Kinderfest im Altersheim


"Volume III" nennen sie mit der ihnen eigenen Logik ihr zweites Album. Und neue schrullige Vornamen haben sich die vier betagten Freizeit-Rock 'n" Roller auch gleich zugelegt. Mit Spike Wilbury alias George Harrison (links) sprach in London ME/Sounds-Mitarbeiter Fritz Werner Haver.

Dieses Mal sind wir mit viel größerem Selbstvertrauen an die Sache herangegangen. Bei der ersten Platte ging alles so schnell, daß wir gar keine Zeit hatten, alles auch gedanklich zu verarbeiten. “ George Harrison lächelt und blickt aus dem Fenster seiner Londoner Plattenfirma. An diesem Spätherbstnachmittag scheint ausnahmsweise mal die Sonne über der britischen Hauptstadt. „Bei unserem ersten Album waren einige Songs immer noch individuell konzipiert. Jetzt haben wir alle alles zusammen geschrieben — vom ersten Schmierstrich auf dem Notizblock bis hin zum fertigen Song. Es hat unglaublichen Spaß gemacht.“

Die entspannte Atmosphäre bei den Aufnahmen hatte den Vieren besonders am Herzen gelegen. Allesamt der sterilen Studios überdrüssig, mieteten sie sich ein Haus in Los Angeles. „Die große Halle haben wir in einen Aufnahmeraum verwandelt und fiir den Gesang eine kleine Box direkt an der Bar gebaut. Das Schlagzeug kam in einen Korridor, und dann haben wir uns auf die Couch gesetzt und unsere Gitarren gepackt., Was machen wir jetzt?‘ Wir sitzen da, und ganz plötzlich sind da ein paar Akkorde und die Struktur von einem Song: ,lnside Out‘. Das hat nur etwa eine halbe Stunde gedauert.“

An skurrilen Einfällen hat es nicht gemangelt bei den Wilburys, die für das Schreiben, Spielen, Aufnehmen und Mischen dieses Albums nur ganze sechs Wochen benötigten. So ließ sich Harrison mal wieder von der direkten Umgebung inspirieren: Auf den Kartons für die Tonbänder stand die Anweisung: „Keep it in a cool dry place!“ Es war der Anfang für einen „wirklich sehr lustigen Song. In unseren Texten wollen wir nun mal nicht moralisieren oder predigen“, meint George. „Zwar geht es in einigen Stücken auch um Erhaltung der Natur und Umweltverschmutzung — und das halte ich auch für gerechtfertigt. Aber die ernsthaften Passagen und der reine Nansen v sind ausbalancki So richtig spirituelle Sachen haben wir gar nicht drauf auf dieser Platte.“

Manchmal, seufzt Harrison, sei es schon schwierig, immer wieder frische Ideen für Popsongs zu entwikkeln. „Aber dieses Gefiihlhabe ich nur, wenn ich alleine Stücke schreibe. Wenn ich jedoch mit den anderen drei Typen zusammen bin, dann hockt da so viel Rockgeschichte auf dieser Couch, daß wir fiir alle Zeiten weitermachen könnten. Klar, so manches erinnert an die Musik, die wir sonst alleine machen. Gitarrensoli von mir hören sich vielleicht an wie auf meinen alten Platten, und wenn Bob singt oder Mundharmonika spielt, dann klingt das natürlich nach Bob Dylan, Aber das Tolle an den Wilburys ist es ja, Bob Dylan mit in der Band zu haben. „

„His Bobness“ legt sich denn auch mächtig ins Zeug. Bei der Zeile „Let’s go 10 the rodeo and see some cowbov falrhön man den Meister gar lachen. Harrison dazu: „Das Verrückte ist ja, daß hier nicht etwa jeder nur seine eigenen Zeilen singt. Da fällt einem von uns was Blödes ein, und prompt kommt schon der nächste mit der nächsten Zeile. “ Sei es der „Wilbury Twist“ oder auch „7 Deadly Sins“ — mit ihrem zweiten Album langen die Wilburys noch tiefer in die Rock „n‘ Roll-Schatzkiste der späten Nierentisch-Ära.

„Mit dieser Musik sind wir schließlieh großgeworden“, sagt Harrison. „Wir alle hassen diesen modernen Kram, der nur aus einem einzigen Riff besteht, das dann computermäßig immer wiederholt wird. Dieses ganze Rap-Zeug …“ Er schüttelt sich.

Nicht nur musikalisch lag es nahe, dieses Album dem verstorbenen fünften Wilbury, Roy Orbison, zu widmen.

„Wir wollten nicht einfach losziehen und irgendjemanden suchen als neues Mitglied. Wenn vielleicht zufällig jemand da gewesen wäre, den jeder mochte und der da hineingepaßt hätte…“

Hinzu kommt, daß Roy Orbison ohnehin erst als letzter aufgenommen wurde in den exklusiven Club. „Wir waren zusammen essen gegangen an dem Abend, bevor wir ,Handle With Care‘ aufnahmen, und Roy fragte, ob er am nächsten Tag mal zugucken könne. Da habe ich natürlich gleich einen Gesangspart fiir ihn geschrieben — wo er doch ohnehin schon da war. So wurde Roy ein Wilbury. „

Bis zu diesem Zeitpunkt war es sogar noch unklar, wie die Band überhaupt heißen sollte. Harrison kichert versonnen in sich hinein. „Weißt ¿

du, heute wollen die Bands ja immer so high-tech-mäßige Namen haben. Und ich wollte unbedingt mal hören, wenn ein DJ im Radio so was Blödes ankündigen muß wie die .Traveling Wilburys‘. Als wir dann tatsächlich an der ersten Platte arbeiteten, sagte ich zu Bob: Wenn ihm nichts besseres einfiele, bliebe es eben bei diesem Namen. Er zog die Augenbrauchen hoch und meinte: ,Roy & The Boys??‘ Naja, dann blieb es eben doch bei den , Wilburys‘.“

Seit jeher hat Harrison eine Vorliebe fürs musikalische Quartett. Und erinnert das kumpelige Auftreten der Wilburys nicht manchmal auch an die Arbeitsweise der Beatles?

„Ein bißchen schon, aber die Unterschiede überwiegen. In den frühen Jahren der Beatles waren wir unheimlich eng zusammen. Vielleicht enger, als es je eine vergleichebare Gruppe sein konnte. Wegen des ganzen äußeren Druckes und der Massenhysterie wurden wir immerzu viert in ein Auto gesteckt, in ein Hotelzimmer und so weiter. Diesen Druck gibt es heute bei den Wilburys natürlich nicht, denn wir haben alle unsere Erfahrungen gemacht mit diesen Situationen.“

Ob die Traveling Wilburys wirklich einmal ihrem Namen Ehre erweisen und auf Konzertreisen gehen, bleibt ungewiß. „Wir reisen ohnehin schon viel“, weicht Harrison aus und zuckt die Achseln. „Aber um Konzerte zu geben, müßte man doch einen ganz anderen Anspruch haben. So eine Tournee dauert doch oft ein ganzes Jahr, wo man alles, was man sonst im Leben macht, vergessen kann. Nur um jeden Abend auf die Buhne zu steigen. Bob könnte das sofort, aber für mich ist das nichts. „

Und dann grinst Spike Wilbury verschmitzt: „Vom Standpunkt des Publikums wäre das natürlich eine fabelhafte Idee. Ich würde bes timmt selbst sofort hingehen und mir die Wilburys anschauen…“