Wissenswertes über Foyer des Arts: Warum Max Goldt und Co. die deutschen Pet Shop Boys hätten werden können
Jan Müller von Tocotronic trifft für seinen „Reflektor“-Podcast interessante Musiker*innen. Im Musikexpress und auf Musikexpress.de berichtet er von diesen Begegnungen. Hier die 15. Folge seiner Kolumne, in der er erklärt, warum die Songs von Foyer des Arts Meilensteine poetischer Popmusik sind.
„Das ist ein netter junger Mann, was der sich alles merken kann, es gibt ja so viel Wissenswertes über Erlangen.“ Diese Zeilen sind tief in meine Großhirnrinde eintätowiert. Sie sind Bestandteil der einzigen kommerziell erfolgreichen Single der Berliner Band Foyer des Arts. Glücklicherweise gab es diesen Hit, sonst hätte ich Foyer des Arts vermutlich nicht bereits so früh kennengelernt und mir auch niemals ihr Album VON BULLERBÜ NACH BABYLON von meinem mühsam zusammengesparten Taschengeld gekauft.
Das Album (aus dem Jahr 1982) ist ungemein vielfältig. „Wissenwertes über Erlangen“ paart sich mit anderen humorvollen Songs. Zum Beispiel mit dem von mir sehr geschätzten „Wolfram Siebeck hat recht“ (Es gibt ohnehin viel zu wenig Songs, die sich mit Kulinarik beschäftigen). Unvergesslich bleiben natürlich auch die Titel „Hubschraubereinsatz“ und „Familie und Beatmusik“ (Der erste Teil des umfassenden Familien-Song-Zyklus von Max Goldt und Foyer des Arts).
Ganz und gar nicht antiquierte Meilensteine poetischer Popmusik
Auf dem Album befindet sich jedoch auch ganz andere Musik. Die Pop-Songs „Steps Into The Ministry“, „Toulouse – Lautrec“ und „Olympia“. Beim Wiederhören des Albums bemerkte ich die tollen Streicherklänge. Beim Song „Eine Königin mit Rädern unten dran“ schaffen sie eine Stimmung, die das groteske Bild der Königin, die regierend durch das Land rollt, völlig schlüssig erscheinen lassen. Ich glaubte lange, dass außerdem viele Drum Machines und Syntheziser auf dem Album eingesetzt wurden. Von wegen! Erst viel später ging mir auf, dass VON BULLERBÜ NACH BABYLON vollkommen ohne elektronische Klangerzeugung auskam. Dieses konsequente Konzept sorgte dafür, dass das Album ganz und gar nicht antiquiert klingt.
Es ist ein wenig tragisch, dass WEA, die Plattenfirma von Foyer des Arts, das Besondere und Einzigartige der Gruppe nicht erkennen konnte. Der Versuch, sie in die Schablonen der Neuen Deutschen Welle zu pressen, misslang. Die Firma weigerte sich jedoch, den Vertrag aufzulösen. 1986 gelang es Foyer des Arts (bestehend aus Gerd Pasemann und Max Goldt) endlich, ein nächstes Album bei einem anderen Label zu veröffentlichen. DIE UNFÄHIGKEIT ZU FRÜHSTÜCKEN ist ihr schönstes Album. Songs wie „Ein Elvis Imitator auf dem Wege zu sich selbst“, „Kaiserschnitt“ oder „Die toten Augen von Deutschland“ sind Meilensteine poetischer Popmusik.
Liebevoll, opulent und maximal weit entfernt von Deutschrock und Schlager-Humptata
Zwei weitere Alben folgten (EIN KUSS IN DER IRRTUMSTAVERNE, 1988 und DIE MENSCHEN, 1995). Beide Alben enthalten weitere Klassiker wie „Ein Lied aus unglaublich schwerer Zeit“, „Frauen in Frieden und Freiheit“ oder „Dein Kuß war Heimatkunde“. Die Musik ist Pop, wie wir ihn in Deutschland selten hören können. Liebevoll, opulent und maximal weit entfernt von Deutschrock und Schlager-Humptata.
Die Texte sind ein Kapitel für sich: Skurrilität paart sich mit einem lässigen Überdruss, der nur selten ins Schwermütige mündet. So entstanden einzigartige Zeilen wie diese: „Könnten Herzen schlagen, schlügen sie aus lauter Liebe. Doch sie rascheln nur nervös wie jugendliche Diebe“ (aus „Könnten Bienen fliegen“). Auf dem letzten Album von Foyer des Arts finden wir versöhnliche Zeilen, die als Essenz der Haltung von Foyer des Arts verstanden werden können: „Denn das Beste im Leben sind leider immer noch die Menschen“ (aus „Ratschlag eines reformierten Herrn“).
Die Briten haben Neil Tennant und Chris Lowe und ihre kluge, feinsinnige, humorvolle und pompöse Popmusik. Würden wir in einem Land leben, in dem Musikbusiness, Radiosender und Fensehredakteure dem Publikum ein wenig mehr zutrauen würden, dann würde das Duo Foyer des Arts vielleicht immer noch Musik machen und die Kinder und Erwachsenen würden ihre Songs auf den Lippen haben, so wie eben alle Briten stets einen Song der Pet Shop Boys vor sich hin summen. Allerdings hätte Max Goldt dann auch nicht die Zeit gehabt, seine wundervollen Bücher und Comics (Letztere gemeinsam mit Stephan Katz) zu verfassen. Ich empfehle: MAX GOLDT – DRAUSSEN DIE HERRLICHE SONNE – MUSIK 1980-2000 (6-CD-Box) und die im Juni als EP erscheinende, lange verschollen geglaubte John-Peel-Session von Foyer des Arts.
Zu Jan Müllers „Reflektor“-Podcast: www.viertausendhertz.de/reflektor
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2022.