Jah Wobble – Jetzt tanzen alle Puppen
Als er seinen Job als Bassist bei Public Image Ltd. quittierte, verbat er sich per Pressemitteilung jeglichen Rummel um diese Entscheidung: es gäbe schließlich reichlich viele jugendliche Arbeitslose, denen die Medien ihre Aufmerksamkeit lieber schenken sollten. Jah Wobble, mit bürgerlichem Vornamen John, jagte zur selben Zeit anderthalb LPs raus, um kurz darauf in die Kreativ-Company Wobble/Czukay unlimited einzulaufen.
Ißt du die Kartoffeln nicht mehr?“ „Nein, ich bin satt“ – als ich mich wieder umdrehe, sind die drei Brocken verschwunden. Verschlungen von einem Magenkranken, der seit gestern abend einiges an Wein verkonsumiert und einen Rekord im Zigaretten-Schnorren aufgestellt hat.
Der Magenkranke heißt Jah Wobble und gibt grundsätzlich kein Geld für Zigaretten aus. Und jetzt will er noch „so ein Eis wie Holger es hat.“ Mit anderen Worten: eine überdimensionale Portion, die fünf Leuten zum Nachtisch gereicht hätte.
Dieser angegriffene Magen scheint, wenn er gut drauf ist, ein ähnliches Volumen zu haben wie das kreative Potential des ehemaligen PIL-Bassisten. Das betriebsinteme Phlegma der Publik Image Ltd. nutzte Wobble für seine Zwecke, indem er in Rekordzeit die LP BETRAYAL und die 38-Min.-EP BLUEBERRY HILL einspielte und produzierte. „Das Shidio war gemietet, aber keiner ist reingegangen. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen, also habe ich da gearbeitet.“
Der Rest der Band konnte diesen vehementen Arbeitsstil nicht nachvollziehen. Daß ihnen Wobbles spontane Mentalität jedoch zu einem erfreulich vitalen Polster verholten hatte, wurde spätestens nach der Veröffentlichung von FLOWERS OF ROMANCE deutlich. John Lydons neurotische Verletzlichkeit ohne Wobbles kreative Environments ließ den PIL-Sound an vielen Stellen zum Skelett abmagern.
John Jah Wobble ist ein übermütiger Typ. Sensibel (siehe Magen), draufgängerisch, humorvoll und unglaublich diplomatisch, selbst wenn er einmal bis auf die Knochen genervt wird. Dann kann es passieren, daß er einfach anfängt, Irenwitze zu erzählen … John Lydon hat mich deswegen auch immer beneidet. Er hat nicht verstanden, wie ich es fertigbringe, mit solchen Situationen lertigzuwerden.“
Eigentlich wollte er zur Trennung von PIL ja I nicht allzu viel sagen, aber unter Holger Czukays magischem Baum am Aachener Weiher in Köln, bei so vielen good vibrations, rutscht ihm so nach und nach doch schonmal eine Bemerkung heraus. Vielleicht lag es auch am Rotwein. “ Wenn du ihn vor dem Interview rausrückst, erzähl ich bestimmt mehr. Wenn ich betrunken bin, sage ich Sachen, die ich sonst für mich behalten würde“, ließ er im Auto noch einen Anflug von Herausforderung erkennen. Doch beim anschließenden Kaffeetrinken (wann zum Teufel kommen wir endlich zum Interview?!) wird er schnell zahm. Während er ungesunde Mengen Capuccino trinkt, erzählt er, daß er im letzten Moment um eine Magenoperation herumgekommen ist. Jetzt schluckt er Chemikalien und hört, während er die geschnorrten Zigaretten verqualmt, interessiert meine Vorträge über entspannende Atemtechniken an. Ein paar fernöstliche Weisheiten würden uns hier schon erheblich weiterhelfen, stimmen wir überein, aber wer legt bei dieser Reizüberflutung schon die nötige Disziplin an den Tag? Der einzige Mensch, den wir da kennen, heißt Holger Czukay. Seine Arbeitsdisziplin hat auf Jah Wobble von Anfang an einen enormen Eindruck gemacht. Andererseits versteht der es aber auch ganz gut, seinem Mentor tüchtig Beine zu machen.
Holger hatte nach Veröffentlichung der METAL BOX, dem ersten PIL-Album, von sich aus Kontakte geknüpft. Nachdem John Lydon sich nach anfänglichem Interesse jedoch wieder in sein Mauseloch verzogen hatte, kam es zur ersten Begegnung mit Jah Wobble. „Wir trafen uns bei Angus McKinnen, einem englischen Journalisten. John kam mit einem Sechserpack Bier an und riß erstmal zwei Dosen auf. Ach du lieber Gott, denke ich, ich mag doch gar kein Bier… Aber wir unterhielten uns dann und plötzlich blieben alle Bierdosen liegen.“
Die zwei hatten sich gesucht und gefunden. Beide fanatische Spontanmusiker, die im Studio alles einsetzen, was nicht rüet- und nagelfest ist. Nach ersten Probesessions in einem kleinen Reggae-Studio im Londoner Viertel Soho waren sie nicht mehr zu bremsen. Holger bekam enorme Kicks und John hin und wieder einen Dämpfer.
Wobble kam nach Köln, um im Can-Studio zusammen mit Czukay und Drummer Jaki Liebezeit an der mittlerweile hinlänglich erwähnten EP zu arbeiten. Dabei hatte der derzeit in der Phantomband engagierte Schlagzeug-Ästhet an einigen Stellen durchaus seine Probleme mit dem unkonventionellen Stil der Dampfwalze Wobble. Bei den Aufnahmen für den Titel „Trench Warfare“ bekam John dann auch prompt die erzieherische Hand seines Partners zu spüren. Morgens, so gegen fünf Uhr, fing er an zu drängeln. Sie saßen gerade in einer Discothek, hörten alte Ska-Platten, und er wollte plötzlich ins Studio. Holger war aber müde. John: „Komm jetzt, du mußt auch mal’n bißchen verrückt sein.“ Und Holger: „Also gut, aber wehe, du hat nicht wirklich was drauf, dann kannst du dein blaues Wunder erleben!“
Im Studio schlug er vor, daß Holger Baß spielt; er selbst wollte sich ans Schlagzeug setzen, irgendwas hatte ihm an Jakis Beitrag offenbar nicht gefallen. Aber da gab es eine Moralpredigt: „Das ist ja eigentlich eine Respektlosigkeit, daß du dich jetzt hier an Jakis Schlagzeug setzt, während er oben schläft. Laß uns lieber morgen mit Jaki zusammen überlegen, was er damit gemeint haben könnte.“ Wenn Jah Wobble in Form ist, gibt’s eben immer eine riesige Staubwolke. „Wir haben die Aufnahme dann auch benutzt“ erinnert sich Holger, „und John lief dann plötzlich mit ner Eisenstange durchs Studio …“
„May I have another zigarette, Love?“ Die Schachtel leert sich zusehends, während er sich über seine Philosophie ausläßt. Die Pflichtfrage, ob er sich als Musiker begreift, hat er bereits mit „Nein“ beantwortet. Die übergreifende Idee ist natürlich die, daß einer, der die Instrumente nicht im konventionellen Sinne beherrscht, unterm Strich weitaus musikalischer (weil kreativer) sein kann. Und dazu gehört eben, daß man zum Beispiel auch mal mit einer Eisenstange durchs Studio läuft…
Ich frage ihn, was er von der Idee halt, daß die Zukunft nicht im All, sondern im Primitiven liege. Nachdem zur Zeit immer mehr Musiker dem Zauber der Buschtrommeln erliegen und Siouxsie & The Banshees mit ihrer letzten LP JUJU bei hingebungsvollen Fans hypnotische Rauschzustände hervorrufen, scheinen verdrängte Riten enorm an Reiz zu gewinnen. John sieht es verblüffend praktisch: das Geheimnis liege durchaus im Einfachen. Die maschinelle Gigantomanie habe der Musik immer schon geschadet. Je reduzierter man arbeite, desto intensiver könne das Ergebnis sein.
Er vertritt eine Menge der Ideen, die man bereits von Holger Czukay kennt. Das liegt zum Teil daran, daß er der spontanen Intuition sowieso lieber folgt als einem vorgegebenen Gerüst. Zum anderen hat er sich aber auch dankbar inspirieren lassen und somit eine Menge gelernt. Zum Beispiel, daß man im kreativen Vollrausch eingespielte Aufnahmen anschließend durch rigorose Schnitte und angelöschte Spuren zur optimalen Wirkung verhelfen kann.
Seine Stimme dient dabei als zusätzliche Klangfarbe. Texte macht er zwar, aber ohne Sendungsbewußtsein, dafür sind sie wieder zu eng mit seinen Gedanken verknüpft. „Ich kann sowieso nicht davon ausgehen, daß andere sie richtig nachvollziehen können. „Also geht die Stimme (er begreift es weniger als Gesang) mit unter das Messer. „Ich finde es gut, wenn die Stimmfetzen so von draußen einschweben,“ meint er. Ein Effekt der auf der vielgelobten EP an vielen Stellen dazu beitrug, daß der Sound sich wie das Netz eines Radarschirms wölbte.
Weniger Ästhetik als vielmehr eine kräftige Breitseite vermittelt übrigens Jan Wobbles neue Band Human Condition. Am Schlagzeug sitzt ein anderer ex-PIL-Musiker, nämlich Jim Walker. Den Gitarristen gibt er schlicht mit „Animal“ an, der heiße einfach so und sei auch ein Tier. Ob aus den geplanten Gigs etwas wird, die Wobble vage für den Herbst bei uns anpeilte, war bis Redaktionsschluß nicht abzusehen.
Aber er war inzwischen schon wieder mehrfach in Köln, um mit Holger Czukay und Jaki Liebezeit erste Basistracks für neue Projekte einzuspielen. Bis jetzt konnte ich nur herausfinden, daß alles „sehr ungewöhnlich“ klingt. Wenn man an die vielversprechende Ausgangsbasis denkt (vier Stücke auf der EP, ein Titel auf Holger Czukays LP PEAK OF NORMAL), einem eleganten Understatement aus dezenten Reggae- und Funkelementen, unaufdringlichen Dubs und großzügiger Räumlichkeit, ergibt sich natürlich unweigerlich die Frage nach der Steigerung. Aber dieses Kapitel ist im Moment noch so offen wie das Kapitel Phew.
Eine Single, die unbeachtet bei seiner englischen Schallplattenfirma Virgin herumlag, hatte es Jah Wobble angetan. Es war eine Produktion mit der japanischen Sängerin Phew. Er brachte sie nach Köln und rannte damit offene Türen ein. Studiomeister Conny Plank, Holger Czukay und Jaki Liebezeit reduzierten das musikalische Konzept der japanischen Avantgardistin hinunter auf ein fast kahles Minimum, um dem spröden Volumen ihrer Stimme genügend Raum zu schaffen. Wie die beteiligten Musiker schwärmt auch Jah Wobble bei unserer Begegnung in Köln von der Ausstrahlung dieser modernen Chansonette, die man im Studio nahezu bis auf die Seele entkleidet hatte. Alle warteten ungeduldig auf Antwort aus Japan, denn die fertige Produktion lag längst dort vor. Letzte Nachricht: eine „überarbeitete“ (=vermutlich verhunzte) Fassung landete erstmal in London..