Jenseits der Stille
Sieben Jahre bastelte Mark Hollis an seinem Soloalbum. Nun meldet sich der ehemalige Sänger von Talk Talk eindrucksvoll zurück.
Mark Hollis war einmal ein Popstar, ein ganz großer sogar. Talk Talk hieß seine Band, die vier Jahre lang ihre New Wave-Hymnen in die Charts trug, bevor sie 1986 den Kontakt zur Pop-Welt abbrach. In diesem Jahr standen Hollis und sein Partner Tim Friese-Green auf der Höhe ihres Erfolgs, lief eine neunmonatige Welt-Tournee, erschien „Life’s What You Make It“, der größte Hit der Band. Doch auf dem begleitenden Album „The Colour Of Spring“ war der Wandel schon eingeschrieben, fanden sich im gleichen Maße Evergreens wie auch Stücke, welche die im Pop zulässige Spieldauer deutlich überschritten und sich in ambiente, experimentelle Bereiche vorwagten.
Daß dies tatsächlich der Anfang vom Ende war, ahnte damals noch niemand. Doch Talk Talk kehrten niemals wieder in die Charts oder auf eine Bühne zurück. Die Musikpresse erklärte diesen Umbruch gern mit Drogenexzessen, worüber Mark Hollis nur müde lächeln kann und jeder, der sein waches, ausgeglichenes Wesen erlebt, mit ihm. Nein, die Merkwürdigkeiten dieser Gruppe sind nicht in den üblichen Rock-Kontext zu bringen. Hier ging es um Vergeistigung und den Rückzug aus der Öffentlichkeit. Hollis wurde Vater, ließ sich auf dem Land nieder und bastelte an „Spirit Of Eden“ und „Laughing Stock“, den beiden letzten Veröffentlichungen von Talk Talk, für die mit 20 Musikern und verschiedenen Chören auf 64 Tonspuren ein Aufwand betrieben wurde, der produktionstechnisch gesehen schon fast Titanic-Dimensionen hatte. Als „arrangierte Improvisation“ beschreibt Hollis die damaligen intellektuellen und kompositorischen Höchstleistungen, in deren Verlauf 10minütige Stücke, in denen sich kein Takt wiederholt, als Song funktionierten. Unnötig zu erwähnen, daß derlei Töne nur bedingt als Musik für den Mainstream taugten.
„Wir wollten uns nicht wiederholen und hatten das Gefühl, alles gesagt zu haben“, meint Hollis im Rückblick auf Talk Talk. Also ging jeder seinen eigenen Interessen nach. Gerade deswegen sieht Hollis keine Chance für eine Wiedervereinigung. Zu verschieden sind die eingeschlagenen Wege verlaufen. Das Erbe der Band weiterzuführen, liegt allerdings in Hollis Händen. Schließlich war es seine brüchig-nasale Stimme, die den Stücken ihre einzigartige Wehmut gab. Diese Stimme ist es auch, die Hollis jetzt vorgelegtes Soloalbum („Mark Hollis“) trotz aller feinsinnigen Experimente wieder zu einer melodischen, herzerweichenden Erfahrung macht. Gleichzeitig verbreitet die Platte eine fast überirdische Ruhe, die aus ihrem siebenjährigem Entstehungsprozeß resultiert. „In den ersten Jahren habe ich einige Arrangements für Holzbläser geschrieben“, erzählt Hollis,“nur weil es mich interessierte und nicht, um etwas davon zu veröffentlichen.“ Als es dann aber an die Aufnahmen der Solo-CD ging, stellte sich heraus, daß kein einziges Arrangement umsonst geschrieben worden war. Merkte man der beinahe unheimlichen Perfektion der letzten beiden Talk Talk-Alben schon die Bedeutung einzelner Töne an, so hat Hollis dieses System jetzt auf die Spitze getrieben. Diesmal ist die totale Transparenz oberstes Gebot – vom sekundenlangen Ausklingen eines einzelnen Tons bis hin zum Knarren des Klavierstuhls. Eine Live-Darbietung dieser zerbrechlichen Kunst wird es nicht geben, nicht mal vor Klassikpublikum.“Wenn ich ein klassisches Konzert besuche, stört mich das Rascheln und das Husten“, räumt der sensible Hollis ein, „und meine Musik würde von jedem Geräusch zerstört werden.“ Völlig fern von dieser Welt ist der englische Klangkünstler trotzdem nicht. Er lebt sogar wieder in London -weniger, um ins dortige Nightlife einzusteigen, als vielmehr, um seinen beiden Söhne ein kulturell lebendiges Umfeld bieten zu können. Und was, wenn sie Hardrock-Fans werden? „Oh, sie können machen, was sie wollen“, sagt Hollis, und sein Gesicht nimmt den Ausdruck weiser Güte an.