Jim Morrsion: Jim Morrison, 10 Jahre danach


Der Helden-Mythos ist am zerbröckeln. "Bald werden wir keine andere Wahl haben, als uns selbst zu versorgen, als selbst unsere eigenen Hauptdarsteller und Stars zu sein. Das mag als Überlebenswille gesund sein, macht dich aber auch sehr, sehr einsam." (Patti Smith)

Ende 1970 war es, als Patti Smith – damals noch Rock-Journalistin – diese Sätze über die gerade verstorbene Janis Joplin schrieb. Gleich neben ihrem Artikel in der amerikanischen Musikzeitschrift „Hullaballo“ war, ohne offensichtlichen Zusammenhang, ein Gedicht placiert worden. Der Autor: James Douglas Morrison. Der gleiche Jim Morrison, der bezeichnenderweise gerade zu diesem Zeitpunkt den Entschluß faßte, aus dem Star-Karussel auszusteigen und seinen eigenen Mythos konsequent zu unterlaufen.

Der Versuch kam zu spat. Sechs Monate später, am 3. Juli 1971, war Jim Morrison tot.

Was seine Person zehn Jahre danach noch interessant macht, hat nur zum geringeren Teil musikalische Gründe. Jim Morrison und die Doors haben, Iggy Pop und Patti Smith einmal ausgenommen, keinerlei direkten Einfluß auf die weitere Entwicklung der Rockmusik genommen. Von einem lokalen Doors-Revival in seiner Heimat Los Angeles abgesehen, ist Morrison mit seiner Band ein musikalischer Dinosaurier geblieben, der nun, nachdem die 60er Jahre nur noch Stoff für Geschichtsbücher sind, langsam in die Erinnerung zu verblassen beginnt.

Seine Talente als Texter und Poet dürften heute nicht weniger umstritten sein. Zwar war es Morrisons fast schon krankhafter Ehrgeiz, als Lyriker akzeptiert und respektiert zu werden, doch klafften Ansprüche und Resultate oft beträchtlich auseinander. „Er war“, schrieb der Rolling Stone 1979 zurückblickend, „als Lyriker einfach zu unreif. Unfähig zu fühlen, wie wenig er von dem Handwerk verstand, Visionen in adäquate Worte und Rhythmen umzusetzen. Die ambitioniertesten Songs der Doors waren oft die schlimmsten. Morrison war nicht der furchtlose Prophet, in dessen Rolle er sich gerne sah, sondern vielmehr ein pompöser Narr. Mit düsterer, messianischer Dringlichkeit lieferte er Bilder und Ideen, die in ihrer fehlenden Originalität schlichtweg peinlich waren.“

Das mag überzogen und unfair klingen, doch wer seine literarischen Quellen ein wenig abklopft, kann heute nachvollziehen, wie hemmungs- und orientierungslos Morrison oft mit seinen poetischen Vorbildern jonglierte. Auf seiner Bücherliste standen u.a. Artaud, Rimbaud, Celine, Cocteau, Nietzsche, Freund, Jung, Genet, Pinter, Joyce, Kerouac und Burroughs – praktisch die gleichen Quellen, die später Patti Smith mit ähnlich romantischem Dilettantismus zu reaktivieren suchte. Daß Morrisons halluzinatorische Wortketten oft beeindruckende Bilder hervorbrachten, wird niemand bestreiten wollen. Daß sie aber ebenso oft nicht mehr waren als bombastische Worthülsen, sollte man aus der heutigen Distanz ebenfalls feststellen dürfen.

Es ist etwas anderes, was im distanzierten Rückblick heute Jim Morrison noch interessant macht. Er war, wie Patti Smith ebenso richtig über Janis Joplin bemerkte, einer der letzten Rock-Mythen, einer der letzten überdimensionalen Fixierpunkte, die mit ihrem extremen Leben die Phantasie des Publikums kitzeln und von der Durchschnittlichkeit des genormten Konsumten ablenken. Er war – wie James Dean, Lenny Bruce, Jimi Hendrix, Brian Jones, Janis Joplin und Keith Moon – Opium für das Volk und seine unausgelebten Wünsche.

Jim“, so der Doors-Manager Bill Siddons,“ging keine Kompromisse ein. Zumal wenn er betrunken war, folgte er einem Handlungsfaden bis ans bittere Ende, egal ob er ihn nun in die Hölle oder in den Himmel führte.“ Morrisons Freund Michael McClure: Jim nahm mit allen seinen Sinnen wahr und veränderte die Wahrnehmung durch Alkohol, Acid und seine angeborene Überschwenglichkeit. Er war fasziniert von den Möglichkeiten seiner Sinne und begeistert über jede Veränderung in seinem Nervensystem.“ Morrison testete Rimbauds Behauptung, daß ein Poet zu einem Visionär werde durch eine „grenzenlose und systematische Desorganisierung seiner Sinne.“ Oder – wie William Blake es formulierte: „The road of excess leads to the palace of wisdom.“

Danny Sugarman, Co-Autor der Morrison-Biographie „No One Here Gets Out Alive“, geht sogar noch einen Schritt weiter. Jim Morrison“, so schreibt er, „verhielt sich mehr wie ein Wissenschaftler als wie ein Künstler. Er experimentierte mit jeder Person in seiner Umgebung. Und genau das war es auch, was bei einem Doors-Konzert passierte.“ Über die gleiche Eigenschaft bemerkte Mick Farren einmal im NME: „Sein unbedingter Wille, bis an die Grenzen vorzustoßen, war es, der Jim Morrison von der Herde der posierenden Macho-Rockstars unterschied. Aber es war gleichzeitig auch sein größtes Problem: Als er merkte, wie bodenlos der Masochismus des Publikums war, verspürte er nur noch Ekel.“

Diese Erkenntnis kam zu spät. Bereits 1969 hatte er einem Freund anvertraut: „Wenn ich innerhalb des nächsten Jahres keine neuen Möglichkeiten finde, um mich kreativ weiterzuentwickeln, bin ich bald ein toter Mann.“ Über sein Image als Sex-Symbol und „Lizard King“ bemerkte er wenig später verbittert: „Ich habe den Eindruck, als wollten die Leute einfach nicht kapieren, daß ich das nur mit einem Augenzwinkern mache. Es ist so, als würde ich einen Schurken in einem Western spielen. Wie kann man das bloß für bare Münze nehmen,“ Und wenig später: „Ich habe versucht, den Mythos ins Absurde zu übersteigern und ihn damit auszulöschen.“

Daß das ein aussichtsloser Versuch war, muß ihm in den letzten Jahren mit erschreckender Sicherheit klar geworden sein. Er war angewidert von den Leuten, die nur zu einem Doors-Konzert kamen, um Obszönitäten und einen möglichen Konflikt mit der Polizei zu beobachten. „Ich habe alles so satt“, sagte er 1971 in Paris, „die Leute sehen in mir einen Rockstar, und ich möchte damit überhaupt nichts mehr zu tun haben.“

Der Helden-Mythos ist am zerbröckeln“, schrieb Patti Smith. Es gibt, so scheint es, heute in der Tat weit weniger Kandidaten, die bereit wären, freiwillig ihren Kopf auf das Schafott des öffentlichen Voyeurismus zu legen. Jim Morrison mußte am eigenen Leibe erfahren, wie die Öffentlichkeit von ihm Besitz ergriff und diesen Griff nicht mehr lockerte. Wie Konstellationen, die er anfangs selbst mit aufgebaut hatte, ihn nicht mehr mit heiler Haut davonkommen ließen.

Daraus zu schließen, das Bedürfnis nach opferwilligen Helden hätte beim Publikum nachgelassen, wäre sicher illusionär. Gerade der unglaubliche Erfolg der Morrison-Bio (Nr. 1 in den US-Bestseller-Listen), die sich aus einer Schlüsselloch-Perspektive an seinen Exzessen bei Sex und Drogen aufgeilt und so das Korsett weiter zuzementiert, das Morrison durchbrechen wollte – gerade der Erfolg dieses Buches ist dafür sinnigerweise ein depremierender Beweis.

John Travolta übrigens, so konnte man in diesen Tagen in einer amerikanischen Zeitschrift lesen, soll in einer geplanten Verfilmung von Jim Morrisons Leben die Hauptrolle übernehmen.