Kino im Kopf
Mit "Pulp Fiction" gluckte ihm ein perfektes Stück Pop. Nun schickt Regisseur Ouentin Tarantino "Jackie Brown" auf die Leinwand
OUENTIN TARANTINO IST EINE IRRITIERENDE PERSÖNlichkeit. Und je mehr man über ihn erfährt, um so irritierender wird er. Noch vor wenigen Jahren arbeitete Tarantino hinterm Tresen einer Videothek und imitierte zwischen hastig heruntergeschlungenen Fast-Food-Bissen die Schauspieler in Szenen seiner Lieblingsfilme, Szenen aus Actionstreifen von Regisseuren wie Don Siegel oder „Bloody Sam“ Peckinpah. Heute trägt der 32jährige Filmfreak Armani-Anzüge und fliegt mal eben übers Wochenende nach Paris, um dort mit einer der atemberaubendsten Frauen der Welt, seiner schauspielernden Freundin Mira Sorvino („Mighty Aphrodite“), ein romantisches Wochenende zu verbringen. Tarantino drehte zwei Streifen, die Filmgeschichte schreiben sollten – „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ – zeigte sich als mehr oder weniger begabter Darsteller in kleinen Rollen („From Dusk Til Dawn“) und verprügelte in einem feinen italienischen Restaurant in West-Hollywood einen Produzenten derart, daß dieser ihn anschließend auf fünf Millionen Dollar Schmerzensgeld verklagte. Das Irritierendste aber kommt erst noch: Quentin Tarantino, der mit John Travolta und Sam Jackson in „Pulp Fiction“ zwei völlig durchgeknallte Killer in die Kinos jagte, ausgerechnet dieser Regisseur bringt nach drei Jahren Pause mit „Jackie Brown“ eine Lovestory auf die Leinwand. „Ja. ähmm, ja, es ist eine Liebesgeschichte“, gesteht Tarantino in seinem unverwechselbar hektisch-abgehackten Ton und setzt wenig später noch einen drauf „Männer haben eine feminine Seite. Ich bin ein Femi nist. Es gibt nichts, was ich mehr bewundere als eine starke Frau.“ Mann, dreht der Kerl jetzt völlig durch? Keine Angst, er dreht nicht durch. Er überrascht nur einmal mehr. Sicher,“Jackie Brown“ ist eine Liebesgeschichte. Genau wie „True Romance“, ein Film, für den Tarantino das Drehbuch schrieb. Und genau wie „True Romance“ ist auch „Jackie Brown“ eine typisch tarantinsche Liebesgeschichte.
Basierend auf dem 92er Bestseller „Rum Punch“ von „Get Shorty“-Autor Elmore Leonard erzählt „Jackie Brown“ die Geschichte der 44jährigen Stewardess Jackie (Pam Grier), die Ärger mit dem Gesetz bekommt, aber mit Hilfe ihres Kautionsstellers Max (Robert Forster) den Waffenschmuggler Ordell (Sam Jackson),seinen tumben Knastfreund Louis (Robert De Niro) und den smarten Bullen Ray (Michael Keaton) ruckzuck aufs Kreuz legt und ganz nebenbei noch 500.000 Dollar einsackt. Ja, zwischen Jackie und Max entwickelt sich eine Liebesgeschichte. Insofern ist „Jackie Brown“ eine Lovestory. Trotzdem: Vier kleine Morde, ein süffiger Seventies-Soundtrack, zahllose Referenzen an die Popkultur und nicht zuletzt die erst klassige Besetzung machen aus dem Streifen einen typischen Tarantino. Mehr noch: Jackie Brown“, gerade mal zwölf Millionen Dollar teuer, ist ein in sich stimmiger, origineller Film geworden.
TARANTINO ENTTAUSCHT SOMIT ALL JENE, DIE ihm einen Kassencrash gewünscht hatten. Wohl auch, weil Jackie Brown“ sich stilistisch an Blaxploitation-Werken wie „Coffy“ und „Shaft“ orientiert, an Filmen also mit einer ausgeprägt schwarzen Komponente. Schwarz? „Klar“, meint Hauptdarsteller Sam Jackson, „Quentin ist so wie der kleine weiße HipHop-Freund meiner Tochter: ein schwarzer Junge mit weißer Haut“ Tarantino stimmt zu: „Eigentlich bin ich schwarz. Mein Gesicht täuscht nur darüber hinweg. Schwarz ist reine Einstellungssache.“ Und noch etwas ließ „Jackie Brown“so gut gelingen.“Ich war diesmal selbstsicherer“, gesteht Tarantino. „Ich hatte zwei Filme hinter mir und wußte genau, was zu tun war. Professioneller eben.“
Trotzdem wird Jackie Brown“ kaum ein Erfolg in der Größenordnung von „Pulp Fiction“ werden. Dieser Film ist mit weltweit 210 Millionen eingespielten Dollars nicht nur der erfolgreichste Independent-Streifen aller Zeiten, sondern zudem ein wahrhaft bahnbrechendes Werk.
Klar, so was gelingt nicht alle Tage. „Außerdem“, so Ouentin Tarantino, „habe ich ganz bewußt keinen zweiten Teil von ‚Pulp Fiction‘ gedreht, kein Epos, keine Oper. Ich bin kein Rockstar, ich muß nicht immer das gleiche abliefern. Ich werde sehr individuelle Filme drehen mein vierter wird anders sein als die letzten drei, der fünfte anders als die letzten vier. Meine Karriere besteht eben nicht nur aus einem Moment, sondern aus einer lebenslangen Zeitspanne voller Wechsel.“
Fast gerät Tarantino in Rage, wenn er so loszieht. Und noch mehr sogar, wenn es um die Kritik an seinen Schauspielkünsten geht (die er in Jackie Brown“ übrigens bewußt nicht zeigt): „Die Kritik kommt ausschließlich von den Medien. Von allen anderen, von den Fans, von anderen Schauspielern und der Öffentlichkeit habe ich nur Gutes gehört. Einzig die Kritiker hacken darauf rum „
Die Ursache dafür sieht Ouentin in einem „Tarantino-Overkill“: „Nach ‚Pulp Fiction‘ war ich allgegenwärtig – in Talkshows und Zeitungen, in Filmen, einfach überall. Ich stand meiner Arbeit selbst im Weg, habe sie verdeckt. Deshalb bin ich die letzten anderthalb Jahre abgetaucht, habe aus dem Promi-Club ausgecheckt und checke nur dann wieder ein, wenn ich einen meiner Filme promote.“ Deutlich spürt man die Wut in Tarantino. Nicht so sehr Wut auf die Presse oder einzelne Kritiker, sondern vielmehr eine Art Grundwut, die losbricht, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Die gleiche Wut, die ihn am 22. Oktober vergangenen Jahres ausrasten ließ. Wenige Wochen zuvor war das Buch „Killer Instinct“ erschienen, ein schonungslos böser Bericht der Produzentin Jane Hamsher über die chaotischen Dreharbeiten zu „Natural Born Killers“, über dessen Regisseur Oliver Stone und dessen Drehbuchautor – Ouentin Tarantino. Der wird darin als arrogante, legasthenische Nervensäge beschrieben, deren Tod Hamshers Co-Produzent Don Murphy „gebührend feiern“ wollte. Als Tarantino dann Murphy dasselbe Restaurant betreten sah, in dem er gerade einen Teller Antipasti genoß, sprang er auf, drückte den wesentlich größeren und schwereren Mann an die Wand und schlug auf ihn ein. Kurze Zeit später hatte sich Tarantino schon wieder beruhigt und warf dem Produzenten aus der ihn davonfahrenden Grünen Minna heraus Kußhändchen. Doch der Schaden war angerichtet. Murphys Anwälte reichten Klage ein. „Ich hab ihm nur ein paar Backpfeifen gegeben“, meint Tarantino heute, „Backpfeifen haben noch keinem geschadet“. Mehr sagt er dazu nicht, der Prozeß steht schließlich noch aus.
Viel lieber schwärmt Tarantino da schon von seiner Freundin Mira Sorvino, die für ihn „eine großartige Schauspielerin“ ist, vielleicht sogar „die Schauspielerin ihrer Generation“, mit der er unbedingt einmal arbeiten möchte und die er so oft wie möglich besucht, egal ob sie sich gerade in Toronto, Paris oder in ihrer Wohnung in New York aufhält. Apropos New York: Dorthin zieht’s Tarantino auch beruflich. Genauer: an den Broadway. Seit Ende Januar bereitet er sich dort auf eine Theaterrolle vor. Geprobt wird „Warte bis es dunkel ist“, bestens bekannt durch die Verfilmung aus dem Jahr 1967. Im Film spielte Audrey Hepburn die Rolle des verängstigten blinden Mädchens, das von dem heroinsüchtigen Psychopathen Harry Rhode (Alan Arkin) in ihrer Wohnung terrorisiert wird. In der ’98er Bühnenversion wird Marisa Tomei die weibliche Hauptrolle spielen, während Tarantino den Psycho geben darf.
„Die Aussicht auf diese Rolle hing die ganze Zeit vor meiner Nase wie eine leckere Karotte“, freut Ouentin sich, „deshalb konnte ich auch leichten Herzens auf einen Part in ‚Jackie Brown‘ verzichten.“ Keine Angst vor vernichtenden Kritiken, Mr. Tarantino? „Ich habe Angst vor Typen mit Baseballschlägern in dunklen Gassen. Ich habe Angst vor Typen, die mit abgesägten Schrotflinten in mein Haus kommen. Aber ich habe niemals Angst, wenn es um meine Arbeit geht, niemals Angst, wenn es um Kunst geht!“