Jan Böhmermann im Interview: „Die Gesellschaft braucht das: Reinigung durch Witz“


Nach #BandAid30 und #JeSuisCharlie, vor #Varoufake, Pol1z1stens0hn und #ParisAttacks: Im Winter 2015 trafen wir Jan Böhmermann zum Interview und sprachen mit ihm über sein Selbstverständnis und seine Ziele mit dem „Neo Magazin Royale“ – und erhielten Antworten, die auch im Rückblick aufs Jahr lesenswert sind.

Könntest du dir eigentlich vorstellen, für eine gemeinnützige Aktion dein Gesicht in die Kameras zu halten?
Ja.

Aber bringt das nicht auch ein Imageproblem mit der Funktion, die der unberechenbare Böhmermann eigentlich im Fernsehen erfüllen soll?
Ja, ich hab’s da wahrscheinlich schwerer. Und ich halte es auch eher so, dass das nicht Teil meines öffentlichen Wirkens ist.

Tu Gutes, aber sprich nicht darüber.
Ja, genau. Weil: „Gutes“ ist eben Definitionssache … Krebs ist schlimm. Wenn Kinder Krebs haben, ist es schlimm. Afrika geht’s nicht gut. Aber den Menschen in Kambodscha geht’s auch nicht gut. Die Frage ist: Wofür engagierst du dich? Und die Antwort darauf ist immer sehr individuell. Wenn du das aber als Prominenter nach außen trägst, impliziert das, dass alle Leute das so sehen müssen wie du. Was eine gute Sache ist, weiß doch jeder Mensch selber. Ich finde zum Beispiel, unabhängig davon, was ich selbst mache oder unterstütze, Sozialarbeit sehr wichtig. Auch in Deutschland, in einem mitteleuropäischen, reichen Land. Weil das viele Probleme bei der Wurzel behandelt. Am Ende geht es vor allem um Bildung. Ich behaupte: Mehr Bildung gleich mehr Glück für alle.

Diese Erkenntnis gilt für jedes Land, egal ob reich oder arm …
Natürlich. Wenn du den Leuten nicht mehr erklären musst, dass es eine gute Idee ist, für Afrika zu spenden, weil sie wissen, dass unser Reichtum auch diese andere Seite hat – nämlich die Armut eines anderen Kontinents. Und dass das eine Sache ist, die man hinterfragen kann, warum nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben. Wenn das jemandem ins Bewusstsein kommt, durch Bildung oder durch Aufklärung, ist meiner Meinung nach der Welt nachhaltiger geholfen als mit einem mittelmäßigen „Band Aid“-Song von Campino und Anna Loos und ihrem furchtbaren Mann.

Damit haben sich jetzt wohl endgültig alle eventuellen Fragen zu dem Thema erledigt, warum Jan Böhmermann angeblich nie ernst sein kann?
Ja, es ist gerade sehr ernst, tatsächlich.

Ich hätte dir diese Frage auch nicht gestellt. Aber du bekommst sie regelmäßig zu hören …
Ich bin aber sogar ganz gerne ernst. Es kommt halt auf den Ansatz an.

Bist du eigentlich froh darüber, dass eure Sendung gerade pausierte, als der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ geschah? Ich frage vor allem deshalb, weil ich das Gefühl hatte, dass alle Satiriker quasi in die Pflicht genommen wurden, dazu Stellung zu beziehen.
Aber das Schöne ist, das machen ja Satiriker sowieso. Das ist eine Frage der Aufmerksamkeit. Dass zum Beispiel auch die „Titanic“ seit 30 Jahren sehr gute Satire macht, haben jetzt zum ersten Mal so viele Leute wahrgenommen – und erkannt, was das für einen kulturellen Wert hat und was es bedeutet, dass es so etwas gibt wie satirische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Und was das für eine Zivilisation wie unsere in Abgrenzung zu einer Zivilisationsidee wie der vom IS bedeutet. Den Leuten ist hoffentlich klar geworden, was für ein großer Schatz das ist, so etwas tun zu können. Dass es nicht nur eine Berechtigung dafür gibt, sondern eine Notwendigkeit für eine Reinigung durch Witz für eine Gesellschaft.