Jan Joswig kontrollliert: Kindness in der Stilkritik
Normcore als Gender-Subversion. Der Beginn einer neuen Zeit. Kindness spielt nicht mit androgyner Erotik, er betont unisexuelle Unerotik.
Die Polarität von Mann/Frau bekommt nach Jahren der Verwischung eine neue Eindeutigkeit. Unter dem Schlagwort „Lumbersexual“ werden altertümliche Maskulinitätsvorstellungen sogar wieder zugespitzt. Ein Charakter wie Conchita Wurst bestätigt die Polarisierung nur, anstatt sie aufzuheben. Zwar bekannten die westlichen Liberalen „Je suis Conchita“, bevor sie „Je suis Charlie“ skandierten. Aber dieses Bekenntnis war so wohlfeil wie die Schwärmerei der Münchner für ihren Volkshelden Rudolf Moshammer. Man hält sich effeminierte Hofnarren, die in ihrem Sonderweg keinerlei Bedrohung für die bürgerlichen Rollenentwürfe darstellen.
Adam Bainbridge aka Kindness schleicht sich viel raffinierter hinter die Gender-Fronten. Da lässt er seinen Haarschleier wie eine kokette Salome vor sein Gesicht fallen. Da gießt er sich hin auf das Brückengeländer wie ein sterbender Schwan. Aber niemand würde den Betreiber des Labels „Female Energy“ je eine Schwuchtel schimpfen. Das Feminine seiner Haartracht ist ihm so wichtig, dass er sich im Video zu „Gee Up“ von einem Mädchen doubeln lässt. Aber er verknüpft die Frisur mit einem Kleidungsstil, der vor allem eines signalisiert: bürgerliche Asexualität. Mit schmaler Silhouette, aber weicher Kontur, hochgeschlossen und gedeckt, verweigert sich sein Look sexuellen Reizen, sowohl männlichen als auch weiblichen.
Kindness spielt nicht mit androgyner Erotik, er betont unisexuelle Unerotik. Sein Kleidungsstil bestätigt die Hoffnung aller schüchternen Popliebhaber, der Mensch möge mehr Geisteswesen als Triebwesen sein. So gerahmt, verliert seine Langhaar-Frisur ihre weibliche Konnotation. Als weich-träumerischer Vorhang unterstreicht sie das außersexuell Poetische. Mit seiner asexuellen Poesie aus Haar und Garderobe überwindet Kindness alle Gender-Polaritäten. Er benutzt die Normcore-Direktive, dem Hipster-Dilemma durch Indifferenz zu entkommen, um dem Gender-Dilemma zu entkommen. So provoziert Kindness als Softie 2.0: kein Geschlecht, keine Erotik, reine Poesie.