Kante – Zombi
Nach einem Beben vielleicht. Mauern sind eingebrochen, Decken eingestürzt, Pfeiler weggeknickt. Der Staub hat sich gelegt, aber es können immer noch Trümmer fallen, Eltern haften für ihre Kinder. Durch den sperrigen Schutt gibt es ohnehin kein Durchkommen. Stromkabel, die seit Ewigkeiten in Zwischenräumen und unter Fußböden schliefen, baumeln nun lose zwischen den stabileren Stahlträgern, die das Beben überstanden haben und die Architektur selbst jetzt noch stützen, da sie zur skelettierten Ruine dekonstruiert ist. Nur ganz oben, durch ein kleines Loch im Dach, fällt gelb und warm ein benommenes Licht, „das einer andern Welt entsprungen“ scheint, wie später jemand singen wird. Vielleicht vor dem Beben.
Um mit der Tür ins eingestürzte Haus zu fallen: Das Cover ist programmatisch für ein ambitioniertes Album, zombi muss sich in seinem Mut zur Innerlichkeit nicht vor Blumfeld und in seinem Reichtum an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten nicht hinter The Notwist verstecken. Müsste ja auch mit dem Teufel zugehen, da Peter Thiessen, Sänger und Kopf der Band, bei Blumfeld den Bass spielt und Produzent Tobias Levin auch schon die wesensverwandten Blasersätze des Tied & Tickled Trios gebändigt hat. Und wo The Notwist ihren Sound mit Console um den elektronischen Kosmos erweiterten, ist bei Kante seit 2000 der Knöpfchendreher und Effekthascher Thomas Leboeg mit an Bord.
Wer fliegen will, braucht ausreichend Spannweite – von jazzigen Etüden („New Babylon“! bis zu trockenem R’n’B („Warmer Abend“), von lässigem Pop („Zombi“] bis zu elegischer Filmmusik („Baron Samedi“]. Damit solche Vielfalt nicht fiebrig und streberhaft wirkt, muss sie atmen können, müssen Texte und Musik ineinandergreifen wie Hände beim Gebet. Kante lassen sich die Zeit und den Raum. Beispiel? „Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen“ ist eine luftige, melodisch leicht monotone Elegie auf die Kraftlosigkeit, dieses diffuse Gefühl, „keinen Schritt mehr weitergehen“ zu können. Und dann geht es auf einmal tatsächlich mitten im Song nicht mehr weiter, Melodie lässt ihre Zügel schleifen, der geschwächte Wille erstirbt endgültig, Rhythmus setzt aus, Konturen verblassen, Muskeln erschlaffen – und die Metapher ward Musik.
Inhaltlich ist das keine leichte Kost: Es geht um Fleisch, Knochen, Nerven, Haut, Nieren, Rippen, Adern, „mitten im Herz ist Wirbelsturm‘. Es geht um Dinge wie den Geist in der Materie und seinen Verfall, vom größten [Kosmos] bis hinab zum kleinsten Raum (Körperzellen]. Wer sind wir, wenn wir im Ungefähren sind, für diesen „endlosen Moment, wenn man im Almen inne hält“? Sind wir unbeseelte Wiedergänger in den Ruinen unserer Städte und Körper? „Sind wir ein Riss, ein Sprung, ein Spalt“? Oder „das Licht der Möglichkeiten“?
Tja, das sind so Fragen, ist das noch Diskurspop? Oder schon ein philosophisches Seminar? Beides. Und mehr. Nämlich seismisch schwingende Musik zum Mitsummen, deren Ehrgeiz mal über-, mal hoch-, aber immer wagemutig über sich selbst hinausweist ins Ungewisse. Den Experimenten muss man folgen wollen. Wer sich darauf einlässt, lernt viel über sich selbst, über Kontemplation und Transzendenz, – und wird dann doch wieder mit einem fingerschnippenden Fußwipper belohnt, in dem die vorher angeklungenen Themen allenfalls sublim weiterschwingen. Der Staub hat sich gelegt, aber es können immer noch Trünv merfallen. „Können wir das leise Zittern fühlen, das die Luft um uns erfüllt?“ Oh ja. Es kündigt sich ein Beben an.