Jetzt redet George – Die Leiden des jungen G.


Er war das Opfer einer Hetzkampagne, die an Bösartigkeit kaum noch zu überbieten war. Die Boulevard-Presse schoß auf den vermeintlich dahinsiechenden Heroin-Zombie mit schwerem Kaliber. Hier erzählt Boy George zum ersten Mal seine Geschichte. Komplett und schonungslos.

Es ist Sonntag, der 3. August 1986. Ich treffe Boy George in einem Haus in Surrey, wo er sich zur Zeit aufhält, um dem Dauerbeschuß der Boulevard-Presse zu entgehen. Eine Woche vorher war George zu einer Geldstrafe (250 Pfund) verurteilt worden, nachdem er den Besitz von Heroin eingestanden hatte. Drei Tage nach dem Interview wurde sein Freund Michael Rudetski (ein amerikanischer Musiker, mit dem George hatte arbeiten wollen) tot in einer von Georges Londoner Wohnungen aufgefunden — Überdosis. Die Schlagzeile der Tageszeitung „Today“ lautete: „Wann nimmt das alles ein Ende ?“

Eine Frage, die sich George und seine Familie in den letzten Wochen ebenso stellten.

Die Eltern, Gerry und Dina O’Dowd, sowie sein Bruder David sind in dem Haus in Surrey ebenfalls anwesend. Entgegen anderslautender Zeitungsmeldungen: Eine freundlichere und intaktere Familie kann man sich kaum vorstellen.

Ich frage David, wie sie alle mit dem Druck fertig werden. „Meine Eltern lassen sich nach außen hin nichts anmerken“, sagt er, „aber es geht ihnen doch ungeheuer an die Nieren. Es ist ja nicht so, als hätte es nur eine einzige Enthüllungs-Story gegeben; es geht in einem fort und scheint überhaupt nicht aufzuhören. Wann immer ich den Fernseher anstellte, wurde etwas über die leidige Angelegenheit berichtet. Ich fing schon an durchzudrehen. Mein einziger Gedanke war: Mensch, das geht zu weit.“

Obwohl er immer noch in Behandlung ist, sieht George schon gesünder aus als in den Wochen zuvor. Er hat einige Pfunde, die er verloren hatte, wieder auf den Rippen; auch das Leuchten in seinen Augen ist wieder da. Er scheint eigentlich fast der Alte zu sein und tobt durchs Haus, quirlig wie eh und je. Er ist ungeschminkt, hat aber rote Farbe auf dem Kopf, weil er seine Haare nachbleichen will.

Am Tag zuvor hatten wir telefoniert, George hatte sich mit einem Interview einverstanden erklärt. Nur eine Bedingung: Er wollte nicht über Drogen reden, weil er „genug davon hat, sich dauernd zu entschuldigen“.

Wie sich aber herausstellt, ist George doch George: Nachdem wir einmal angefangen haben, gibt es nämlich kein Thema — inklusive Drogen —, über das er nicht lang und breit sprechen will. Er berichtet über die Qual der Sucht, seinen Haß auf die Boulevard presse, die Verhöre der Polizei und über vieles mehr. Er macht ein paar gute Witze, ist aber ein- oder zweimal auch den Tränen nahe.

„Anfangs wußte ich wirklich nicht, was es war. Ich dachte, es wäre Kokain. Ich nahm es halt. Und dann nochmal und nochmal und nochmal und nochmal, nonstop. Ein Alptraum.“

George schnupfte erstmals Heroin in einem Pariser Nachtclub im März 1985. Etwas später am selben Abend wurde ihm — wie gewöhnlich beim ersten Mal — völlig übel. „Die Antwort daraufhätte ganz offensichtlich sein müssen: ,War diese Erfahrung nicht schlecht genug, um sofort damit aufzuhören?!‘ Aber eins führt zum anderen, man verfängt sich in einem Netz. Die Leute um mich herum nahmen es — prompt fing ich auch an. Ich liebte das Gefühl! Jeder Arzt wird dir das bestätigen. Es ist ein wunderbares Gefühl, sehr betäubend, alles wird einem gleichgültig. In bestimmten Situationen, in denen alles schieflief, war es einfach großartig.

Es klingt schrecklich, so etwas zu sagen — und es ist auch schrecklich! Aber es betäubte mich, ich brauchte mich nicht mehr aufzuregen, es war wunderbar. In dieser Zeit! Man entwickelt auf Heroin so eine falsche Arroganz, man dünkt sich überlegen. Man glaubt etwas zu wissen, was kein anderer weiß. Genau deshalb war es perfekt in all jenen Situationen, wenn die Medien mich in Stücke rissen oder die Platten sich nicht verkauften.

Es war der beste Weg, sich zu verstecken. Vor ungefähr acht Monaten begann ich, Heroin regelmäßig zu nehmen, etwa vier Gramm die Woche. Ich ging überhaupt nicht mehr aus. Ich blieb immer zu Hause, tat es, und drehte immer mehr durch.

Jeder machte sich Sorgen, aber mir war alles piepegal. Das ist überhaupt das Schlimmste, glaube ich, an dieser Art Droge: Man kümmert sich einen Dreck um alles, und dabei kann einem sehr viel passieren. Ich hätte so oft sterben können.

Süchtig zu sein, hat mich total erschreckt. Und der Grund aufzuhören, waren wohl diese unheimlichen Schmerzen, die man hat, wenn man süchtig ist. Ich könnte dir Geschichten über mich und Marilyn erzählen, wo wir so krank waren und uns gegenseitig versicherten: ,Ich will niemals wieder dieses Gefühl haben, nie nie nie wieder!‘ Ich habe wirklich nicht mehr daran geglaubt, je wieder sauber zu sein — und gerade das Gefühl war total scheußlich. Ich bekam eine Heidenangst, weil ich immer sehr diszipliniert gewesen bin und mich plötzlich in einer Situation befand, in der es mir unmöglich wurde, aus dem Bett zu kommen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, wie ein alter Mann!

Weißt du, man ist so daneben, man tut dies und tut das, fliegt hierhin und dorthin und wird wirklich nachlässig. Früher war ich immer sehr vorsichtig mit meinem Geld — und dann wurde ich genau das Gegenteil: Ich wurde großzügig zu Leuten, sogenannten Freunden… Ich wurde von so vielen Leuten auf den Arm genommen und fühle mich wie ein Trottel.

Ich saß viel in fremden Appartments rum. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, daß man mich geschnappt hat, denn ich habe das Zeug immer selber besorgt und hatte keine Drogen-Boten. Das ist übrigens eine Sache, die mich im nachhinein freut: Ich habe nie jemanden benutzt, der mir Drogen besorgen sollte, kh hatte nie Lakaien und habe nie jemanden genötigt, das Risiko zu übernehmen.

Es klingt schlimm, aber ich hatte z. T. eine gute Zeit auf Heroin, aber dadurch wird die Droge nicht besser — und ich sollte sie darum auch nicht noch promoten. Darum ging ich raus an die Öffentlichkeit und sagte: ,Sehr her. Ich bereue.‘ Wenn ich dadurch ein paar Kinder davon abhalte, heroinsüchüg zu werden, dann ist es eine gute Sache. Selbst wenn ich nur einen davon abhielte, wäre das eine gute Sache.

Das war ursprünglich auch der Grund, warum kh alles ableugnete — selbst zu einer Zeit, wo schon klar war, daß die Gerüchte der Wahrheit entsprechen. Ich wollte einfach nicht diese Wirkung auf die Kids haben. Ich fühlte mich schuldig deswegen. Ich dachte: , O Gott, wenn es herauskommt, wird es ganz schlimm, denn ich könnte dann vielleicht verantwortlich werden für den Tod eines Kids‘.“

„Das war erstunken und erlogen! Es war nicht wahr — und ich habe keinen Grund zu lügen, weil sowieso alles bekannt ist. Ich könnte dir erzählen, was ich getan habe, ich könnte dir jede Droge nennen und jeden Vorfall, aber das ist einfach nicht wahr!“

Am 10. Juni 1986 kam der „Mirror“ mit einer Titelgeschichte raus, in der der Fotograf David Levine behauptete, daß George ein ernstzunehmendes Kokainproblem habe. Er berichtete von einer Fotosession, in deren Verlauf George ihn gebeten und überredet habe, Koks zu besorgen.

Jedenfalls behauptet George, daß er kein Kokain nimmt. „Es paßt überhaupt nicht zu mir. ich habe es mal genommen und bin nur paranoid davon geworden. Ich hasse Koks! Ich bin von Natur aus schon so aufgedreht, ich brauche diese Uppers nicht. Ich nehme an, das war auch ein Grund, warum ich so auf Heroin stand. Denn das machte mich ruhiger.“

„Ich nehme an, daß ich insgeheim wußte, daß die ganze Sache irgendwann einmal auffliegen würde. Ich dachte, es würde eher jemand aus meinem Freundeskreis sein als mein Bruder. Aber so geht ’s. „

Der Rest des Monats Juni verging mit Spekulationen über Georges Drogenkonsum. Culture Club sagten ihre US-Tournee ab. George trat bei dem Clapham Common Anti-Apartheid-Konzert auf, wo er sich selbst als „Britain’s favourite junkie“ bezeichnete.

Schließlich bekam die Boulevardpresse von der Fleet Street die Story, allerdings aus der am wenigsten wahrscheinlichen Ecke. In einem letzten verzweifelten Versuch. George vom Heroin wegzubringen, rief sein jüngerer Bruder David Nick Ferran von „The Sun“ an und präsentierte ihm die ganze Geschichte auf einem silbernen Tablett.

„Ich sagte ihm, daß ich auf keinen Fall Geld dafür nehmen würde“, erzählt mir David, „und sie waren in 15 Minuten zur Stelle. Ich öffnete ihnen alle Türen, aber sie ließen mich voll ins Messer laufen, indem sie einen wirklich brutalen Artikel über. Die verrückten O’Dowds‘ schrieben.

Am nächsten Abend konnte ich nicht mehr in mein Haus herein. Es war von rund 40 Leuten umzingelt. Ich ging zwei, drei Kilometer die Straße runter, um eine Telefonzelle zu finden — aber auch davor standen zehn Journalisten Schlange. Es war lächerlich.

George rief mich an und hinterließ mir eine wirklich nette Message auf dem Anrufbeantworter. (Er lacht) Ich glaube, er nannte mich ‚fucking cunt‘ und zehn Mal ‚Bastard‘. Ich wußte, er meint es nicht so. Er war aufgebracht, weil ich es an die Öffentlichkeit gebracht hatte und er vielleicht viel Geld verlieren würde. Er sollte ja darüber aufgebracht sein. Seine Gesundheit war weit wichtiger als das.

Was ich bedauere, ist die Tatsache, daß unsere ganze Familie durch den Schmutz gezogen wurde. Ich war derjenige, der der Zeitung etwas gegeben hatte, wovon sie immer geträumt hatte. Und trotzdem zogen sie auch mich durch die Scheiße.

Ich will nicht behaupten, daß ich naiv war und nicht wußte, was solche Blätter machen. Ich wußte es. Ich bedauere auch nicht, daß ich die Story der ,Sun’gegeben habe, denn sie sind sowieso alle gleich. Hinterher sagten die vom .Mirror‘: ,Du hättest die Geschichte uns geben sollen, wir hätten dich nicht so behandelt. Alles Mist. Sie alle sind sensationslüstern. „

„Ich erinnere mich daran, daß ich das Fenster öffnete, in Kameralinsen schaute und in Tränen ausbrach. Ich bin durchgedreht.“

Als die Geschichte einmal veröffentlicht war. überschlugen sich die Ereignisse. George rannte. „Draußen vor meinem Haus standen vier Fernsehkameras, Beleuchter und Tausende von Journalisten. Und ich dachte: ‚Mein Gott, was ist passiert?‘ Ich freakte wirklich aus. Es war ein Alptraum, nur schrecklicher. Ich mußte auf der Rückseite meines Hauses aus dem Fenster klettern und weglaufen. Ich lief weg und fand einen Platz, wo ich mich verstecken konnte. Ich dachte mehrere Tage lang damals: Mein Gott, jeder wird dich hassen. Denn Heroin ist so eine schmutzige Droge, so dreckig. Es ist nicht wie Kokain, das für viele Leute mit Glamour verbunden wird. Weij.it du, es ist okay, wenn Rockstars Koks nehmen. Jeder tut das offensichtlich. Ich muß einer der wenigen sein, der’s nicht nimmt. Aber Heroin ist nur schlecht und darum dachte ich, die Leute würden mich hassen.

Aber die Reaktionen waren großartig. Die Leute waren wirklich nett; das habe ich eigentlich gar nicht erwartet. Einige der Briefe, die ich bekommen habe, waren wirklich süß. Kinder von sieben Jahren schrieben:, Ich liebe dich, bitte bring dich nicht um.‘ Und da denkt man dann nur: Allmächtiger Gott. Ich war so schockiert darüber, welchen Einfluß ich auf andere Leute habe. Es ist erschreckend, wirklich erschreckend. Meine Behandlung war gerade zur Hälfte vorbei, als ich diese Briefe bekam. Und ich hab nur noch geheult und geheult und geheult.

Ich weiß, es klingt wie Lassie oder so etwas, aber es war schrecklich. Ich dachte nur: ,O nein, diese Leute sind so nett zu dir, ich verdiene diese Anteilnahme und diese Leute nicht.‘ Ein Mädchen erschien im Gerichtssaal mit 16.000 Pfund in ihrer Tasche, um mich da rauszuholen. Ich schaute sie an und sagte: ,Du bist verrückt, du mußt sowas nicht tun.'“

„Die Polizei verhielt sich halt wie die Polizei. Was soll ich sagen?“

Am 12. Juli ging George aus eigenem Entschluß zur Harrow Polizeistation, wo er verhört und wegen des Besitzes von Heroin angeklagt wurde. „Sie nahmen mir meine Hosenträger, meinen Gürtel, meine Schnürsenkel ab und schickten mich in eine Zelle. Ich stand, wie gesagt, mitten in meiner Behandlung und hatte einen bösen Entzug und heulte nur. Ich fühlte mich so schuldig in dieser Gefängniszelle. Ich dachte nur: Mein Gott, in dieser Zelle ist bestimmt so vielen Leuten der Schädel eingehauen worden; und ich sitze hier und esse mein Frühstück ohne Schnürsenkel, Hosenträger und Gürtel. Es war wie:, Was passiert hier eigentlich? Warum sitze ich in dieser Zelle? Warum kriege ich von ihnen Frühstück? Was haben sie vor?‘ Aber so läuft ihr Spiel.’Verwirrung. Sie verwirren dich und stellen dir Fragen und versuchen dich in die Falle zu locken., Wann hast du gesehen, daß Marilyn Freebase genommen hat?‘ Und du weißt verdammt gut, daß du sowas auch nie nur angedeutet hast. Sie versuchen dich auszutricksen. Sie fragten mich über Marilyn aus.

Und ich dachte: Was zum Teufel hat das mit mir zu tun? .Nimmt Marilyn Kokain?‘ Ich sagte: ,Es kümmert mich einen Scheiß, ob sich Marilyn Kerzenleuchter in den Arsch steckt, fragt mich nicht aus über ihn.‘ Aber ganz offensichtlich hatte Marilyn ihnen Dinge über mich erzählt, die sie gar nicht wissen wollten. Aber sie konnten es sich nicht verkneifen und hakten nach. Du weißt, er hat ihnen etwas über mein Sexualleben erzählt.

Aber dennoch kann ich Marilyn nicht hassen, werde ich auch nicht. Alle, meine Mutter, meine engsten Freunde haben mir gesagt, ich sei verrückt, aber ich liebe diesen Jungen. Ich liebe ihn wirklich und ich kann ihn einfach nicht hassen. Ich finde trotzdem, daß dies eine der miesesten Sachen ist, die er je gemacht hat. Ich glaube, er war drauf und dran, als Belastungszeuge gegen mich auszusagen.

Ich mußte aussagen, weil jeder schon gegen mich ausgesagt halle. Jeder. Alle meine guten Freunde hatten ausgepackt. Keiner von ihnen verbrauch nur eine Minute, um auszupacken. Es gab also für mich keinen Grund, weiterhin zu lügen.

Siehst du, das ist das Ding. Ich hätte alles auf die lange Bank schieben können. Ich war nicht schuldig.

Ich bin nie mit Heroin in der Tasche festgenommen worden. So blöd wäre ich niemals. Und ich wollte auch keine Dealer verpfeifen. Die zwei Dealer, von denen ich meinen Stoff bezogen haue, saßen im Knast, aber ich wollte nicht gegen sie aussagen. Ich fühlte mich verantwortlich. Es war ja nicht ihr Fehler, daß ich Heroin nahm. Ich dachte, sie wären meine Freunde.

Aber das isi eine Sache, die man lernt: Kein Dealer ist dein Freund. Sie sind alle Schweine. Sie kamen ins Gefängnis — und das Erste, was sie taten, war, die ekelhaftesten Sachen über mich zu sagen. Ich meine: sofort! Ich weißes, denn ich habe ihre Aussagen gelesen. Sie behaupten, ich würde einen internationalen Drogenring unterhalten und mein Geld würde dazu benutzt, weltweit Drogen zu verkaufen. Es hieß also: sie oder ich. „

„Als man meinem Bruder nicht erlaubte, eine Kaution zu stellen, rannten die Presseleute aus dem Gerichtssaal, jubelnd und glücklich. ,Keine Kaution, keine Kaution.‘ Sie verhielten sich wie Kinder. Sie hatten richtig Spaß an der Sache. Sie sind Geier, da gibt es kein Reden.“

Am 29. Juli wurde George unter Protesten, daß dieses Urteil zu mild sei, zu einer Geldstrafe von 250 Pfund verurteilt. „Einen Monat vor meiner Verhandlung fühlte ich mich vollkommen niedergeschlagen.

Ich wurde natürlich nicht wie ein normaler Mensch behandelt: Ich bin Boy George. Aber dafür ging meine Familie durch die Hölle. Ich nehme an, in gewisser Hinsicht war der Richter im Begriff zu sagen: .Ich behandele dich heute wie eine ganz normale Person. Ich werde so vorgehen, als wärest du irgendein Heroinsüchtiger und nicht, als wärst du Boy George.‘ Die Presse hingegen tat ihr Bestes, damit ich verurteilt wurde.

Es gibt soviel Heuchelei in puncto Drogen. Einmal war ich bei einem Heroindealer und traf dort einen Typen von der,Sun‘. Ich flippte aus und dachte: ,O nein, der macht daraus eine Story.‘ Dabei kaufte er auch sein Zeug. Ich werde seinen Namen nicht erwähnen, aber die haben die Stirn, mich zu verachten und niederzumachen — -und wissen gar nicht, wenn sich einer ihrer Reporter auch mit Drogen versorgt.

Ich bin gutgläubig, sogar ein Trottel in vielerlei Hinsicht. Selbst als all diese Sachen liefen, öffnete ich diesen Boulevard-Schreibern weiterhin meine Tür — in der irrigen Annahme, daß einer von ihnen doch ein netter Kerl sein müsse. Aber keiner von denen ist nett. Alles gottverdammte Schweine.

Ich finde, ich war immer gut zu ihnen — gastfreundlich selbst dann, wenn sie gekommen waren, um mir ekelhafte Fragen zu stellen. Sie aber waren brutal gegen meine Familie. Das war auch der Grund, warum ich mich über meinen Bruder David so aufgeregt habe. Er machte sich Sorgen um mich und dachte, ich würde mich umbringen. Der einzige Grund, warum ich mich über ihn geärgert habe, war der, daß er diesen Schweinen eine Gelegenheit gab, sich in unsere Familienangelegenheiten einzumischen. Und schließlich und endlich sind diese Menschen das Einzige, was ich habe — meine Leute, meine Familie, das ist persönlich.

Ich hasse die Vorstellung, daß meine Familie etwas mit meiner Arbeit zu tun hat. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich liebe meine Eltern, wirklich. Tolle Menschen, sehr speziell, besonders meine Mutter. Was sie zu mir sagte, war herzzerreißend, z. B.: ,Lieber sterbe ich, als daß ich dich sterben lasse.‘ Wenn ich nur daran denke, läuft es mir kalt über den Rücken. Sie hat das wirklich gemeint. Immer wieder kam sie zu mir nach Hause und weinte und bat mich: .Bitte, bitte, hör doch auf damit. ‚ „Ich wurde diese Art Ding. Als Person hörte ich auf zu existieren. ,Boy George‘ war irgendjemand anderes, über den die Leute abstruse Vorstellungen hatten. Und ich machte in diesem Spiel weiter mit. „

Während ich darauf warte, daß George zum Interview erscheint, schaue ich mir ein Video an. das im Verlaufe einer Culture Club-Tour durch Australien vor ein paar Jahren gedreht worden war. Sehr nostalgisch! Man sah George, wie er in jeder nur denkbaren Talk- und Popshow Interviews gab und dabei immer wieder dieselben alten Fragen beantwortete: , Warum trägst du Frauenkleider?‘ und ähnliches. George war ständig am Grinsen und schien sich offensichtlich köstlich zu amüsieren. Aber das war der alte Boy George. Boy George der Popstar. Der neue Boy George ist da schon realistischer.

„Ich glaube, ich bin ein bißchen unhöflicher geworden mittlerweile. Es gab eine Zeit, in der ich meine Rolle 24 Stunden lang spielte und es tunlichst vermied, zu irgend jemandem unhöflich zu sein aus Angst, wir könnten einen potentiellen Plattenkäufer verlieren. Aber irgendwann dachte ich nur noch: ,lch kann das nicht mehr ertragen, scheiß auf die 43 Pence (der Preis, den ein Künstler in England für eine Single erhält. – Red.), leck mich doch.‘

Es gab Zeiten, da glaubte ich wirklich, daß bestimmte Kids zu mir gehören würden. Ich war so leichtgläubig und glaubte wirklich daran, sie seien mein kleiner Clan und ich schulde ihnen etwas. Es gab eine Gruppe von etwa 12 Mädchen, die ständig mein Haus belagerten. Ich ließ mich auf diese Kids derart ein, daß es im Endeffekt fast so schien, als sei ich ihr Fan. Es war eine Art Rollentausch und fing an, ganz schön seltsam zu werden.

Aber plötzlich waren sie weg, und ich war unheimlich verwirrt. Ich dachte: .Mein Gott, was machst du nur. man kann sich auf solche Leute nicht einlassen! Damals — so vermute ich — dämmerte mir, was für ein Schwindel diese Popwelt ist. Die Folge war Enttäuschung. Vorher haue ich wirklich an all das geglaubt. Ich setzte mich oft hin und schrieb Briefe an meine Fans. Ich war mit voller Hingabe ein Popstar -— und ich war ein guter obendrein.

Es war mir schon immer aufgefallen, daß gewisse Elemente der ganzen Sache ein totaler Schwindel waren nichts als Fälschung. Die ganze Zeit über dämmerte mir so etwas. Aber dann plötzlich hat’s mir gelangt und ich dachte: , Okay, so ist das halt, ich laß mir das nicht mehr gefallen.‘ Weißt du, ich liebe die Musik, ich liebe es, zu singen und zu spielen. Aber was mit Culture Club passierte, war folgendes: Wir trafen uns nicht mehr auf dieser Arbeitsebene, wir hörten auf zu proben, wir hörten auf, zusammen Songs zu schreiben. Es wurde alles Strategie, Fahrplan, häßlich! Es hat mich nur noch genervt — und das mag auch ein Grund dafiir gewesen sein, warum ich anfing, tonnenweise Drogen zu nehmen. Es kam mir vor, als sei ich in einer Band wie Genesis —, das wollte ich nun einmal nicht.

Es gab Zeilen in meiner Karriere, wo alles, was ich gesungen habe, wirklich ehrlich gemeint war. , Victims‘ z. B. war total ehrlich und es hatte mit dem zu tun, was mir passiert ist. Aber damit habe ich dann irgendwann aufgehört.

Doch jetzt will ich wieder damit anfangen, über meine Probleme zu singen. Darin bin ich nämlich gut. Wenn ich einen Song singe, den ich auch so meine, dann kommt’s rüber. Ich glaube, die besten Songs müssen diese Art von Wahrheit haben. Jeder will doch wissen, was da drin los ist, oder nicht? Ich will’s auf jeden Fall.

Und genau das war das Problem mit Culture Club. Es gab einen Frontmann — mich — und drei Luschen. Tut mir leid, wenn es klingt, als sei ich ihnen gegenüber unhöflich, aber ich habe immer zu Jon gesagt: ‚Bitte benimm dich wie ein Star. Mach du deine Show.‘ Ich wollte immer, daß sie auch im Rampenlicht stehen.

Man muß für diese Dinge einfach kämpfen. Man muß. Das ist eine von den Sachen, die sie nie kapiert haben. Der Rest der Band hat nicht verstanden, daß man diese Dinge nicht geschenkt bekommt. Keiner hat mich zu dem liebenswürdigen Boy George gemacht — außer mir! Ich habe gedrückt und gedrängt und geschoben und bin dabei vielen Leuten auf die Füße getreten. Aber ich brachte sie dazu, mir zuzuhören — und genau das muß man einfach tun. Anderenfalls interessiert sich nämlich keiner für dich.

Es waren z. T. tolle Zeilen. Ich hatte viel Spaß. Vielleicht denkst du, daß dies alles ziemlich trivial ist, aber für mich waren das wirklich wunderbare Erfahrungen. So z.B. wenn man live ein langsames Stück nur mit Klavierbegleitung spielt — und der ganze Saal ruhig wird. Das hat mich echt angetörnt. Ich fühlte mich wie Billie Holiday.

Weißt du, ich bin sehr schnell zufrieden zu stellen. Vielleicht klingt das, als wäre ich ein peinlicher, unangenehmer, schwieriger Bastard, aber letztlich bin ich leicht zu begeistern. Ich hatte mit Culture Club eine schöne Zeit und ich habe immer noch eine gute Zeit. Ich freue mich auf das, was kommt. In gewisser Weise hatte die Heroinsucht auch ihr Gutes. Denn jetzt, wo ich das hinter mir habe, sage ich mir: .Gütiger Gott, sieh mal, was ich alles nicht gemacht habe!‘ Ich weiß, was ich dadurch verloren habe, aber ich weiß auch, was ich gewinnen kann, wenn ich sauber bleibe, durchhalte und weiterarbeite.“