Ja, Panik


Sie spielen gleich zweimal in Berlin – im King Kong Club und im HAU. An beiden Abenden zeigen die Ex-Österreicher: Mehr Gefühl setzt momentan kaum eine Band frei.

Und dann fiel Kollegen Rehm auf, dass wir in letzter Zeit jedes Mal, wenn wir uns trafen, über DMD KIU LIDT sprachen. Auf dem Motorboot auf dem Müggelsee wie am Tresen. Im schweren Wagen, der uns vor ein paar Wochen nach München brachte, aber auch wenn wir wegen völlig anderer Dinge telefonierten. Wir adaptierten sogar Andreas Spechtls wundersames Denglisch, sprachen nicht mehr von Problemen und Situationen, sondern von Problems und Situations und warfen uns abends angetrunken Interviewfetzen oder Ausschnitte aus dem YouTube-Video vor, in dem der Spechtl rotzbesoffen das Kinderbuch „Das kleine Ich bin ich“ vorliest.

Als wir erfuhren, dass es die Platte tatsächlich auf Platz 82 der Albumcharts geschafft hat, freuten wir uns, obwohl uns Hitparaden eigentlich nicht so wichtig sind. Das Besondere: Wir waren damit nicht alleine. Im Freundes- und Bekanntenkreis löste das vierte Ja,-Panik-Album eine Begeisterung aus, die bisweilen an Besessenheit grenzte.

Insofern herrschte große Freude darüber, dass sich Ja, Panik für eine komplette Live-Umsetzung des Albums entschieden, vor allem aber über die Bekanntgabe einer öffentlichen Generalprobe vor dem eigentlichen Konzert. Sie luden in den King Kong Club, einen kleinen Indie-Laden. Im Prinzip das Gegenteil des HAU, in dem einige Tage später das eigentliche Konzert stattfindet. Rauchen erlaubt, Trinken sowieso. Beides wird vom Publikum reichlich praktiziert, geht beim Konzert im HAU jedoch nicht, was problematisch ist: Der Rausch ist ein Anliegen von Ja, Panik. Er verstärkt den Reiz dieser Band. Plötzlich erkennt man in den Worten Spechtls eine tiefe, unbedingte Wahrheit, die einen noch auf dem etwas wackeligen Heimweg begleitet.

Zum Beispiel in „Nevermind“. Ohnehin kein Popsong, sondern eher eine Zusammenfassung privater Befindlichkeiten, die die Bandmitglieder beim Namen anspricht. Live gehen Stefan, Sebastian, Thomas, Christian und Andreas einen Schritt weiter: Jeder singt die Strophe, die Spechtl über ihn schrieb. Selbstentblößung. Aber auch Selbstmotivation. Ansonsten bleibt man gestalterisch nah am Produkt. Dass die eigene Dramaturgie fehlt, die bei Konzerten sonst die schöne Variable ist, liegt in der Natur der Albumvorführung. Die Vorfreude brennt trotzdem bis zum Ende, denn dort steht der knapp viertelstündige Titeltrack, den alle so lieben. Der kommt im HAU weniger wuchtig, weniger sauer als im King Kong Club. Dafür versteht man dort jedes Wort und erkennt die Bilder, die von hinten von Hans Unstern an die Bühnenwand geworfen werden. Der Songwriter mit dem schönen Bart zeichnet für das spärliche Licht verantwortlich. Für Ja, Panik gerade genug. Zunächst leuchtet die Bassdrum, leuchten die Verstärker. Das macht die Technik möglich. Dann leuchtet die Musik.

Dass es Zugaben zu den Songs von DMD KIU LIDT gab, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Nötig wären sie nicht gewesen.

Albumkritik & Story ME 5/11