Kino
Film des Monats
Das Herz am rechten Fleck
Super 8
von J. J. Abrams, USA 2011
*****
mit Joel Courtney, Elle Fanning, Kyle Chandler
Unheimliche Begegnung der dritten Popcornfilm-Art: Abrams verneigt sich vor Spielberg.
Lässt man all den Budenzauber beiseite, die bunt blinkenden Lichter, das Unwahrscheinliche und Fantastische, dann ist man jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie unendlich traurig die frühen Arbeiten von Steven Spielberg sind, wenn sie nackt und hilflos vor einem stehen. Vaterlose Kinder, Männer, die ihre Familien zurücklassen, Menschen auf der Flucht bevölkern diese Filme, die mit ihren Effekten staunen lassen, aber die Zeit überdauert haben, weil die menschlichen Schicksale so echt und anrührend sind. J. J. Abrams hat diese Lektion nicht einfach nur gelernt, sondern verinnerlicht für sein Budenzauberkino der etwas anderen Art: Sein „Star Trek“ hatte neben ein paar zündenden Ideen auch eine tragische menschliche Dimension. Abrams‘ Neuer steht in dieser Tradition. Und geht noch weiter in seiner Mimikry des Spielberg’schen Unterhaltungsfilm-Axioms. „Super 8“ ist wie aus dem Baukasten zusammengesetzt, bedient sich bei „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, „E.T.“ und „Stand By Me“ und ist doch ein zutiefst persönlicher Film für Abrams, der offenkundig aus der eigenen Jugend erzählt: Wie seine Helden war er 1979 13 Jahre alt, wie seine Helden war er filmbegeistert und drehte erste Super-8-Filme, wie seine Helden wurde er mit Außerirdischen konfrontiert – nur eben im Kino und nicht im wahren Leben. Wenn man etwas bekritteln möchte, dann ist es das nagende Gefühl, dass der Film zwar persönlich ist, aber doch nichts über das Leben erzählt: Abrams gehört der ersten Generation an, die ihre entscheidende Lebenserfahrung aus zweiter Hand gemacht hat, in den Filmtheatern ihrer Heimatdörfer. Das spürt man, weil der Nährwert von „Super 8“ trotz eines Jungen, der den Verlust der Mutter verarbeiten muss, gegen null geht. Popcorn eben. Aber, und das soll hier betont werden, superlatives Popcorn. Mit dem Herz am rechten Fleck. Einem großartigen Zugunglück. Und der noch großartigeren Elle Fanning, der man zusehen darf, wie sie von der begabten Teeniegöre zum Filmstar reift. Start: 4. August
Blue Valentine
von Derek Cianfrance, USA 2010
*****
mit Ryan Gosling, Michelle Williams
Freud und Leid schöner Götterfunken: So schön ist die Liebe, so hässlich ihr Ende.
So sehen sie aus, die „Szenen einer Ehe“, wenn sie ein amerikanischer Filmemacher von heute mit dem aufrichtigen Independentfeeling von Grizzly Bear und Blitzen Trapper verfilmt. Der Clou dabei: Weil der beeindruckend begabte Derek Cianfrance zwischen den Zeitebenen wechselt, wird man Zeuge vom strahlenden Glühen einer neuen Liebe und gleichzeitig von ihrem desaströsen Scheitern. Aufbruchsstimmung und Bankrotterklärung im Gegenschnitt, das geht hart ran, weil hier im Anfang gleich das Ende angelegt ist, man aber trotzdem versteht, dass der Rausch des Verliebtseins es immer wert sein wird, irgendwann vor den Trümmern zu stehen. Ryan Gosling und Michelle Williams sind unfassbar gut. Start: 4. August
I’m Still Here
von Casey Affleck, USA 2010
****1/2*
mit Joaquin Phoenix
Scheiß-Hollywood, sagt Joaquin Phoenix und lässt sich ins Gesicht kacken.
Zugegeben, ein bisschen ist die Luft raus aus „I’m Still Here“. Mittlerweile weiß man, dass dieses Dokument des zunehmenden Verfalls von Joaquin Phoenix ein Fake ist, alles nur gestellt, alles nur ausgedacht, um Fans, Freunde und Öffentlichkeit zu foppen. Ein bemerkenswerter Hoax, ausgeheckt und durchgezogen mit bewundernswerter Chuzpe von dem Schauspieler und seinem Schwager Casey Affleck. Um dem Affenzirkus Hollywood wirklich entfliehen zu können, der Welt fast zwei Jahre lang vorzuspielen, dass man den Verstand verloren hat, und sich dafür in zunehmend verwahrlostem Zustand als Möchtegern-Rapper zum Affen zu machen, ist womöglich als größte Method-Acting-Performance aller Zeiten zu werten. Nur dass es keine Preise dafür gibt. Start: 11. August
Green Lantern
von Martin Campbell, USA 2011
**1/2*
mit Ryan Reynolds, Blake Lively,
Peter Sarsgaard
Eine Grüne Laterne ist keine große Leuchte.
Sommer der Superhelden. Nicht alle können gewinnen. Die Grüne Laterne gehört zu denen, die unter die Räder kommen. Es ist nicht, dass man gespart hätte. Aber kein Geld der Welt kann den Eindruck entkräften, dass das für diesen Film geschaffene Universum noch einen Tick enger als Ryan Reynolds‘ Kostüm ist. Stets hat man Angst, die Kamera könnte etwas zu weit schwenken und den Blick auf das erleuchtete Exit-Zeichen freigeben. Auch sonst wollen die disparaten Teile sich nie zu einem Ganzen zusammenfügen in diesem Versuch, eine Superhelden-Saga zu erzählen, als hätte es Indiana Jones in fremde Welten katapultiert. So gut Martin Campbell für „Casino Royal“, so wenig ist er hier der Richtige. Start: 28. Juli
Win Win
von Thomas McCarthy, USA 2011
****1/2*
mit Paul Giamatti, Burt Young, Alex Shaffer
Midlife-Krise uninterruptus: Wahre Menschen, wichtige Lektionen
Obwohl Thomas McCarthy, ursprünglich Schauspieler, mit „The Station Agent“ und „Ein Sommer in New York“ bereits zwei herausragende Filme inszenierte, ist er nach wie vor die Geheimwaffe des Independentkinos. Seine Filme blasen sich nicht auf. Es sind einfach präzise beobachtete, mit großer Anteilnahme erzählte Charakterstudien, die Menschen in Szene setzen, denen man auf der Straße nicht hinterherblicken würde. Das trifft auch auf „Win Win“ zu, der sich nahtlos in McCarthys Filmografie einreiht. Die Geschichte eines nicht immer mit ganz legalen Mitteln arbeitenden Anwalts, den sein Hobby, eine Ringermannschaft zu coachen, in eine ungeahnte private wie berufliche Bredouille bringt, ist so groß, wie kleines Kino sein kann. Start: 21. Juli