KONZERTE


THE LIBERTINES

HYDE PARK, LONDON

Panic In The Streets Of London: Das furiose Comeback der Libertines sorgt für Begeisterung, die bisweilen außer Kontrolle gerät.

„You are all amazing and you are all Libertines“ – glücklich, versöhnt und stolz richten The Libertines das Wort an die vor ihnen tobende Menschenmenge im Londoner Hyde Park. Zehn Jahre nach ihrem letzten Album und vier Jahre nach ihrem letzten Konzert beim Reading-/Leeds-Festival haben sich die notorischen Streithähne Carl Barât und Peter Doherty wieder zusammengerauft und zelebrieren gemeinsam mit Schlagzeuger Gary Powell und Bassist John Hassall im Herzen der britischen Hauptstadt eine Ode an ihre von Zerwürfnissen geprägte, aber immer fortwährende tiefe Freundschaft.

Während auf den Videoleinwänden hinter der Bühne Archivbilder vorbeirauschen, die den Auf-und Abstieg der Band und die enge Beziehung zwischen Doherty und Barât retrospektivisch festhalten, agieren auf der Bühne vier Libertines, die gefestigter, aufgeräumter und spielfreudiger denn je wirken. Doherty und Barât scheinen sich so nah wie lange nicht mehr zu sein, liegen am Boden und sich in den Armen, singen gemeinsam Mund an Mund an einem Mikrofon und rezitieren zusammen das 1918 veröffentlichte Gedicht „Suicide In The Trenches“ von Siegfried Sassoon.

Songs wie „Vertigo“,“Boys In The Band“, „Time For Heroes“,“What Katie Did“,“Can’t Stand Me Now“,“Don’t Look Back Into The Sun“ und das Babyshambles-Cover „Albion“ werden von den 60 000 Zuschauern mit umherwerfenden Glasflaschen, Feuerwerkskörpern und brutalem Herumgeschubse so heftig abgefeiert, dass das Konzert dreimal unterbrochen werden muss. Doherty versucht mit verzweifelten Gesten und mit der Drohung, das Konzert vorzeitig zu beenden, die aufgebrachte Masse zu ein paar Schritten nach hinten zu bewegen, doch seine Worte helfen nur bedingt. Am Ende sind zum Glück „nur“ 38 Verletzte zu beklagen. Schmälern sollen diese Ereignisse das furiose Konzert dennoch nicht. Dass die Libertines sich als Familie endgültig wiedergefunden haben, wird spätestens klar, als Doherty gegen Ende singt: „Libertine till I die. Libertine till I die. I know I am, I’m sure I am Queen’s Rangers till I die“.

SETLIST

Vertigo Boys In The Band The Delaney Campaign Of Hate Time For Heroes Horrorshow Begging The Ha Ha Wall Music When The Lights Go Out What Katie Did The Boy Looked At Johnny Can’t Stand Me Now Last Post On The Bugle Love On The Dole Death On The Stairs Radio America Don’t Look Back Into The Sun Tell The King Up The Bracket What A Waster France Albion I Get Along

DAMON ALBARN

ASTRA, BERLIN

Er kann Britpop, Space-Rock, Hip-Hop, Afrobeat, chinesische Oper. Und die große Show auf der kleinen Bühne, die kann er also auch.

Als Damon Albarn vergangenen September in Berlin auftrat, tat er das als Headliner des nach der Stadt benannten Festivals vor Tausenden Fans mit seiner alten Band Blur. Zehn Monate später stellt er seine erste Soloplatte EVERYDAY ROBOTS in

deutlich kleinerem Rahmen vor: Das „Astra“ fasst in etwa 1 500 Menschen und war für diesen Abend lange Zeit nicht ausverkauft. Zwar chartete das Album in den hiesigen Top Ten, das

bedeutet mittlerweile aber nicht einmal mehr 10 000 verkaufte Exemplare. Und wer das Album

besitzt, der hat 45 Minuten ruhige Melancholie im Regal stehen. Muss man vielleicht nicht live sehen. Hört man sich lieber bei Rotwein im Sessel an und weint sich in den Schlaf. Dann spielt an diesem Abend auch noch die

deutsche Fußballnationalmannschaft und so stehen schwarzrot-goldene Gestalten vor dem Club und versuchen, ihre Tickets loszuwerden. „Das kann jetzt auch einfach ein sehr langweiliger Abend werden“, orakelt ein Kartenbehalter in der Warteschlange. Von der Hand zu weisen ist das erst mal nicht. Nach dem rein instrumental agierenden Support der Paradise Bangkok Molam International Band langweilt Albarn die Besucher mit öden Dub-Grooves vom Band. Die zu erwartende Weed-Wolke bleibt aus. Das Publikum ist zu gesetzt.

Gegen 21.30 Uhr dann die Erlösung: Albarn trottet auf die Bühne. Seit einigen Jahren geht er etwas gebückt. Aufpassen muss der ansonsten tadellos erhaltene 46-Jährige, dass ihm kein Buckel wächst. Er beginnt mit „Lonely Press Play“ aus seinem neuen Album, auf dem die sich durch das ganze Schaffen des Londoners ziehenden Themen Isolation und Vereinsamung kulminieren. Da steht er nun, singt traurige Lieder – „Everyday Robots“ ist der zweite Song des Abends -, reißt aber immer wieder die Arme hoch und animiert zu mehr Applaus und Bewegung. Die Privatperson Albarn, die viel reflektiert, unterscheidet sich stark von ihrem Alter Ego als Rampensau.

Ab dem dritten Stück, der ersten Gorillaz-Single „Tomorrow Comes Today“, atmet der auf, der ein strenges Soloprogramm befürchtete. Albarn spielt sich durch fast alle Phasen seiner Karriere. Kurios dabei oft die Auswahl: Statt eines Blur-Krachers spielt er, neben dem anmutigen „Out Of Time“, die ’97er-B-Seite „All Your Life“ Zwar eröffnet er den Zugabenblock mit dem Jahrzehnthit der Gorillaz, „Clint Eastwood“, verwies davor aber mit dem Albumtrack „Slow Country“ auf die Affenbande. Ein Hit und kein Hit. Bei The Good, The Bad & The Queen erzielt diese Formel das Ergebnis „Kingdom Of Doom“ und „Three Changes“. Das Publikum vertraut, streift bei Solo-Songs wie „Photographs (You Are Taking Now)“ Gänsehaut über, schüttelt sie beim Afrobeat von Rocket &Juice & The Moon wieder ab, singt für ein Chormitglied „Happy Birthday“.

Die Bühnengröße ist Albarn, der mehrmals Hauptattraktion beim Glastonbury, dem größten Outdoor-Festival der Welt, war, heute egal. Musik hat sein Ego überholt. Wie wenig ihm am Superstar-Dasein liegt, zeigt er nach der Show, als er schwitzig durchs Publikum schlurft und sich vor der Halle in einem Bierzelt die letzten Minuten des Deutschlandspiels ansieht. Stephan Rehm

SETLIST

Lonely Press Play Everyday Robots Tomorrow Comes Today Hostiles Slow Country Kids With Guns Three Changes You And Me Photographs (You Are Taking Now) Kingdom Of Doom Poison Intermission Hollow Ponds El Mañana The History Of A Cheating Heart Out Of Time All Your Life

Clint Eastwood Mr. Tembo Happy Birthday Don’t Get Lost In Heaven Heavy Seas Of Love

PARQUET COURTS

MUSEUM LUDWIG, KÖLN

So darf, nein, muss Punkrock 2014 klingen.

Wer ein paar Minuten verspätet auf dem Dach des Museums Ludwig angekommen war, hatte schon den ersten Höhepunkt des Abends verpasst. Angekündigt von Veranstalter Jan Lankisch vom Club „King Georg“: Zwei Songs würden Mdou Moctar aus dem Niger und sein Tuareg-Ensemble hier freundlicherweise spielen, knapp zwei Stunden später hatte die Band wieder auf der Bühne des Kölner „Stadtgartens“ zu stehen.

Die Konzertreihe „King Ludwig“, die schon Pavement, Peaking Lights, Tom Tom Club und Kim Gordon in den vergangenen beiden Jahren auf bzw. in den Kölner Kunsttempel gelockt hatte, steht für ein offenes Projekt, das das Publikum auch über neue Räume ansprechen möchte. An diesem Abend rückte die Rock-Welt auf dem Dach des Museums ein paar Meter weiter zusammen: Der trockene Sahara-Blues Moctars war nur ein paar Gesänge und Gitarrenarabesken von den Psychedelic-und Punkrockübungen der schwer gehypten New Yorker Parquet Courts entfernt, die das Hauptprogramm bestritten. Bandleader Andrew Savage gab den hochkonzentrierten Sprechsänger, Kollege Austin Brown den coolen Troubadour aus der Lou-Reed-Gedächtniskirche – zu einem sehr anständigen Gitarrenraspelsound. Mehrheitlich im Dienste des Punkrock aus der Ära Buzzcocks, ab und an aber auch eine brauchbare Gehhilfe für schwer atmenden Blues und leicht versägte Art-Rock-Nummern, die andere wohl besser können als die Courts.

Der Punkrock, wie wir ihn erinnern, schien immer nach einem Raum zu verlangen, in dem das Kondenswasser von der Decke tropfte und die Jungs vorne auf der Bühne dem Rest der Welt ein breites „Fuck you!“ schenkten, just for fun. Flashbacks, befeuert vielleicht noch vom Glänzen in den Augen Terri Hooleys im Film „Good Vibrations“. Die Parquet Courts schlugen ein neues Kapitel auf, ohne alle vorherigen gleich in die Tonne zu treten, sie hatten schon große Open-Air-Bühnen wie Glastonbury eingenommen, in der Kölner Abendluft wurden sie für ein paar Tracks zu Dynamikweltmeistern, immer dann, wenn alle vier Musiker Höchstgeschwindigkeit mit höchster Präzision verbanden. Das waren die Momente, in denen die Köpfchen wippten, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Frank Sawatzki

ARTO LINDSAY

VOLKSBÜHNE, BERLIN

Weich fließender Bossa Nova und schräger Gitarrenlärm: Der König des klugen Krachs führt Gegensätze zusammen.

Der erste Gedanke bei diesem Konzert überrascht dann doch angesichts des Soundgewitters, das dieser Mann mit seiner Band von der Bühne in den Theatersaal schaufelt: Es macht nicht nur großen Spaß, Arto Lindsay dabei zuzuhören, vor allem ist es so wunderbar anzuschauen, wie dieser 61-jährige Klangkünstler schelmisch lächelnd die Saiten seiner Gitarre bearbeitet – beglückt und losgelöst, wie ein kleiner Junge beim Spiel. Wie er sich dort auf der Bühne beim Musikmachen völlig freimacht, seinen Gesang vor lauter Tiefenentspannung zwischen zarten, leisen Melodien und lautmalerischen Lockerungsübungen elaboriert. Lindsay, ein höflicher, ruhiger New Yorker mit schütterem Haar, ausgebeulten Jeans und runder Intellektuellenbrille, ist ein uneitler Bühnen-Arbeiter.

Sein lärmendes Gitarrenspiel hat er sich autodidaktisch angeeignet. Unvermittelt fährt es immer wieder als kreischendes, dröhnendes Noise-Einsprengsel zwischen die warmen, runden Harmonien von Samba-und Bossa-Nova-Klängen -zertrümmert den tropisch hitzigen Groove, nur um ihn im nächsten Moment mit seiner feminin-zerbrechlichen Stimme wieder aufzunehmen. Es sind Klangattacken, die die Brüche, die sie schlagen, zur Kunst erheben.

Arto Lindsay spielt jene abenteuerliche Popmusik, die er gerade auf seinem Doppelalbum ENCYCLOPEDIA OF ARTO veröffentlicht hat. Es sind eigensinnige Klangkonstrukte zwischen seiner „brasilianischen“ und seiner „New Yorker Phase“: In Brasilien ist er aufgewachsen, dort wohnt er mittlerweile wieder die Hälfte des Jahres, und in New York wurde er von Punkrock und Free Jazz beeinflusst mit der No-Wave-Band DNA zum Artpunk und ewigen Experimentierer. Man hört beides: Bossa-Nova-und Tropicália-Klänge, Trommelrhythmen und portugiesische Texte ebenso wie spröde Geräuschabstraktionen und akkordfreien Gitarrenkrach. Alles vermischt und überlagert sich nach einer immer neuen, unsichtbaren, aber präsenten Systematik. Oft fängt Lindsay an zu singen, sanft und federleicht, allmählich kommt Ton um Ton dazu, bis all das Trommeln und Zischen, Klappern und Dröhnen um ihn herumzuwirbeln scheint, wie Insekten um eine Glühbirne. In diesen Momenten scheint alles zu schweben im Raum. Eine tropische Sommernacht dürfte kaum schöner sein. Annett Scheffel