Kavinsky über Autos
Spätestens seit dieser Szene aus dem schon legendären Heist-Thriller „Drive“ kennt man Kavinsky: Ryan Gosling lenkt zur Untermalung der Opening Credits mit ausdrucksloser Miene seinen Wagen durch das nächtliche Los Angeles. Eine männliche Vocoderstimme säuselt zum sägenden Synthesizerbass: „I want to drive you through the night, down the hills“. Das ist Kavinskys Stück „Nightcall“. Allerbeste Autofahrmusik …
Dein Charakter Kavinsky ist laut offizieller „Biografie“ 1986 mit einem Ferrari Testarossa tödlich verunglückt. Wie kamst du auf diese Idee?
Ich wollte schon immer Musik veröffentlichen, hatte aber keine zündende Idee, wie ich diese präsentieren sollte. Die Story mit dem Untoten Kavinsky, der nach einem Autounfall wieder zum Leben erwacht und den Geist der Achtziger weiterleben lässt, gefiel mir. Außerdem: Wie oft sieht man schon einen Zombie auf der Bühne?
Spielt für dich als Kavinsky Musik aus anderen Zeiten, zum Beispiel aus den Neunzigern, gar keine Rolle?
Hör mir auf mit den Neunzigern! Musikalisch kann man die getrost vergessen. Was ist da schon Gutes passiert? Wir sollten sie einfach ignorieren. Damit ist uns mehr geholfen. Die Achtziger, das war meine Zeit. Die glorreichen Teenager-Tage. Sie haben mich geprägt, wie nichts anderes in meinem Leben. Der Stil, der Look, die Musik, der Sound und die Filme. Die ganze Ästhetik dieses Jahrzehnts habe ich aufgesogen und verinnerlicht. Und jetzt kommt alles wieder. Die Neunziger haben nichts dergleichen für mich getan. Meine Vergangenheit in das Jetzt zu übertragen, das ist Kavinskys Auftrag.
Dein Sound ist auf gleich zwei unterschiedliche Arten „retro“. Einerseits, weil du eindeutig die Achtziger zitierst, andererseits, weil der französische Elektro-Sound, der in deiner Musik eine fast ebenso große Rolle spielt, eigentlich das große Ding der mittleren Nullerjahre war …
Na ja, damals war ich einfach noch nicht so weit. Ich bin niemand, der jeden Morgen aufsteht und dann an seinen Tracks arbeitet, bis er abends ins Bett fällt. Musik kann ich nur produzieren, wenn ich wirklich will. Außerdem hatte ich einfach noch keinen Namen in der Szene. 2010 kannte noch kaum einer „Nightcall“. Das kam alles erst voriges Jahr.
Durch „Drive“.
Ganz genau. Ein riesiger Glücksfall.
Der Film ist gespickt mit Referenzen an die Achtziger. Musikalisch wie visuell. Dazu Verfolgungsjagden und schnelle Autos. Es hätte kaum besser zu deiner Idee von Kavinsky passen können …
Ja! Dabei hatte ich keine Ahnung, wie Regisseur Nicolas Winding Refn den Song überhaupt in den Film einbauen will. Mir wurde nur erzählt, er höre den ganzen Tag „Nightcall“, arbeite gerade an einem Film, und möchte das Stück unbedingt unterbringen. Da musste ich nicht lange überlegen. Ich war ohnehin ein großer Fan seiner Arbeit. Kennst du „Pusher“? Ein fantastischer Film von ihm. Die Zusage war deshalb reine Formalität. Und wie gesagt: Der Film wurde zum Glücksfall für mich. Ohne ihn wäre es viel schwieriger für mich gewesen, ein Album herauszubringen. Ganz klar.
In dem heiß erwarteten Videospiel „Grand Theft Auto 5“, das im Frühjahr erhältlich sein soll, wird bald jeder seinen „Drive“-Moment haben können. Der Spieler kann darin selbst zu deinem Song durch die Straßen der fiktiven Stadt Los Santos cruisen.
In dem Spiel schnappt man sich irgendein Auto und kann einfach durch die Gegend fahren, wohin man will, und es gibt die abgefahrensten Radio-Sender, die man im Auto laufen lassen kann. Die Musik in dieser Serie war von Anfang an gut ausgewählt, da bin ich gerne mit dabei. Und außerdem: Wer möchte nicht einmal Ryan Gosling sein? Dieses Spiel gibt dir die Möglichkeit dazu. Und meine Musik läuft dazu!
Hörst du selber viel Musik beim Autofahren?
Absolut. Wenn ich in einem Auto sitze, muss Musik laufen. Es gibt keinen besseren Ort dafür. Man kann sich ein Auto fast wie ein U-Boot vorstellen. Der Sound ist eingeschlossen, kann nirgendwo hin. Und auch du bist darin quasi gefangen. So entsteht eine ganz andere Konzentration auf die Musik. Heutzutage fokussiert man sich doch kaum mehr darauf, eine Platte richtig zu hören. Du musst dir diese Momente selber schaffen, das geht im Auto sehr gut.
Zu Hause ist man viel schneller abgelenkt. Man erledigt zwanzig Dinge gleichzeitig, während im Hintergrund irgendeine Platte läuft …
Spülen zum Beispiel. Dann steige ich doch lieber ins Auto und fahre los. Vorausgesetzt, du lebst in einer Stadt, in der das auch mal eben so machbar ist.
Sollte man in Paris sein Auto lieber stehen lassen?
Es ist sehr anstrengend hier. Wenn dir was daran liegt, in kurzer Zeit Streit mit Freunden und Beifahrern zu haben, wirst du auf Pariser Straßen schnell fündig. Hier wird einfach überhaupt keine Rücksicht auf den anderen genommen. Soll ich dir was gestehen? Momentan habe ich deshalb nicht einmal ein eigenes Auto. Aber ich vermisse es schon manchmal, keine Frage.
Falls du auf der Suche bist: Der günstigste Ferrari Testarossa, der aktuell laut Internet-Verkaufsangebot in Deutschland zu bekommen ist, liegt bei 39 000 Euro. In gutem Zustand. Ein Schnäppchen!
Haha. Ja, so teuer sind sie gar nicht. Ich habe in Frankreich vor Kurzem auch einen für knapp 30 000 Euro gesehen. Ein wirklich bildschönes Auto. Aber, auch wenn ich das ungern zugeben mag: Es ist ein Albtraum, mit diesen Dingern zu fahren. Du musst immer mit beiden Händen am Lenkrad bleiben. Es ist, als würde man einen Sattelschlepper lenken. Außerdem siehst du fast nur den Himmel, weil du mit dem Hintern fast auf der Straße sitzt, so tief wie der Ferrari liegt. Das Design des Wagens jedoch ist und bleibt beeindruckend.
Gefällt dir der Klang von schnellen Sportwagen?
Ich achte da nicht so besonders drauf. Klar klingt der startende Motor eines Ferraris gut. Aber ein Skoda oder Renault können mich da auch schon begeistern.
Um im Bild zu bleiben: Was treibt deine Songs an? Und was ist notwendig, dass sie nicht unterwegs liegen bleiben?
Sie müssen geradeaus verlaufen. Musik sollte immer zu dem passen, was du gerade machst. Und damit meine Musik im Auto funktioniert, braucht sie einen Beat, der die Richtung vorgibt. Du steigst ein und fährst einfach mit. Wohin auch immer.
Vincent Belorgey wurde 1975 in Paris geboren. 2005 erschuf er die Kunstfigur Kavinsky – ein Zombie, der, 19 Jahre nachdem er mit einem Ferrari verunglückt ist, uns heimsucht, um uns die elektronische Musik der Achtziger zurückzubringen. Tatsächlich gehört Belorgey zum Umfeld des Ed-Banger-Labels, dem es wiederum gelang, French House in die Indie-Clubs zu tragen. Knapp sieben Jahre nach seiner ersten EP erscheint nun endlich sein Albumdebüt OUTRUN.