hab sie bisher gebeten, nicht zu kommen. Da wäre ich zu aufgeregt.“

Manche Klassenkameraden haben erst aus der Zeitung erfahren, dass sie einen aufstrebenden Songwriter in ihren Reihen haben – jetzt haben ihn die Freunde gedrängt, beim Abiturfest ein paar Songs zu spielen. „Davor hab ich mehr Schiss als vor dem ganzen Abi“, lacht Josef. Aber er wird’s freilich machen. Herausforderungen sind zum Bewältigen da, und der Marble Man hat lange genug im Oberstübchen gesessen; im Juli geht’s auf Tour

www.myspace.com/marblesongs;

www.get-well-soon.net;

www.sirsimonbattle.com