Kein Futter für die Rockmühle


Seit dem Erfolg ihres letztjährigen Albums "Posen" leuchten Die Sterne nicht mehr nur im Untergrund. Für die vier Hamburger kein Grund, sich mit der Maschinerie des Musikbusiness auf irgendwelche Kompromisse einzulassen.

Mit dem Schlagwort „Hamburger Schule“ haben sie längst kein Problem mehr:“Die Sterne haben eine deutlich hörbare, eigene Identität“, meint Frank Spilker, Sänger und zwei Meter großer Chef-Charismatiker des Quartetts. „Man kann uns nicht ohne weiteres in einen Topf mit anderen Bands wie Blumfeld oder Tocotronic stecken, denen dieses Etikett auch anhaftet.“ Soviel Selbstbewußtsein ist durchaus angebracht, wenn eine Band seit 1991 wie am Fließband ebenso anspruchsvolle wie eingängige Pop-Ohrwürmer zwischen Sly Stone und Ton Steine Scherben produziert. Das letzte Album, „Posen“, brachte es auf zehn Wochen in den Album-Charts, das Video zur Hit-Single „Was hat Dich bloß so ruiniert“ war 1996 einer der meistgespielten deutschen Clips auf MTV.Trotz ihres Erfolges, der nicht zuletzt dem Wechsel zum Vertrieb des Majors Sony zu verdanken ist, gelang es den Sternen, ihr Image als ehrenwerte Indie-Helden mit linksintellektueller Credibility aufrechtzuerhalten. Christoph Leich:“Wir haben versucht.den Fehler anderer Bands zu vermeiden, die den gesamten Apparat einer Plattenfirma nutzen und ihre Ideen einfach abgeben. Wir wollten genau wie früher die Ideen vorgeben und eigenständig umsetzen, nur daß jetzt die Vermarktung sehr viel besser läuft.“ Frank Spilker ergänzt: „Vor ‚Posen‘ und der MTV-Rotation hatten wir eine Art Spezialistenpublikum, das wirklich auf der Suche ist nach Musik. Mittlerweile ist es so, daß man Die Sterne auch beiläufig entdecken kann und nicht unbedingt gezielt danach suchen muß.“ Seitenhiebe auf die industrielle „Rockmühle“ erhalten dabei die Freundschaft der St. Pauli-Klientel: „…und daß du nur ein Arschloch bist.es sei denn erfolgreich, denn dann stellst du fest, wenn du es zuläßt, daß dein Arsch genau der Ort ist, wo sie rein wollen“, heißt es beispielsweise in „Tourtagebuch“ vom neuen Album namens „Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die interessanten“. „Das ist ziemlich allgemein gemeint“, wehrt sich Texter Spilker gegen allzu eindeutige Interpretationen,“so was erlebt, glaube ich, jeder, der irgendwie Erfolg hat.“ Manche empfinden Spilkers durchaus sperrige Geschichten, die oft mit Perspektiven und erzählerischer Linearität spielen, als verquastes, kopflastiges Studentenfutter. „Die Leute sollten mehr Joyce lesen“, kontert Spilker, räumt aber ein: „Mir ist schon klar, daß man die Zuhörer vor den Kopf stößt, wenn man ein bißchen zu schwierig wird. Aber ich finde, daß Platz sein muß für komplexere Geschichten. Wen’s nervt, der muß eben was anderes hören. Ich habe keine Lust, mich da zu rechtfertigen.“

Für „Posen“ hieß die künstlerische Parole „Sampeln ohne Sampler“. Versatzstücke aus Songs anderer Künstler wurden nachgespielt und so in das eigene Material eingebaut – am offensichtlichsten bei „Was hat Dich bloß so ruiniert?“ („House Of The Rising Sun“) oder „Risikobiographie“ (Hawkwinds „Silver Machine“). „Wir nehmen aus verschiedenen Genres etwas heraus und bringen es in einen neuen Zusammenhang“, erklärt Spilker, „dabei kommt es nicht darauf an, wo etwas herkommt, sondern darauf welchen Sinn es in einem Sterne-Song ergibt.“ Auf dem aktuellen Album dient Fremdmaterial nur noch als Inspirationsquelle, wird von den vier Musikern beim eingenhändigen Einspielen nach Belieben verfremdet und wiederum digital eingesampelt: „Das Sampeln findet bei uns im Kopf statt, nicht im Computer“, beschreibt Spilker die veränderte Arbeitsweise. Wenn Die Sterne dann die Eigen-Samples gemeinsam am Computer arrangieren und bearbeiten, kommt es zum „metamusikalischen Kommunikationseffekt“. Spilker: „Wir können, während wir arbeiten, über die Musik sprechen und diskutieren, was wir wollen. Das ist in der normalen Bandsituation unmöglich, weil man sich während des Spielens ja recht schlecht unterhalten kann.“ Das Ergebnis der neuen Arbeitsweise ist die Sterne-Platte mit dem bisher perfektesten Sound und dem breitesten Spektrum. Das anarchische Charisma der Band bröckelt auf der neuen CD zwar ein wenig, aber vielleicht wirkt das nur so, weil Frank Spilker seinen verwegen verfaulten Schneidezahn mittlerweile Überkronen ließ. „Frank hat endlich einen Arzt gefunden, der das Ding nicht gleich ziehen wollte“, schmunzelt Christoph Leich.Auf daß sie auch morgen noch kräftig zubeißen mögen.