Iron Maiden
Auch Monster werden älter. Eddie, Maidens manisches Monster, flirtet seit jüngstem mit den Mumien. Neben Ronnie James Dio hat nämlich auch Iron Maiden die Pyramiden geplündert. Die altägyptischen Pharaonen erfreuen sich plötzlich erstaunlicher Beliebtheit. Marotte? Mummenschanz? Oder einfach nur der gezielte Versuch, die Fans mit exotischen Gimmicks bei der Stange zu halten? Wir wollten von Bruce Dickinson wissen, was denn dran ist am Gag mit der Gruft...
Eddie lebt! Doch so sehr sich Maidens Stallregie in den letzten Wochen auch bemühte, die Spannung kommt er oder kommt er nicht? – auf die Spitze zu treiben, so ernüchternd war schließlich seine Wiedergeburt. In weiße Leichentücher gehüllt und als putzmuntere Mumie drapiert, feiert die ehemalige Bestie am Ende von Maidens neuer Show ihre Auferstehung.
Den Fans ist’s offensichtlich egal, in welchem Gewand ihr Idol letztlich erscheint. Sie wollen es sehen, es begrüßen, auf großen Transparenten, wie sich auch in Budapest (Foto) zeigte, über 25000 waren erschienen, um Englands Heavy-Heroen und „ihre“ Monster-Mumie leibhaftig zu erleben.
Noch fehlt dem Konzept allerdings der richtige Schliff. Doch man will im Laufe der Tour daran arbeiten. So soll Eddie schon bald, von einem Motor getrieben, im Background als Ober-Mumie über der Bühne thronen.
Vor Beginn ihrer längsten Welt-Tournee, die sie durch den Ostblock und Europa nach Amerika, Australien, Neuseeland und Japan führt, versteckte sich Chef-Sirene Bruce Dickinson noch hinter bloßen Andeutungen, was Eddies Part betraf.
„Wir haben uns gedacht, dies sei eine gute Gelegenheit, Eddie ins Konzept zu integrieren. Auf Dauer ist es nämlich langweilig, wenn man ihn auf dem Cover immer wieder zeigt, wie er gruselige Grimassen schneidet oder die Axt schwingt, um Schädel zu spalten.“
Es scheint, als wollten die Engländer der Kritik den Wind aus den Segeln nehmen, indem man das Monster auf dem Cover des neuen Albums POWERSLAVE als majestätischen Pharao präsentiert. Das sieht schon fast nach einem stillen Begräbnis aus?
„Da mittlerweile jeder weiß, daß wir Eddie in Dortmund beim ‚Rock-Pop‘-Festival geschlachtet haben, müssen wir sehen, was mit ihm auf der Tour passiert. Vielleicht feiert er ja seine Auferstehung, nach dem Motto: Leben nach dem Tode. Doch das hängt vom Allmächtigen ab oder – wenn nicht – so doch von Rod Smallwood, unserem Manager“, erklärt mir Bruce mit unbewegter Miene.
Sie beherrschen das Spiel mit den Erwartungen perfekt, das muß ihnen der Neid lassen. Ansonsten aber gibt sich Bruce im Gespräch weit redseliger.
Ginge es nach ihm, so müßte der Tag 48 Stunden haben, um all seine Ambitionen unter einen Hut zu bringen. Doch da selbst ihm nur ganze 24 bleiben, ist er auch mit weniger zufrieden. Bruce ist der geborene Abenteurer, ein Heavy Metal-Aktivist, der jede Gelegenheit nutzt, sich immer und überall mit anderen zu messen.
Fechten, Hardrock und Reisen rund um den Globus sind ihm dabei die liebsten Disziplinen. Wie einst Errol Flynn in seinen besten Tagen, als verwegener Held unzähliger Mantel- und Degen-Movies und Freund schöner Frauen, möchte der athletische Brite erscheinen.
„Conan the librarian“, Conan den Bibliothekar, nennen ihn die anderen. Obwohl er dem schrecklichen Muskelmann nicht im entferntesten ähnlich ist und auch kaum etwas von einem typischen Bücherwurm hat. Er ist vielmehr der intellektuelle Terrier – wie er so dasitzt, mit sonnengebleichten Haaren, klein, gedrungen, sich räkelt und lümmelt, doch stets darauf achtet, daß er im Gespräch nicht den Faden verliert.
Bruce könnte noch Monate damit verbringen, sein Lieblinsthema Fechten auch dem letzten schmackhaft zu machen.
„Bei mir ist es schon fast eine Besessenheit, die ich ständig kultiviere. Ich war regelrecht depremiert. als ich während der Aufnahmen auf den Bahamas drei Wochen nicht fechten konnte. Das hat mich unheimlich genervt.
Im Vergleich zu Bruce wirken Steve Harris, der Bassist, Adrian Smith und Dave Murray, die beiden Gitarristen, eher unscheinbar. Steve verkörpert den Typ des soliden Geschäftsmannes, der selten lacht. Und bei Adrian und Dave fragt man sich, wo sie die Kraft hernehmen, wenn sie auf der Bühne stehen – so schüchtern, ja scheu, fast schon gebrechlich sehen ihre Bewegungen im Alltag aus. Allein Nicko McBrain, der plattnasige Drummer, ist immer unter
Strom und stets zu einem Scherz aufgelegt.
So verschieden die Charaktere auch sind, so einig ist man sich, wenn es gilt, neue Aufgaben in Angriff zu nehmen. Das hat bislang glänzend funktioniert und war auch bei POWERSLAVE nicht anders – bestätigt mir jedenfalls Bruce: „Die Vorbereitungen zum Album haben einen Monat gedauert. Wobei wir lediglich fünf Tage geprobt haben, das war alles.
Ich habe die ganze Zeit auf Jersey mit Fechten verbracht, Nicko mit Fliegen, Steve hat den ganzen Tag geschlafen. Am Wochenende haben wir dann gemeinsam Fußball gespielt. Dave ist spazierengegangen, während Adrian ständig Fischen war.
Und in dieser relaxten Atmosphäre ist dann auch noch irgendwie das neue Album geschrieben worden, doch ich weiß bis jetzt nicht wie.
Erst als Martin Birch, unser Produzent, plötzlich auftauchte, war’s vorbei mit der Ruhe. Er kam an und sagte: ‚Freunde, ich bin nur gekommen, um das neue Album zu hören.‘ Darauf wir: ,Käse, wir haben noch immer nichts fertig.‘ Da begann erst die eigentliche Arbeit – und am Ende haben wir fünf Songs in fünf Tagen auf die Beine gestellt.“
Danach siedelte die Band auf die Bahamas über, um letzte Hand an die Aufnahmen zu legen – wie schon im letzten Jahr. Ist es nicht auf Dauer langweilig und öde. inmitten dieser malerischen Gegend mit Sonne, Strand und schönen Frauen an Arbeit denken zu müssen, ohne wirklich abgelenkt zu werden?
„Wir sind leider nie gestört worden, (lacht) Ich wünschte, uns hätte jemand gestört. Wir waren völlig isoliert, hatten keine Möglichkeit, irgendwohin auszuweichen, allein die Musik spielte die erste Geige.
Auf diesem Album ist das Feuer so groß, die Energie so explosiv, daß wir beim nächsten Mal schon eine andere Umgebung brauchen, um das Niveau wieder zu erreichen. Mal sehen, das nächste Album ist eh live.“
Wer ihn beim Reden beobachtet, entdeckt neben seinem sportlichen und musikalischen Ehrgeiz noch ein weiteres Element, die intellektuelle, ja philosophische Ader dieses charmanten Terriers. Souverän und lässig zugleich nimmt der Zögling eines katholischen Internats und spätere Geschichtsstudent den Titel des Albums zum Anlaß, die Motive des Themas etwas näher zu beleuchten.
„Das POWERSLAVE-Konzept spiegelt sich vornehmlich im Cover und nicht so sehr in den einzelnen Songs wider“ Rime Of The Ancient Mariner‘ ist denn auch mit Sicherheit der einzige Konzept-Song auf dem ganzen Album. Er greift Teile füherer Songs, wie etwa von ‚Dune‘, ‚To Tarne A Land‘, ‚Hallowed By Name‘ und ‚Phantom Of The Opera‘, auf und faßt sie zusammen.
Wenn es so weiter geht, werden wir beim nächsten Mal vielleicht gar eine Symphonie verfassen“, grinst er mich an.
Über Jahre hat man Maiden vorgeworfen, in ihren Texten ausschließlich am Vergangenem und mystischem Schnickschnack interessiert zu sein. Das neue Album scheint mir dagegen, trotz des ägyptischen Brimboriums, hochaktuell zu sein.
„Das stimmt, der Titelsong etwa handelt vom Sterben eines Pharaonen, von all seinen Widersprüchen, in die er sich während seines Lebens verwickelt hat. Er ist Gott, gibt und nimmt Leben, doch wenn er stirbt, was er nun mal nicht verhindern kann, stirbt alles mit ihm. Er ist am Ende ein Sklave seiner eigenen Macht und zugleich Sklave des Todes.“
Hört sich das nicht wie ein modernes Märchen, wie eine Parabel auf die Gegenwart, an?
„Ist es auch in gewisser Weise. Denn Korruption durch Macht hat sich von den Ägyptern bis heute gehalten.“
Auf dieser Linie liegt auch euer erster, wirklich politischer Song auf dem Album, „Two Minutes To Midnight“, was sich mit „Zwei Minuten vor Zwölf“ übersetzen läßt.
„Das Thema hat mich immer schon gereizt. Nur mußte die Zeit erst reif sein, es so präzise wie möglich sagen zu können. Dieser Song zeigt mit dem Finger auf all jene, die ständig von gerechten Kriegen reden. Es wäre schon viel erreicht, wenn sich jeder, der den Song hört, ein wenig schuldig fühlt, so als ob der Finger auch auf ihn gerichtet wäre.“
Korruption und Kriegslüsternheit sind als Themen ja nicht unbedingt neu, aber doch brisant genug, um wieder aufgegriffen zu werden. Vielleicht helfen euch solche Texte, das Image einer unsensiblen Hardrock-Band endlich loszuwerden?
„Auch auf den vorigen Alben haben wir vieles klar und deutlich ausgesprochen. Und dennoch haben etliche so getan, als verstünden sie nichts! Man muß sie erst mit der Nase darauf stoßen: ‚Schau her, lies dies, lies das‘ – dann verstehen sie plötzlich.
Manche glauben noch immer, man müsse sich auf eine Apfelsinenkiste stellen und wie Bob Dylan zur Akustik-Gitarre greifen, um überhaupt gehört und auch verstanden zu werden.
Iron Maiden werden es wohl verkraften, wenn ihnen auch weiterhin, der Vorwurf gemacht wird, ihre Texte seien antiquiert und dringend reparaturbedürftig. Denn nach ihrer 12monatigen „World Slavery“-Tour, die man mit einem Live-Doppelalbum krönt, dürften solche Argumente nur noch statistischen Wert haben.