Kino
Film des Monats
Hustle & Flow
Blutzbrüdaz
von Özgür Yildirim, Deutschland 2011
****1/2*
mit Sido, B-Tight, Milton Welsh
Meine Stadt, mein Block, mein Film: Sido lässt Bushidos Film alt aussehen.
Zugegeben: Der Gedanke, einen Film mit Sido zu sehen, der „Blutzbrüdaz“ heißt und von dem Produzenten des Mario-Barth-Films auf den Weg gebracht wurde, war nicht verlockend. Die Geschichte von den zwei Rapperfreunden, die aus dem Untergrund kommen und sich dann entscheiden müssen zwischen Erfolg und Eier, das klang abgelatscht. Der Umstand, dass einem ein Konzern wie Constantin erzählen will, wie schlimm die Geldgier der Industrie ist, erschien mir, nun ja, absurd – wenn ein Multimillionenkonzern das Hohelied auf den idealistischen Querulanten singt, ist das ähnlich verquer, wie wenn Rage Against The Machine behaupten, sie seien bei der Industrie, um der Stachel in der Seite Sonys zu sein. Nein. Wenig sprach dafür, dass das ein Film werden würde, den man empfehlen wollen würde. Und dann das. Licht aus, Vorhang auf. Und nach fünf Minuten hatte mich der Film. Er ist witzig, charmant, hat das Herz auf dem rechten Fleck, ich musste lachen, immer wieder, an den dafür vorgesehenen Stellen, Sido und B-Tight sind sympathisch, und überhaupt ist das ganze Ding hinreißend besetzt mit Leuten, die man nicht gleich einordnen kann, aber unbedingt wiedersehen will: Milton Welsh als geerdeter Rap-Impresario mit Vision und Claudia Eisinger als Mädchen aus der Plattenindustrie mit richtig Rückgrat sind besonders gut. Vor allem hat „Blutzbrüdaz“ einen unwiderstehlichen Groove. Wenn’s nicht so dämlich klingen würde, könnte man sagen, dass er sexy ist. Er gibt sich keine überanstrengte Mühe, besonders sauber erzählt zu sein: Seine Authentizität erzielt er durch seine einmalig hingeworfene Atmosphäre. Der Film behauptet nicht, genau so sei es damals gewesen, 2000, als Berliner Rap an die Oberfläche drängte, sondern: So hat es sich angefühlt. Das ist Verdienst von Regisseur Özgür Yildirim, der mit seinem Debüt „Chiko“ ein Versprechen abgegeben hatte, das er mit „Blutzbrüdaz“ einlöst: Derart unverkrampfte deutsche Filme sind eher eine Seltenheit.
Start: 29. Dezember
Verblendung
von David Fincher, USA 2011
ohne Bewertung
mit Daniel Craig, Rooney Mara
David Fincher treibt Stieg Larsson die Flausen aus.
Es gibt sie wirklich, die eisernen Verteidiger der schwedischen Stieg-Larsson-Verfilmungen, die ernsthaft bezweifeln, David Fincher könne nicht mehr aus dem Stoff herausholen. Moment. Auf der linken Seite: drei bierbäuchige, langweilig bebilderte Fernsehfilme, die noch tiefer in die geifernde Bürgerschreck-Kiste greifen als die Romane. Auf der rechten Seite: der neue Film des besten Regisseurs der Welt, der nicht von draußen drauf, sondern von innen raus schaut, wenn er von gesellschaftlicher Transgression erzählt. Deshalb ist sein „Verblendung“ kein Krimi über „Männer, die Frauen hassen“ (Originaltitel des Romans), an dem man sich aufgeilen kann. Sondern das Gegenteil.
Start: 12. Januar
The Ides Of March
von George Clooney, USA 2011
*****
mit Ryan Gosling, George Clooney
Gute Nacht, und viel Glück: US-Wahlkampf à la Clooney
Es fällt nicht schwer, George Clooney richtig zu hassen: Er sieht super aus, ist ein großartiger Schauspieler und ein geschickter Filmemacher. Was denn noch alles? Mit seiner vierten Regiearbeit knüpft er da an, wo er mit „Good Night, and Good Luck“ aufgehört hatte – politisches Kino, das viel zu clever und unterhaltsam ist, als dass Clooney platte Parolen anbringen würde: Sein Herz mag demokratisch schlagen, aber er will die Republikaner erreichen. Also geht es ihm bei dieser Geschichte eines brutalen Wahlkampfes, aus dem keiner unbeschadet hervorgeht, um Grundsätzliches: Integrität, Ehrlichkeit, Rückgrat – und die Tatsache, dass die im Politzirkus keiner besitzt – auch nicht der Hoffnungsträger der Demokraten. Eine beeindruckend konsequente Abrechnung. Start: 22. Dezember
Mission: Impossible – Phantom Protokoll
von Brad Bird, USA 2011
ohne Bewertung
mit Tom Cruise, Simon Pegg
Tom Cruise wird sich auch nach dieser Mission nicht in fünf Sekunden selbst zerstören.
Zur Zeit von „Mission: Impossible 3“ fasste Tom Cruise den Beschluss, seine Publizistin durch seine Schwester zu ersetzen. Dann rührte er für Scientology die Werbetrommel und sprang auf der Couch von Oprah Winfrey herum. Der Erfolg der dritten unmöglichen Mission blieb hinter den Erwartungen zurück, Cruise wurde vom Studio in die Wüste geschickt. Geläutert kehrt er zurück. Vom neuen „Mission: Impossible“ gab es bislang nur zehn Minuten zu sehen. Aber die waren klasse, weil sie unterstreichen, dass es vielleicht ein Wagnis war, mit Brad Bird Pixars besten Filmemacher die Regie bei einem Real-Action-Film zu übertragen, er die Aufgabe aber meisterlich, äh, gemeistert hat. Start: 15. Dezember
Let Me In
von Matt Reeves, USA 2010
*****
mit Chloe Moretz, Kodi Smit-McPhee
Do you really want to hurt me: So finster ist die Nacht in New Mexico.
Dinge, die wir aus Liebe tun: Ein Leben an der Seite eines Blutsaugers verbringen, der auf immer und ewig aussieht wie ein zwölfjähriges Mädchen. Einem Verlierer drei Schulrowdys vom Hals halten, auch wenn es die eigene Entlarvung bedeuten könnte. Amerikanische Remakes von schwedischen Filmen drehen, die man eigentlich nicht verbessern kann. Wem die Story vom zwölfjährigen Außenseiter und seinem Vampirmädchen bekannt vorkommt, hat recht: Lindquists Roman wurde als „So finster die Nacht“ bombig gut verfilmt. Reeves‘ Fassung lohnt sich dennoch, weil er die Geschichte nicht verwässert hat, sondern sie noch stärkt, indem er sie inmitten von Reagans Regentschaft in der Niemandsstadt Los Alamos ansiedelt. Ein blutiger Film über Einsamkeit, Entfremdung, Sehnsucht und, ja, die Dinge, die wir aus Liebe tun. Start: 15. Dezember