Joan Armatrading


An musikalische Vorbilder kann. sich Joan nicht erinnern; ihr unverwechselbarer, persönlicher Rock-Stil entstand aus dem, "was in der Luft lag". Ihre neue LP, deren Erscheinungsdatum und Titel noch nicht genau feststehen ("No Love" auf der ME-Schallplatte ist eine Welturaufführung!), ist anders geraten, als ihre früheren Meisterwerke: Englands frischer Wind hat sie zu New Wave Anklängen, Synthie-Sounds und grundsätzlich zu Musik mit mehr Energie inspiriert.

„I Wanna be myself/I came in this World alone/Me myself I“, sang Joan Armatrading vor einem Jahr auf jener I Platte, die ihr in Verbindung mit I einem Auftritt in der TV-Rock-nacht in Deutschland den Durchbruch bescherte. „Me myself I“: noch prägnanter, noch engagierter kann man das Bekenntnis zur eigenen Sache, zur eigenen Persönlichkeit sprachlich wohl kaum ausdrücken. Eigenlob oder Narzismus, also eitle Selbstbewunderung, stecken jedoch nicht hinter diesem Statement: „It´s not that I love myself“, heißt es ausdrücklich im Songtext, „I just don’t want company/Exept me myself I“.

Warum aber dann soviel Wirbel um das eigene Ich? Vermutlich, um einen persönlichen Wendepunkt, einen individuellen Durchbruch zu markieren – jenen Durchbruch, bei dem aus der doppelten Identität als Mensch und Künstlerin eine einzige Identität wird. Jenen Wendepunkt, an dem die Erkenntnis kommt, der, der da singt, und das, was er singt, bin ich, ohne Einschränkung, Lügen, zweifelhafte Untertöne. My myself I, ein Mensch aus einem Guß. Ein Akt der Befreiung, den viele Rockmusiker nie erreichen, was ihrer Musik schadet, mehr aber noch ihnen selbst.

Selbstfindung, Identität, „Identity“: ein Hit von Poly Styrene und X-Ray Spex aus der Frühzeit der Punk-Bewegung, der es ja auch um die Beantwortung der Frage ging, wo man eigentlich noch einen Platz, seinen Platz finden könne in einer trostlosen, sterbenden Welt „Race And Identity“: Titel eines (sehr guten) Buches, über die Karibik-Insel Jamaika und ein generelles Thema der schwarzen Menschen in dieser Welt. Joan Armatrading kommt aus der Karibik und hat eine schwarze Hautfarbe, obwohl, wie sie sagt, ihr das erst auffällt, wenn man sie darauf anspricht. Journalisten ist das allerdings aufgefallen, und sie hatten dann Probleme, Joan Armatrading in die schwarze Schublade zu stecken. „Seele auf Eis“ betitelte die Zeitschrift SOUNDS vor drei Jahren einen Artikel über Joan Armatrading, eine Kennzeichnung, die man auch anderswo finden kann. „Seele auf Eis“, weil ein Song wie „Show Some Emotion“ scheinbar unterkühlter klingt als das,‘ was als schwarze Musik schlechthin angesehen wird, der Blues. Joan meint, diese Charakterisierung sei Quatsch, aber sie geht schnell darüber hinweg, denn von den Medien ist sie eigentlich fast immer gut behandelt worden.

Gleichwohl weiß sie, dass die Medien von Künstlern, besonders von populären, ein besonderes Image aufbauen, durch jede Kritik, jeden Artikel (auch den, der jetzt hier im MUSIK EXPRESS steht). Im Extremfall führt das dazu, dass die Medien den Künstlern ihre künstliche Identität aufzwingen, was in der leichtgewichtigen Popmusik besonders häufig vorkommt. Dagegen hilft nur kritisches Selbstbewusstsein, eine festverankerte Persönlichkeit, me myself I. Schwarz sein und Rockmusiker sein, bejubelt und kritisiert, aus der Karibik stammen und in Birmingham leben, im Scheinwerferlicht stehen vor tausenden von Leuten und den Fernsehkameras für Millionen, dort ein Stück von sich selbst zu enthüllen, denn „Show Some Emotion“ ist ein Grundanliegen von Rockmusik als wichtigster Kunstrichtung unserer Zeit… das alles ist psychologischer Stress und den hatte Joan Armatrading bewältigt, als sie „Me Myself I“ sang, den Song, der den Dreh und Angelpunkt ihrer bisherigen Karriere darstellt.

Joan ist ungeheuer talentiert, war es von Anfang an, aber es fiel ihr schwer, sich mit einer Existenz als Musiker abzufinden. Sie schrieb seit Mitte der siebziger Jahre großartige Songs, aber der – trotz breiter Zustimmung in den Zeitungen – ausbleibende Erfolg machte sie unsicher. Als sie mit einem neuen Plattenvertrag weitermachte und vor allem durch Tourneen mit Supertramp und Nils Lofgren in England Zuhörer eroberte, wurde ihr von der Presse bescheinigt, sie wirke auf der Bühne steif und linkisch. In der Tat wäre Joan lieber eine stille Songschreiberin geblieben, anstatt ins Rampenlicht zu drängen. Aber ihre Musik war so eigenwillig, dass wohl nur sie selbst eine annehmbare Interpretation schaffen konnte. Ihr Manager gab ihr den entscheidenden Anstoß, den Job ohne Wenn und Aber zu akzeptieren: „Du musst mit ganzer Seele dabei sein“. Joan überwand ihre Scheu, sich öffentlich zu offenbaren. Die LP SHOW SOME EMOTION zeigte zum ersten Mal die ungeheure Spannbreite ihrer Musik. Rock und Reggae, Soul und Jazz, aber mit einer so ungewöhnlichen Stimme und zu so ungewöhnlichen Songs verarbeitet, dass keine Kategorie richtig passte. Joan Armatrading schuf ihren ganz persönlichen Rockstil und der war so komplex, dass er mit kommerziellem Erfolg unvereinbar schien.

Dennoch stieg sie 1976 mit der Single „Love And Affection“ erstmals in die britischen Top 10 ein, und dieser Erfolg machte es ihr leichter, die Bühnenscheu abzubauen und ihre Texte, in denen sie persönliche Aussagen gern hinter einem Wulst schwer verständlicher Worte versteckte, zu entzerren. Nach einem halben Jahrzehnt im Rockgeschäft bekräftigte sie

1979 und 1980 all die zum Teil überschwänglichen positiven Wertungen, die man a i vor in den Medien über sie hatte lesen und hören können: Das Live Album STEPPIN OUT und das Studio-Album ME MEYSELF I dokumentierten die Reife einer ganz außergewöhnlichen Rockinterpretin. Joan hatte ihren Platz gefunden, und das Publikum hatte sie gefunden: Vor diesem Hintergrund entstand jetzt in New York Joans jüngstes Album, für das, so betont sie, Mut nötig war, weil der Schritt zwischen ME MYSELF I und dieser LP viel großer sei, als die Schritte zwischen ihren früheren Alben.

Für die neue Platte, die noch keinen Titel hatte, als das Interview mit dem ME lief, verließ loan ihren Wohnort Kingston/Surrey (südwestlich von London) und übersiedelte für einige Weichen ins New Yorker Greenwich Village. Sie arbeitete erneut mit dem Produzenten Richard Gottehrer zusammen (er produzierte unter anderem auch die legendäre erste Blondie LP) und buchte deshalb auch das Record Plant-Studio, Gottehrers bevorzugten Arbeitsplatz. Zum ersten Mal spielte Joan alle Instrumente allein, mit Ausnahme des Schlagzeuges (das wieder Anton Fig bediente, der schon auf ME MYSELF I dabei war) und der Perkussions-Instrumente (die ein Musiker spielte, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnert, was sie lachend zugibt). Bei den Probeaufnahmen, den Demos, ging sie noch einen Schritt weiter und machte Musik ganz allein mit einer Rhythmus-Maschine.

Zum ersten Mal spielte sie auch Synthesizer, obwohl sie nur zwei Monate Zeit hatte, sich mit dem Nonplusultra der elektronischen Tonerzeugung vertraut zu machen. Auffallende Neuerung außerdem: die Aufstockung des Energielevels, das ihre Songs transportieren; „nicht unbedingt eine Tanzplatte“ wollte sie machen, aber „up tempo“ produzieren, mit kräftigem, durchschlagendem Beat.

Den Anstoß für die neue Marschrichtung gab ihr die britische New-Wave-Bewegung, das ist nicht zu überhören. „Die Luft in England ist anders geworden, geladener, elektrischer.“ Die Energie für die neuen Songs lieferte indes die Stadt New York, die sie speziell aus diesem Grunde aufgesucht hat. „Dies ist ein energiegeladener Ort und gibt mir, was ich für die Platte brauche“, sagt sie mit singender Stimme. Warum schätzen so viele Musiker New York und reden von Energie und Inspiration, die ihnen hier vermittelt werden? .Wenn du dich umschaust, siehst du nur die hohen Häuserwände und darüber ein Stück Himmel. Ein weiterer Blick ist nicht möglich, man kann nichts überschauen. Alles ist dicht zusammengedrängt, aufeinander gepackt. Wegen dieser Enge müssen die Leute miteinander auskommen, vor allem Weiße und Farbige. Anders könnten sie hier nicht überleben.“ Enge also, die Spannung schafft, die sich in Aggressivität entladen kann, aber auch in Kreativität, falls man damit umgehen kann.

Die „New-Wave-Platte“, die Joan in diesem Spannungsfeld aufgenommen hat, ist dennoch keine New Wave-Platte geworden. Sie hat ihre eigenwillige Art mit den Dingen umzugehen. Und so unkonventionell, wie bei ihr Blues oder Reggae klingen, kommen auch die Anstöße aus der neuen Rockmusik herüber. Kalt wie Gary Numan oder Ultravox kann Joan Armatrading gar nicht werden und das Wort von der „Seele auf Eis“ wird unbestätigt bleiben. Denn Joan kann ihre Herkunft von jener kleinen Nachbarinsel von Antigua in der Karibik nicht verleugnen, und die Musik der Karibik ist positiv gepolt. Vermutlich klärt das auch die musikalische Differenz zwischen Joan Armatrading und der amerikanischen Bluesund Soul-Musik, deren spezielle Seele man bei ihr vermisst. Die Songs der Karibik, berichtet Joan, seien immer optimistisch, während im Blues immer Trauer mitschwingen würde.

Joan Armatrading hat eine andere Seele und andere Gefühle als die schwarzen Amerikaner: „Die westindischen Inseln der Farbigen; sie teilen sie mit niemandem. Die schwarzen Amerikaner teilen sich das Land mit all den anderen (weißen) Bewohnern. Vielleicht sind die Leute in der Karibik deshalb optimistischer, hoffnungsvoller. Sie singen so, als wären am nächsten Tag ihre Probleme zu Ende. Die Afro-Amerikaner singen eher, als wäre morgen der letzte Tag ihres Lebens!“

Und wer hat recht?

„Morgen ist nicht der letzte Tag. Es geht immer weiter.“