Jan Müllers „Reflektor“-Kolumne, Folge 6: Warum Alphaville „Forever Pop“ bleiben
Jan Müller von Tocotronic trifft für seinen Podcast interessante Musiker*innen. Im Musikexpress und auf Musikexpress.de berichtet er von diesen Begegnungen. Hier die sechste Folge, in der er erklärt, warum den Songs von Alphaville selbst Coverversionen von Karel Gott oder den Guano Apes nichts anhaben können.
Ich bilde mir oft ein, mich gegen jeglichen Starkult immunisiert zu haben. Den Spruch „No more Heroes“ hatte ich schließlich schon als Kind aufgeschnappt und seitdem hatte ich eifrig verinnerlicht, dass es Quatsch sei, jemanden zu vergöttern. Prominenz ist Quatsch, Autogramme sind Quatsch, Poster und Starschnitte sind Quatsch. Eigentlich hilft es nur, selbst ein Instrument in die Hand zu nehmen. Also entfernte ich seinerzeit das Kiss-Poster aus meinem Kinderzimmer und versuchte dann, selbst Musik zu machen. Dass daraus dann irgendwann Tocotronic werden würde, ahnte ich nicht. Und noch weniger hätte ich mir träumen lassen, dass ich nun mittlerweile in vollkommener Selbstverständlichkeit Autogramme für jede und jeden anfertige, der dies aus Gründen, die ich noch immer nicht so ganz verstehe, wünscht. Why not?
Und um ehrlich zu sein, hat auch für mich die Aura des Stars in Wahrheit immer weiter existiert. Sei es zum Beispiel ein mürrischer Greg Sage und seine Band Wipers, der beim Konzert in seiner Abgewandtheit vom Publikum einfach etwas durch und durch Gigantisches ausstrahlte, oder sei es die Band EA80, die sich vermutlich in größtmöglicher Konsequenz jedem Startum verweigerte und so ihren ganz eigenen Kult schuf. Ich erinnere mich zumindest noch, wie ich deren Sänger als Teenie vor dem Konzert irgendwann nervös anspreche. Scheinbar auf Augenhöhe, um ihm dann doch nur irgendeine belanglose Fan-Frage zu stellen. Wichtig war doch eigentlich nur: Ich habe mit ihm gesprochen.
Dieser Mensch ist so sehr Star, der hat anscheinend sogar sein Recht auf Privatleben verwirkt
Aber auch heutzutage ereignen sich für mich durchaus noch Begegnungen, die keineswegs auf Augenhöhe stattfinden. Zum Beispiel das Treffen für mein allererstes Reflektor-Interview überhaupt: Ausgerechnet Marian Gold hatte ich mir ausgesucht. Die Musik seiner Band Alphaville habe ich ohne Unterbrechung geliebt. Ich weiß noch, wie eines Morgens meine Schulkameradin Patricia M. empört in den Klassenraum stürmte. In der Hand hielt sie die druckfrische „Bravo“: „Das ist so gemein – Marian hat eine Freundin!“ Das fand ich natürlich albern, aber trotzdem bewies es: Dieser Mensch ist so sehr Star, der hat anscheinend sogar sein Recht auf Privatleben verwirkt.
Allein schon dieser Name: Marian Gold! Toll. Ich hörte seine Musik fast heimlich, denn eigentlich wollte ich ja damals schon Punk sein. Aber Alphaville ließen das auch zu. Punk und Pop, das ist doch kein Widerspruch. Und ohne es zu wissen, merkte man dieser Band doch die Junkie-und Hausbesetzer-Vergangenheit an, die Nelson Community, die den Hintergrund bildete. Und später sang Marian sogar höchstpersönlich das Finale des Songs „Für immer Punk“ auf dem Debütalbum der Goldenen Zitronen. Kuriosität am Rande: Die Band hatte sich über zehn Jahre lang erfolgreich dagegen gewehrt, live aufzutreten. Vielleicht hat sie auch das so sehr strahlen lassen: Diese tollen Playbackauftritte im Fernsehen, in denen alles so perfekt wirkte. Gesten, Kleidung, Sound.
Nur, wer gar kein Herz hat, kann nicht kapieren, was für eine tolle Band Alphaville sind
Ich sah Alphaville dann irgendwann um die Jahrtausendwende live auf dem Hamburger Hafengeburtstag. Umsonst und draußen, wie es so schön heißt. Eine Bühne für abgehalfterte Stars aus der Vergangenheit. Und vermutlich waren Alphaville für viele Pop-Ästheten ohnehin immer zu schwülstig oder auch irgendwie zu simpel. Ich aber sage: Nur, wer gar kein Herz hat, kann nicht kapieren, was für eine tolle Band Alphaville ist. Ihre Musik blieb auch bei diesem Auftritt, im Dunst von Bratwurstgeruch und unter Astra-Bier Werbebannern lebendig und überstrahlte die Landungsbrücken. „Forever Young“, „Big In Japan“ und „Sounds Like A Melody“. Diese Songs sind unzerstörbar. Weder durch den Verlauf der Zeit noch durch den Dudelfunk, in dem sie gespielt werden, und auch nicht durch die Coverversionen von Karel Gott oder den Guano Apes. Sie bleiben Forever Pop.
Marian ist im Reflektor-Interview dann auch superlocker, er hat den Anschluss an die heutige Popmusik nicht verloren und superlocker ist er ohnehin, ironischerweise kann ich keine Spur von Starallüren feststellen. Äußerlich hat er sich zwar einerseits verändert, andererseits aber eben auch nicht. Mir fallen zum Beispiel die Schlangenleder-Stiefeletten auf. Dieser Mensch blüht noch immer. Marian Gold ist durch die Musik jung und offen geblieben. Und trotzdem spricht er ehrlich und ohne Umschweife von der Unerbittlichkeit des Alterns und mit großer Freude und Zärtlichkeit über Musik und seine Band, wie es nur ein Mensch tun kann, der in dem, was er tut, seine Bestimmung gefunden hat.
Zu Jan Müllers „Reflektor“-Podcast: www.viertausendhertz.de/reflektor
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 08/2021.