Jeff Beck und die Yardbirds


Die Frage nach dem wichtigsten Pionier der Rockgitarre wird häufig mit dem Namen Jimi Hendrix beantwortet, und das ist auf Anhieb auch richtig so. Fragt man, falls das überhaupt sinnvoll ist, nach dem besten Gitarristen der vergangenen zehn Jahre, lautet die Antwort meist „Eric Clapton“. Auch das geht in Ordnung. Gleichwohl fällt auf den Rockplatten der spätsechiziger Jahre bei aller Wertschätzung für Hendrix und Clapton ein dritter Gitarrist auf, der allen anderen sogar manches voraus hat: Jeff Beck. Im Bewußtsein vieler Rockfans rangiert er ein wenig zu weit im Hintergrund, weil er immer nur Gitarrist und niemals ein Showstar war. Während etwa Hendrix auch durch seinen Voodo-Zauber bekannt, Gallagher als Antistar stilisiert und Clapton gar zum Gott erkoren wurde, machte Jeff Beck allenfalls als Sexual-Protz und Band-Tyrann von sich reden: Die Kunst, ein publikumswirksamens Image aufzubauen, hat er nie beherrscht.

Jeff Becks Kreativität spruelte im Verborgenen. Im Gegensatz etwa zu Pete Townshend und Alvin Lee, zu Clapton und Hendrix trat er (fast) nie als Sänger in Erscheinung, weil seine Stimme nicht einmal für den Background taugt. Zudem lieferte er mal wegen Krankheit, mal wegen unpassender Produzenten und Manager, selten kontinuierliche Arbeit ab: Innerhalb der letzen neun Jahre produzierte er nur sieben Alben, zuzüglich einer Live LP – zu wenig, um wirklich populär zu werden. Und zu allem Überfluß stand Jeff sich selbst im Weg, denn Kenner schildern ihn als hypernervös, egozentrisch, unkonzentriert, einfallslos, launisch.

Übrig als Stoff, aus dem sich die Rockmythen bilden, bleibt da tatsächlich nur der Gitarrist und Arrangeur, und da war und ist Jeff Beck absolute Spitzenklasse. Wenn er eine Sache richtig packte, geriet sie gleich überwältigend. All die Saitenzupfer, die bei ihm abgeguckt oder gelernt haben, lassen sich kaum aufzählen. Von welchem Gitarristen kann man das noch behaupten?

Die Karriere von Jeff Beck ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Yardbirds, einer der wichtigsten Bands der sechziger Jahre. Hier nämlich erfand er die meisten seiner Tricks, und hier entwickelte er seinen einmaligen Stil.

Die Yardbirds traten anfangs als Metropolis Blues Quartett auf, und zwar in der Besetzung Paul Samwell-Smith (bg), Jim McCarty (dr), Chris Dreja (g) und Keith Reif (voc, härm). Im Gegensatz zu den meisten anderen neuen Bands der damaligen Zeit zeichneten sie sich durch eine gewisse instrumentale Virtuosität aus, die es ihnen gestattete, bei Konzerten durchweg fünfminütige Songs zu improvisieren – seinerzeit für Beatles, Kinks oder Who völlig undenkbar. Gewiß besaßen die Yardbirds Schwächen: McCarty trommelte nur durchschnittlich, und Keith Reif’s Gesang litt gelegentlich an unkontrollierten Gefühlsausbrüchen; Dreja’s Rhythmusgitarre aber und besonders Paul Samwell-Smith ’s Baß waren eine Delikatesse, auf deren Basis sich später alle berühmten Leadgitarristen der Yardbirds optimal austoben konnten.

Diese Gitarristen bestimmten stets den Trend, dem die Band anhing, obwohl die Grundtendenz klar definiert war: Chicago Blues. Entgegen der landläufigen Meinung hieß der erste Yardbirds-Leadgitarrist nicht Clapton, sondern Anthony „Top“ Topham. Mitte 1963 aber, als Topham die Gruppe wegen seines Studiums verließ, stieg zunächst sporadisch, seit ’64 jedoch als festes Mitglied der große Erich ein, den Freunde liebevoll „Slowhand“ nannten.

Der damals Achtzehnjährige hatte vorher in einer Band namens The Ramrods gespielt, in der auch der spätere Rolling Stone Brian Jones mitwirkte, und war schon damals in weiten Kreisen wegen seiner Virtuosität berühmt. Während seiner anderthalbjährigen Mitgliedschaft bei den Yardbirds drillte Clapton die Band noch konsequenter auf den Blues und Rhythm’n’Blues aus Chicago: Willie Dixon, ehester Burnett (alias Howlin‘ Wolf), Muddy Waters, Ellas McDaniel (alias Bo Diddley), aber auch John Lee Hooker waren ihre Vorbilder. Die erste mir bekannte Plattenaufnahme der Yardbirds von 1963 hieß „Baby What’s Wrong“, stammte von Jimmy Reed und wurde seinetzeit nicht veröffentlicht. Der Manager der Gruppe, Giorgio Gomelsky, hielt nämlich die Live-Konzerte der Band für wichtiger und sollte damit richtig liegen: Nachdem sie im Star Hotel in Croydon Pluspunkte gesammelt hatte, wurde sie als Nachfolger der Rolling Stones in den Crawdaddy Club in Richmond verpflichtet, wo sie am 8. Dezember 1963 eine Live-LP mit dem amerikanischen Blues-Sänger und Mundharmonika-Spieler Sonny Boy Williamson aufnahm – ein wichtiges Dokument jener Rocktage, in denen junge Weiße auszogen, um von schwarzen Bluesveteranen zu lernen.

Auf den Markt kam die Platte mit Sonny Boy Williamson in England erst 1965 – nach dem ersten regulären Album der Band, „Five Live Yardbirds“. Diese LP gilt auch heute noch als einer der fesselndsten Beweise für die anregende Atmosphäre in den britischen Rockclubs der sechziger Jahre. „Five Live Yardbirds“ entstand im legendären „Marquee‘ in Londons Wardour Street No. 90. Die Band war vom „Crawdaddy Club“ dorthin umgezogen, weil man ihr hier einen weitaus besseren Vertrag geboten hatte. Die Marquee-Platte markierte auch einen musikalischen Wendepunkt: Vor allem auf Betreiben von Keith Reif drifteten die „Most Blueswailing Yardbirds“ allmählich in kommerziellere Bereiche, stellten Blues und R&B hintan und ließen Clapton, der total auf Blues stand, zwangsläufig dabei auf der Strecke. Zwar wurden zunächst mit „I Wish You Would“ und „Good Morning Little Schoolgirl“ zwei R&B-Klassiker als Singles veröffentlicht, doch die dritte 45er, der Riesenhit „For Your Love“, hatte mit den Wurzeln kaum mehr etwas zu tun. Prompt nahm Clapton seine Gitarre und wechselte zu John Mayall’s Bluesbreakers.

Monsterhits

Jimmy Page, ein gefragter Studiomusiker, lehnte das Angebot, nun bei den Yardbirds einzusteigen, ab und empfahl den Gitarristen einer Gruppe namens The Tridents, die öfter im „Eel Pie Island Club“ auf der Themse bei Kingston auftrat. Der Gitarrist der semi-professionellen Tridents hieß Jeff Beck, wurde am 24. Juni 1944 in der Grafschaft Surrey geboren und hatte vier Jahre lang am Wimbledon Art College studiert. Jeff nahm den neuen Job mit Kußhand an.

Aus der Beck-Ära der Yardbirds stammt zwar wiederum nur ein reguläres Album, dafür erbrachte diese Zeit aber mehrere hochwertige Hits, die längst klassisch geworden sind. Graham Gouldman, seinerzeit Mitglied der Mockingbirds, heute bei 10 cc, schrieb nach „For Your Love“ zwei weitere Monstersongs: „Heart Full Of Soul“ und „Evil Hearted You“, die beide den Yardbirds zu Top Ten-Lorbeeren verhalfen.

Für „Heart Füll Of Soul“ planten die Yardbirds einen echten Sitar-Spieler ein, und das zu einer Zeit, als George Harrison, der die Sache mit der Sitar sowieso bei David Crosby gelernt hatte, noch längst nicht an diesen Trip dachte. Jedenfalls brachte besagter Sitarmann im Studio den gewünschten Sound nicht hin, worauf Jeff seine Fender einstöpselte und binnen drei Minuten täuschend ähnliches Sitar-Geflirre hinlegte. Der Gitarren-Sound von „Heart Full Of Soul“ ist mutmaßlich der meistimitierte der mittsechziger Jahre. Ähnlich fortschrittlich klang dann Ende 1965 der Doppelhit „Evil Hearted You/Still I’m Sad“, wo Jeff mit kontrolliertem Feedback und vom Geigenbogen gestrichener Gitarre arbeitete, die Yardbirds außerdem mit Vokalarrangements im Sinne Gregorianischer Chöre glänzten.

Mit dem Hit „Shapes Of Things“ Anfang 1966 erschloß die Gruppe abermals neue Töne (Fuzz- und Wah-Wah-Effekte) und versuchte sich wenige Monate später bei „Over Under Sideways Down“ an orientalisch wirkendem Sound. In dieser Zeit entstand auch das zweite Original-Album der Band, prägnant „The Yardbirds genannt, das aus unerfindlichen Gründen in repräsentativen Discografien der Rock-Literatur nie aufzufinden war. In bestechender Manier verbanden die Yardbirds hier in Eigenkompositionen die Tradition des Chicago-Blues mit knalligem Rock, mit orientalischen und indischen Melodieführungen, zitierten abermals die Chöre von Papst Gregor I. (590 – 604), sangen sogar Balladen und ließen Rhythmusorgien los. Jeff brillierte mehr denn je, und selbst Keith Reif klang ausgezeichnet. Der größte Coup des Albums war wohl „Jeffs Boogie“, ein aus dem Handgelenk geschüttelter Instrumental, der für jeden Gitarristen einer (meist allerdings nie erlernbaren) Lektion gleichkam.

Blow Up

Jeff Beck s Arbeit mit den Yardbirds kann schwerlich überschätzt werden. Man halte sich einmal vor Augen, daß 1965/66 progressive Wegbereiter wie die Hendrix Experience, Cream oder Pink Floyd noch keine Note gespielt hatten und daß Jeff Beck damals noch keineswegs über jene hochtechnisierten Gerätschaften verfügte. Jeff fummelte seine Sache stets alleine hin, ohne Leslie, ohne Echoplex oder Mini-Moog. Daß die Yardbirds mit Jeff Beck trotzdem als die erste psychedelische Band angesehen werden, spricht Bände.

Leider kann das Werk der Band heute nur noch unvollkommen vom Plattenkäufer rekonstruiert werden. Ihre drei Original-LPs (über die dritte wird noch zu sprechen sein) sind heute entweder vergriffen oder nur als Importe erhältlich; die interessanteste US-Pressung „For Your Love“, ein Sampler, gibt es ebenfalls nicht mehr. Daß zeitweilig rund ein Dutzend verschiedener Yardies-LPs über den internationalen Markt irrten, zeigt nur, wie gewissenlos da mit Neukopplungen, Überschneidungen und vor allem unbrauchbraren Tonbändern aus der hinterletzten Ecke gearbeitet wurde. Aber bekanntlich wurden ja auch von Hendrix nach seinem Tod mehr Alben veröffentlicht als zu seinen Lebzeiten.

Für Discophile hier mal ein Tip: „Stroll On“, jener wilde Song, den die Yardbirds während ihrer Szene in Michelangelo Antonioni’s Film „Blow Up“ spielten und nach dem jeder Fanatiker verzweifelt sucht, heißt eigentlich „The Train Kept A-Rollin‘ Part I“ und ist auf einer deutschen Song-Zusammenstellung zu haben.

Ruhmloser Exitus

Aufmerksame Beobachter des „Blow Up“-Films erkannten übrigens, daß die Yardbirds hier ohne Paul Samwell-Smith, dafür aber mit Jimmy Page auftraten. Samwell-Smith war unter die Produzenten gegangen, Chris Dreja hatte seinen Baß übernommen, um für Page Platz zu machen. Diese Konstellation zeigt einmal mehr die Bedeutung der Yardbirds: Nicht Wishbone Ash oder sonst wer hat die Sache mit zwei Leadgitarristen erfunden, sondern die Beck-Band, ohne allerdings davon viel Aufhebens zu machen. Leider existieren aus der Beck/Page-Kooperation keine Platten, wenn man von der Single „Happenings Ten Years Time Ago“ absieht, die so progressiv klang, daß sie erst gar kein Hit wurde.

Kurze Zeit später, im Frühling 1967, verließ Jeff die Yardbirds aus musikalischen und gesundheitlichen Gründen. Die Band erlebte anschließend ihren ruhmlosen Niedergang, der zwar von der wieder orientalisch angehauchten Single „Little Games“ kurz aufgehalten, von dem gleichnamigen Album allerdings eher forciert wurde. Ein stilistischer Mischmasch ohne Richtung ließ die LP „Little Games“ zu Recht zum Flop werden, nicht zuletzt, weil Produzent Mickie Most ohne Zustimmung der Gruppe unterbelichtete Tracks darauf versammelt hatte und zusätzlich zwei obskure Singles in den USA veröffentlichen ließ. Die Band war bald heillos zerstritten und trennte sich im Spätsommer 1968: Keith Reif und Jim McCarthy gründeten die erste Ausgabe von Renaissance (Reif wirkte später noch bei Armageddon mit und starb im vergangenen Jahr durch einen Stromschlag), Chris Dreja verdiente sein Geld fortan als Fotograf. Jimmy Page verblieb mit einem Haufen unerledigter Termine und dem Recht, den Namen der Band weiterzuführen. Bald darauf tourten bereits die New Yardbirds durch Skandinavien: Der Studiomusiker John Paul Jones (bg, org) sowie die von der Band Of Joy stammenden Musiker Robert Plant (voc) und John Bonham (dr). Auf einen Tip von Keith Moon hin benannte sich das Quartett allerdings in Led Zeppelin um.

Beck’s Talsohle Man mag an dieser Stelle fragen, warum die Yardbirds-History so umfangreich beschrieben wurde. Neben der Bedeutung der Band für die Rockszene ist ein wesentlicher Grund der, daß Jeff Beck hier seinen Stil und seine Technik im Großen und Ganzen entwickelte und daß er nur hier wirklich kreativ wirkte. Zwar hat Beck auch weiterhin teilweise exzellente Arbeit abgeliefert, dabei aber kein Neuland mehr betreten – als kreativen Musiker kann man ihn nur in seiner Zeit bei den Yardbirds bezeichnen.

Nach 1967 sackte Beck erstmal in eine bedenkliche Talsohle. Der bereits zitierte Mickie Most nahm sich seiner an und versuchte, einen „Engelbert Humperdinck der Gitarre“ aus ihm zu fertigen. Dieses Popcorn-Rezept zur Maximierung der Hitparadenumsätze verstand Most prächtig, und das Beispiel Donovan zeigte, daß diese Sache mit dem entsprechenden Musiker auch klappte.

Mit Jeff, der sein Instrument damals häufig in geschmacklicher Umnachtung gespielt haben muß, geriet das Popcorn jedoch schwer verdaulich, zudem es mit Jeffs Stimme garniert wurde. War „Hi Ho Silver Lining“, das Platz 16 der Hitlisten erreichte, noch halbwegs erträglich, so klang „Tallyman“ doch reichlich kaputt. Die Krönung aber kam noch: Jeff, der Heavy-Gitarrero extraordinaire, nudelte den Instrumental „Love Is Blue“, den es in noch schmalzigeren Versionen von Paul Mauriat, Mantovani und von Vicky Leandros (mit Gesang) gab. Mehr sollte man hierzu nicht sagen, außer daß Jeff später stets Mickie Most die Schuld für diesen Mist gegeben hat – wer aber hatte hier die Gitarre gezupft? Doch wohl Jeff selbst!

1968 jedenfalls kam Jeff Beck wieder zu sich, was die B-Seiten der genannten Singles bereits angedeutet hatten. Binnen kurzem wurde eine Jeff Beck Group formiert, deren Mitglieder damals schon recht bekannt waren, heute dagegen Weltruhm besitzen. Die voreilig veröffentlichte Single „I’ve Been Drinking“ kündete Größeres an, das folgende Album „Truth“ geriet dann auch phänomenal. Hinter Jeff spielte Ronnie Wood Baß, trommelte Micky Waller, sang Rod Stewart und half Nicky Hopkins gelegentlich am Piano aus. Zwar hatte Mickie Most das Album produziert, doch allein Jeff die Arrangements und Tricks konzipiert. Mit „Shape Of Things“, dem alten Yardbirds-Renner, „Beck’s Bolero“, dem Pendant zum Boogie, mit Evergreens a la „Greensleeves“ und „OF Man River“, dazu zwei Willie Dixon-Songs sowie drei prächtigen Rod Stewart-Kompositionen wurde „Truth“ zum Prototyp einer Heavy-Rock-Platte mit deutlichen Bezügen zum Blues. Bis heute gibt es in diesem Genre nichts besseres.

Band-Tyrann

Über Nacht schwelgte die Gruppe im Erfolg, zwei Amerika-Tourneen endeten triumphal, zumal die Band als Nachfolger der gerade geplatzten Cream gefeiert wurde. Fans, Manager, Veranstalter und Musiker-Kollegen rissen sich um Beck und seine Mitspieler – Donovan schätzte sich glücklich, daß er eine ganze Plattensession mit ihnen spielen durfte. Doch Jeff, der jetzt seine exzessive Lebensweise auf den Höhepunkt trieb, blickte offenbar nicht mehr recht durch. Anstatt mit dieser idealen Band konsequent weiterzuarbeiten, schreckte er seine Kollegen durch diverse Aktionen: Ron Wood wurde gefeuert, kurz darauf aber reumütig wieder aufgenommen; Micky Waller trommelte plötzlich nicht mehr gut genug und mußte die Sticks an Tony Newman abgeben, nachdem Aynsley Dunbar, nach eigenem Bekunden Böses ahnend, ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte; immerhin avancierte Nicky Hopkins zum Vollmitglied. In eben dieser Zeit zog sich Jeff den unangenehmen Ruf eines Band-Tyranns zu.

Schlimmer als alles andere aber war, daß Jeff in London mehrere Konzerte der amerikanischen Band Vanilla Fudge gesehen und dabei Tim Bogert (bg) und Carmine Appice (dr), eine vorzügliche Rhythmus-Sektion, kennengelernt hatte. Als sich Vanilla Fudge 1969 trennten, drehte Jeff völlig durch. Er ließ seine eigene Band platzen, um mit Bogert und Appice die Gruppe Cactus aufzuziehen. Die gerade mit der Beck Group begonnene LP „Cosa Nostra Beck-Ola“ wurde in Windeseile fertiggestellt, am Ende sogar noch mit irregulären Tracks auf LP-Länge gestreckt. Auf „Beck-Ola“ finden sich daher mindestens zwei Stücke, die eigentlich nicht mehr von der Beck Group stammen – „Rice Pudding“ und „Girl From Mill Valley“. Trotzdem zeigte dieses Album im Ansatz, was in der Gruppe alles steckte.

Die weiteren Wege der gefeuerten Musiker sind weitgehend bekannt: Nicky Hopkins wechselte zu Quicksilver Messenger Service, Tony Newman gründete May Blitz, Rod Stewart ging mit Ron Wood zu den Resten der Small Faces, die das „Small“ aus ihrem Namen tilgten. Cactus aber lief ohne Jeff Beck über die Bühne, denn Jeff raste im Herbst ’69 mit seinem Corvette Stingray gegen einen Baum, erlitt unter anderem eine schwere Schädelfraktur und blieb ein knappes Jahr im Krankenhaus.

Lange Zeit noch laborierte Jeff an den – teils psychologischen – Folgen des Unfalls. Doch nach vollständiger Genesung geriet er bald wieder in die Schlagzeilen: Mickie Most hatte das Album „Beck In Motown“ angekündigt, das allerdings nie gepreßt wurde. Tatsache aber war, daß Jeff eine Vorliebe für Soul entwickelt und in Motorcity Detroit mehrere Songs aufgenommen hatte; doch Sessions mit Curtis Mayfield und speziell Stevie Wonder liefen jedoch stets hinter verriegelten Studiotüren. Einzig hörbares Ergebnis dieser Periode war der Steve Wonder-Song „Looking For Another Pure Love“.

Trotzdem ist Jeffs Faible für „aufgeklärten“ Soul später mehrmals aufgetaucht. Kurz nach der Motown-Zeit wurde die Jeff Beck Group, Kapitel zwei, formiert, die mit Bob Tench (voc) und Clive Chaman (bg) zwei am Soul orientierte Künstler beschäftigte. Daneben wirkten noch der klassisch wie jazzig beeinflußte Pianist Max Middleton und der einfühlsame Drummer Cozy Powell mit, dem man seinen späteren Ausflug mit „Dance With The Devil“ nicht krummnehmen sollte.

Diese abermals enorm talentierte Band spielte 1971 in den USA die LP „Rough And Ready“ ein, die Jeff total prägte: Die Produktion sowie fast alle Melodien und Texte stammten von ihm. Nervös vibrierend, gnadenlos hart und messerscharf könnte man den Sound der Platte bezeichnen, doch deutlich tauchten dabei auch Jeffs Schwächen als Komponist auf – einfallsreiche Melodien oder halbwegs interessante Texte sucht man vergebens. „Rough And Ready“ bringt daher keine guten Songs, aber technisch exzellente Musik, gepaart mit überwältigender Gitarrenarbeit.

Für die Aufnahmen zur folgenden LP, „Jeff Beck Group“, reiste man nach Memphis/Tennessee, begab sich in die bewährten Hände des Produzenten Steve Cropper und nahm wieder mehr Fremdmaterial auf, so von Don Nix, Bob Dylan, Stevie Wonder oder dem Motown-Team Ashford/Simpson/Holland. Folglich wirkte die Jeff Beck Group kompakter und ausgewogener – die Zukunft der Band ließ das Herz höher schlagen.

Beck, Bogert & Appice

Das Ende vom Lied aber klang wieder einmal ganz anders. Bogert und Appice hatten ihren Gitarristen Jim McCarty (mit dem alten Yardies-Dmmmer bloß namensverwandt) gefeuert und rein zufällig (?) mit Jeff Beck einen Werbespot für Coca Cola eingespielt: „Things go better with Coke“. Die Beck Group wurde prompt aufgelöst, Bob Tench und Kim Milford als Sänger, Max Middleton als Pianist nochmals getestet, dann aber abgelehnt: Beck, Bogert & Appice versuchten sich als Trio.

Die Rockpresse jubelte: „Dies könnte die neue Cream werden.“ Die Nachteile des Trios waren allerdings eklatant, da ein vernünftiger Sänger ebenso fehlte wie ein fähiger Songwriter (Vanilla Fudge hatten ihre Sternstunden stets mit Fremdkompositionen erlebt). Zwar spielte das Trio auf seinem Debüt-Album „Beck, Bogert & Appice“ Songs von Curtis Mayfield, Stevie Wonder, Don Nix und Ray Kennedy, doch Jeff wirkte seltsam müde, Appice trommelte Gängiges mit doppeltem Tempo, Bogert versuchte mitzuhalten. Bis auf den Song „Superstition“ ist die LP allenfalls ein mäßiges Stirnrunzeln wert. Ein halbes Jahr später konnte man die Platte bei uns schon für DM 9,80 erwerben. Das später noch in Japan erschienene Doppelalbum „BB&A Live“ sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Die Tatsache, daß der Film mit BB&A nicht lief, dürfte Jeff schwer zu schaffen gemacht haben; schließlich mußten zwei Super-Formationen dafür ihr Leben lassen. Möglicherweise ist diese Enttäuschung ein Grund dafür, daß er sich dann blindlings in die Arme des Produzenten George Martin begab, der gleichzeitig mit John McLaughlin arbeitete. Martin’s latenter Hang zu deplazierten Geigenarrangements fand so ein neues Opfer, denn Jeff ließ sich überreden, auf seinem neuen Solo-Album entsprechenden Firlefanz zu gestatten. Insofern wurde dieses (ironischerweise vergoldete) Album durch seine Unausgegorenheit ein typisches Beck-Werk: „Blow By Blow“. Neben harmlosen Kopien nach Mahavishnu-Art tauchten hier allerdings auch feurige Funk-Nummern auf, etwa „You Know What I Mean“ und „She’s A Woman“; in Stevie Wonder’s „Cause We’ve Ended As Lovers“ brachte Jeff eine Höchstleistung – mit einem langsamen Blues!

Gelungener wirkte dann „Wired“, Jeffs Solo-Album für das Jahr 1976, weil hier konsequent Funk-Jazz gespielt wurde. Etwa zur gleichen Zeit erschien ein Album, auf dem Jeff nur als Studiomusiker auftaucht, dessen Titelsong aber eines seiner schönsten Soli enthält: „Journey To Love“ von Stanley Clarke. Clarke zählt zu den wichtigsten Jazz-Bassisten der Gegenwart; auf „Journey To Love“ spielt er unter anderem noch mit Leuten wie Chick Corea, John McLaughlin und George Duke (Frank Zappas langjähriger Keyboard-Mann) zusammen. Jeff Beck in dieser Umgebung – das ist ein deutliches Indiz dafür, daß der britische Gitarrenheld der sechziger Jahre noch immer für Überraschungen gut ist. Vorausgesetzt, er findet die richtigen Mitspieler und Produzenten. Ohne fremde Hilfe wirkt Jeff Beck wie ein Saitenzupfer unter vielen; in der richtigen Umgebung spielt er überwältigend gut. Darum zum Schluß ein frommer Wunsch: „Beck Plays Willie Dixon“, produziert von Muddy Waters. Das könnte, nein, müßte das Ereignis des Jahres werden.