KitschKrieg: Ein Treffen mit dem besten HipHop-Trio des Landes
Das deutsche Rapgame, einmal durchgespielt: Für eine Zusammenarbeit mit KitschKrieg stehen die Stars Schlange. Ihr Weg dorthin war allerdings mindestens so steinig wie lang. Hier erfahrt Ihr, wie es das Produzentenkollektiv der Stunde auf den Pop-Olymp geschafft hat.
„Trauriger Turn-up geht ja trotzdem“
Es funktionierte, obwohl es nicht funktionieren konnte. Trettmann war damals bereits über 40 – kein Alter, in dem man die letzte große Jugendmusikkultur HipHop aufmischt. Doch die Ästhetik aus Half-Time-Beat, dichtem Storytelling und Purple-Drank-Look passte genau in die Zeit, in der alles dem Cloudrap-Hype hinterherrannte und sich gleichzeitig nach Innovation sehnte. Außerdem kaschierte die Verkleidung aus Nike-Windbreaker, Cap und dicker Sonnenbrille Trettis wahres Alter ganz gut. Später würde es ohnehin keine Rolle mehr spielen.
Denn drei EPs später hatte das Phänomen Trettmann so sehr an Fahrt aufgenommen, dass es nicht mehr aufzuhalten war. Spätestens das triste Ost-West-Stück „Grauer Beton“ schlug auch über die HipHop-Bubble hinaus ein und lockte mit seinem beeindruckenden Storytelling die Feuilletonisten auf den Plan. Auf dem Splash-Festival 2018 feierte ihn die Menschenmenge zu schwarz-weißen Visuals. „Auf einem Tretti-Konzert merkst du, wie dieser Sound die Leute berührt und was er ihnen bedeutet“, sagt Fiji Kris. „Aber trauriger Turn-up geht ja trotzdem.“ KitschKrieg wuchsen bei alldem unaufhaltsam mit, bis sie sich langsam selbst in den Vordergrund schoben.
Auch wenn es bis zum Release ihres eigenen Debütalbums noch etwas länger dauern sollte. „Standard“, ihr größter Aufschlag bislang, zusammen mit den Rappern Gzuz, Ufo361, Gringo und – klar – Trettmann, stammt aus dem Herbst 2018. Perfektes Timing wäre es gewesen, das Album ein paar Wochen nach diesem Hit nachschieben zu können. Doch: „Wir haben die Arbeit definitiv unterschätzt“, sagt Fizzle. „Als wir die ersten Songs fertig hatten, haben wir bereits angefangen, sie zu veröffentlichen und irgendwelche Daten rausgehauen, aber das Album halt nicht fertig gekriegt.“ Und dann rief auch noch Nena an und wollte mit ihnen arbeiten. Drei Tage später saß sie im Studio und erzählte, sie sei furchtbar aufgeregt und müsse noch kurz zu Hause Bescheid sagen – dort hätten sich alle „mega gefreut, dass ich da sein darf“.
Der Rest des Albums geht auf eine iTunes-Bibliothek zurück, in der KitschKrieg nicht nur ihre Beatskizzen vorsortiert, sondern eben auch schon die jeweiligen Wunschkandidaten dazu hinterlegt hatten. An Managements und A&Rs vorbei nahmen sie dann Kontakt zu diesen Kolleg*innen auf. Das fraß Zeit. Doch dieser persönliche Kontakt war ihnen wichtig, wie auch die Stunden vor dem Recordingprozess selbst, beim gemeinsamen Kaffee oder Frühstück. Fizzle: „Es geht immer darum, eine gute Atmosphäre zu schaffen und die Idee in den Raum zu holen. Die Leute können ja alle rappen und singen, das ist dann eigentlich nur noch ein technischer Prozess.“
Ein Feature mit einem verurteilten Mörder
Und weil ein RIN nicht so gerne nach Berlin fährt, nahmen sie bei ihm in Bietigheim-Bissingen auf; um „12 Uhr morgens“, wie er beklagte, als er mittags völlig verschlafen im Studio stand. Für RINs Part für den Song mit Deutschrap-Urgestein Kool Savas machten KitschKrieg sogar eine Ausnahme von ihrem absoluten Rauchverbot im Studio. Aber es geht noch viel schwieriger. Etwa, wenn man sich einen Beitrag ausgerechnet von Dancehall-Legende Vybz Kartel wünscht, der wegen Mordes lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Über alte Soundcloud-Verbindungen ließ sich tatsächlich der Kontakt herstellen. „Dann rappt man ihm am Telefon kurz vor, wie man sich das vorstellt, und lässt ihn übernehmen.“ Wie der Part schließlich aus Jamaika zu KitschKrieg ins Studio geschleust werden konnte, verraten sie nicht.
Ein Feature mit einem verurteilten Mörder also. Und mit Bonez MC und Gzuz sind zwei weitere Gäste auf dem Album vertreten, wegen denen sich KitschKrieg kritische Fragen gefallen lassen müssen. Die Crewleader der 187 Straßenbande, deren Texte vor misogynen Superlativen nur so triefen und die auch außerhalb ihres künstlerischen Wirkens durch besondere Gewalttoleranz aufgefallen sind.
„Für uns wäre es ein Makel gewesen, wenn wir unsere Vision nicht komplett abgebildet hätten. Es wäre nicht ehrlich gewesen“, sagt Fiji Kris: „Natürlich sind wir nicht mit Scheuklappen unterwegs, uns ist die Problematik bewusst.“ Dass KitschKrieg für solche Features vielleicht mehr Kritik einstecken müssen als andere, könnte, so Fiji, daran liegen, „dass viele Leute uns gerne für eine bestimmte Einstellung vereinnahmen würden – so als das perfekte politisch-korrekte, diverse Team. Aber wir stehen halt für die Kunst, die wir mögen.“
Nun hat diese Kunst aber einen leicht schalen Beigeschmack. Kommerziell ist damit jedoch bestimmt kein Schaden angerichtet: 187-Features treiben die Streaming- und Klickzahlen immer noch verlässlich nach oben. Und auch die KitschKrieg-Lobeshymnen in den großen Medien fallen deshalb kaum kleiner aus. Awhodat, Fiji Kris und Fizzle können von sich behaupten, das deutsche Pop-Game schon bei ihrem Debütalbum durchgespielt zu haben.
„Ein Feature mit Udo Lindenberg wäre der Heilige Gral!“
Fragt sich nur: Wovon träumt man dann mit Blick auf Platte zwei? Bei der Antwort purzeln sie fast durcheinander, jeder steuert, wie im gemeinsamen Produktionsprozess, seinen Teil bei: „Ein Feature mit Udo Lindenberg wäre der Heilige Gral! Diese ikonische Stimme auf einem reduzierten Beat, mit AutoTune … und am Ende schließt der Song mit einem ,Danke, Udo!‘ ab. Das wär’s!“