Keith Moon
Keith Moon, 31 Jahre alt, ist tot. Nach offiziellen Angaben, die auf einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leiche basieren, starb der Drummer der Who durch eine Überdosis Beruhigungspillen, deren Wirkung durch vorhergegangenen starken Alkoholkonsum verstärkt wurde. Keine spektakuläre Todesursache also. Stattdessen liefern die Ereignisse, die Moon’s Tod vorausgingen, jenem Stoff, aus dem sich die Legenden schneidern lassen, die zum Tode eines großen Rockstars gehören wie das Amen zum Gebet.
Mitte August veröffentlichte die Plattenfirma Polydor weltweit „Who Are You“, die neue LP der Who. Auf dem Plattencover sitzt Keith Moon in einem Regiestuhl. Der trägt die Aufschrift „Not To Be Taken Away“.
Am 2. September erschien in London das Musikblatt „Melody Maker“ mit einer ganzseitigen Anzeige auf der Rückseite, die recht makaber anmutete. Sie zeigte eine Straßenszene, die wir aus unzähligen Krimis kennen: Ein Mensch ist verunglückt oder ermordet worden. Man hat seinen Körper bereits weggeschafft, aber auf der Straße sieht man noch deutlich die Kreidelinie, mit der die Polizei die Umrisse des Körpers markiert hatte. Eine Menschenmenge starrt auf diese Zeichnung, zurückgehalten von einem Polizisten. Neben jenem Platz, an dem die Leiche lag, steht ebenfalls mit Kreide auf dem Pflaster „Who Are You“. Denn Polydor warb mit dieser Szene für die neue LP der Who.
Am Abend des 6. Septembers ließ sich Keith Moon von einem toten Kollegen unterhalten: Er besuchte die Londoner Premiere des Films „The Buddy Holly Story“. Anschließend vergnügte er sich im „Peppermint Park Club“ auf einer Party von Paul McCartney und gab dort zur allgemeinen Überraschung seine Verlobung mit seiner Freundin Annette Walter-Lax bekannt. Ansonsten war er ungewohnt still an diesem Abend.
Am 7. September morgens gegen vier Uhr kehrte Keith in seine Wohnung in der Curzon Street im Londoner Stadtteil Mayfair zurück. Diese Wohnung hat Vergangenheit: Am 29. Juli 1974 erstickte hier Cass Elliot, Sängerin der Mamas und Papas („Mama Cass“) an einem Brötchenstück, das in ihrer Speiseröhre querlag.
Keith Moon starb in den späten Morgenstunden des Donnerstag. Seine frischgebackene Verlobte fand ihn im Bett mit gläsernen Augen und wachsfarbenem Gesicht. Einen Tag später berichteten auch deutsche Boulevardzeitungen wie „Bild“ und „Hamburger Morgenpost“, er sei durch eine Überdosis Morphium gestorben. Dafür gibt es indes keine Anhaltspunkte. Fest steht vielmehr, daß er zu viele Tabletten eines Mittels geschluckt hatte, das „Heminevrin“ heißt und mit Valium vergleichbar ist. Außerdem hatte er am Abend und in der Nacht zuvor reichlich was hinter die Binde gekippt. Allerdings gibt es noch eine unbestätigte Geschichte, die aus Moon’s engerem Bekanntenkreis stammt. Danach soll er morgens gegen 8 Uhr noch einmal aufgewacht sein und etwas gegessen haben. Durch die Pillen und – so heißt es in dieser. Version durch mäßigen Drogenkonsum geschwächt, habe er dann nicht mehr registriert, wie er einen Teil der zuvor aufgenommenen Nahrung aufgestoßen – nicht erbrochen – habe. Die zugedrückte Luftröhre habe dann zu einer Art Erstickungstod geführt in memory of Mama Cass.
Keith Moon, allgemein „Moon the loon“ („Moon der Lümmel“) genannt, war ein Wahnsinniger. Sein exzessiver Lebenswandel, die demolierten Hotelzimmer und seine Fassadenklettereien füllten in der Vergangenheit oft genug die Zeitungsspalten. Vor sechs Monaten war Keith allerdings aus Malibu in Kalifornien nach England zurückgekehrt, um kürzer zu treten, sein unmäßiges Saufen aufzugeben und sich allgemein zu regenerieren. Ich sah ihn zum letztenmal vor etwa drei Jahren bei einem Who-Konzert in Bremen. Keith war so besoffen, daß er nicht mehr gerade gehen konnte. Aber seine Schläge an den Drums, die saßen. Weil er ein fanatischer Drummer war, der mit dem stillen, aber ebenso großartigen John Entwistle am Baß die Power erzeugte, die die Who fünfzehn Jahre lang vorwärts trieb. Mit Keith Moon starb auch ein Stück Rockgeschichte. Denn keine andere populäre Band hat jemals so lange und so kreativ in unveränderter Besetzung gerockt wie die Who. Erst ihr jüngstes Album, das übrigens schon vor Moon’s Tod besser verkaufte als alle anderen Who-LP’s zuvor, zeigte einen ersten Schwächeanfall (siehe ME 9/78).
„Song Is Over“ heißt ein Titel der LP „Who’s Next“. Ob die Who mit einem neuen Drummer weitermachen, werden die nächsten Monate zeigen. Pete Townshend: „Der Tod von Keith ist unbegreiflich. Ich meine, er ist etwas, was wir zwanzig Jahre lang erwartet haben. Aber wenn es dann plötzlich soweit ist, dann kann man es nicht begreifen.“