Kosmische Ursuppe von Mutter Natur
"When a man buries a pole m the sand, he automatically creates a sundial and begins to mark time. To begin marking time is to begin creating a culture." (aus dem Film "El Topo" von Alejandro Jodrowsky) "Isn't it good to be lost in the wood?" ("Octopus", Syd Barrett)
Zunächst muss man wohl eins verstehen: Sich zu verlaufen, den Weg aus den Augen und am Ende vielleicht sogar den Verstand zu verlieren – all dies ist das Ziel. „If ain’t about losing your mind / but if you happen to that’s fine“ singt Banhart selbst in seinem Manifest „Freely“ und meint dies freilich ebenso ernst, wie es gleichzeitig nur ein Scherz ist. Nochmal: Man muss verstehen, dass man nicht verstehen kann. Es ist gleich, ob es eine Wüste ist, in der man sich verläuft, oder ein Wald – oder ob man sich im strubbeligen Bart eines Mannes verliert, von dem nicht recht klar ist, ob er sie nicht mehr alle auf der Leine hat oder ob er uns nur glauben lassen will, dass dem so ist. Banharts Kosmos ist ein Dschungel aus seltsamen Zeichen, in dem Andeutungen, Zuschreibungen und Dementierungen den Blick auf einen der aufregendsten Musiker dieser Tage verstellen. So sehr man sich auch vorankämpft: Bei Devendra Banhart muss die Erklärung in der Verwirrung enden. Sein Netz ist meisterhaft gesponnen.
Der Erklärungsbedarf bei Banhart ist enorm hoch, in Europa vielleicht größer als in den USA, wo das Hippietum nie so sehr in Bioläden und Jonglier-Kursen versackt ist. Allerdings: Er sei überhaupt kein Hippie, betont Banhart immer wieder. Sicherlich, weil ihm das Etikett zu simpel ist. Noch mehr jedoch, um Verwirrung zu stiften. Banhart platzt mit seiner Waldschrat-Aura mitten in eine Zeit, in der selbst der Stil-abstinenteste Wursthersteller kapiert hat, woraus sich das Verweissystem von Bands wie Maximo Park oder Interpol zusammensetzt. Und jetzt, wo Punk und Wave in zeitgenössischen Bands endgültig zu Tode archiviert sind, soll man verstehen, womit ein seltsamer Zausel mit lauter Ketten um den Hals seinen musikalischen Setzkasten vollstellt?
Lange schon hat kein Musiker mehr so polarisiert wie der 26-jährige in Caracas unter Yogis aufgewachsene Mädchenmann. Würde Björk den ganzen Tag nur noch auf Stelzen Harfe spielen und dabei Anthony Hegartys alte Schlabberpullis auftragen – die Kontroverse wäre kaum größer als bei einem normalen Kneipengespräch über Devendra Banhart. Das liegt zum Teil daran, dass viele ihn für eine hanfbenebelte Nervensäge, andere ihn für ein bildhübsches Wunderwesen mit hohem Spaßfaktor halten. Noch mehr liegt es jedoch daran, dass manchen der Referenzrahmen seiner Musik allzu willkürlich gestrig erscheint, er für andere aber ein hochgradig freigeistiger Genre-Zusammendenker ist. Das Tolle ist – wie so oft bei Banhart -, dass beides zutrifft.
Banhart ist ein Verrückter, doch wenn man sich ihm in der Annahme nähert, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, hat man verloren. Ebenso, wenn man ihn als Fake oder eitlen Geck betrachtet. Im Gespräch bricht Banhart unerwartet jedes Bild, nachdem er es vorher minutenlang überbedient hat. Wie so oft im Leben hilft Humor weiter: Tatsächlich kommt man beim Verständnis Banharts ein gutes Stück weiter, wenn man seinen Irrsinn als sehr bewusst eingesetzten Humor begreift. Humor der unzynischen Sorte allerdings – vielleicht verstehen ihn deshalb so viele nicht.
Banhart kann zu scheinbar jedem x-beliebigen Thema seine kreative Lampe anknipsen. Ob Hippietum, Sexualität, Hygiene, Drogen, Religion oder persisches Gebirgsheckenspringen – man muss Banhart nur ein Thema vorsetzen, und er legt los. In diesen Monologen offenbart sich aber keineswegs ein drogenverseuchter Spinner, sondern ein großartiges Improvisationstalent, das beim Erzählen selbst oft nicht weiß, wo es landen wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Banhart keinen Knall hätte und sich nicht gerne afrikanisches Wurzelpulver in die Nase schießen würde.
Als musikalische Referenz hat man lange den amerikanischen Folk herbeizitiert, wenn es daran ging, Banhart zu erklären. Und tatsächlich ist Folk – ob nun mit Acid-, Weird-, Freak- oder Psych- als Vorsilbe – noch immer die Ursuppe seines Treibens. Seine Heldin und Patronin ist die englische Folksängerin Vashti Bunyan, die 1970 das Album just another diamond day veröffentlichte und sich danach bis zu ihrer Wiederentdeckung vor einigen Jahren völlig zurückzog. Bunyan singt mit Banhart gemeinsam im Schlusslied seines aktuellen Albums SMOKEY ROLLS DOWN THUNDER CANyon „My dearest friend“. Gerne erzählt er, wie er die Sängerin vor seinem ersten öffentlichen Auftritt um ihren Segen für seine Musikerwerdung gebeten habe. Andere, die Banhart beeinflussten, waren die britischen Zupf-Exzentriker der Incredible String Band und die amerikanische Psych-Folk-Elfe Linda Perhacs.
Längst ist Banhart aber selbst zu einem Paten des Freifolk geworden, der auf seinem eigenen Label Gnomonsong junge Musiker fördert, darunter freakige Eklektizisten wie Jana Hunter, Rio En Medio oder die Band Feathers. Spätestens seit Banharts letztem Album cripplecrow hat er seinen musikalischen Rahmen jedoch enorm ausgedehnt, cripple crow und smokey rolls… sind eklektische Hippie-Gespinste, die sich auf den kalifornischen Autoren-Rock der späten Sechziger (vor allem David Crosbys wunderschönes Album if 1 could only remember my name …, den jungen Neil Young und Joni Mitchell) und auf Tropicälia, die brasilianische Befreiungsmusik solcher Visionäre wie Caetano Veloso oder Jorge Ben, beziehen. Folk, Hippie-Songwritertum, Acidrock und Tropicälia – dies sind im Wesentlichen die vier Säulen, auf denen das akustische Imperium Banharts gegründet ist. Was nicht heißt, dass er nicht auch Glamrock, Soul und Funk und albern gebrochene jiddische Schlager in seinen Klangpunsch einzurühren in der Lage wäre.
Noch weitaus undurchdringlicher als seine musikalischen Galaxien ist das philosophisch-spirituelle Konzept, auf das sich Banharts Freisinn gründet. Auch wenn er immer wieder leugnet, ein Hippie zu sein, zieht sich doch ein geradezu rührender Naturalismus durch seine Äußerungen. Banhart selbst spricht von „Naturalismo“ (abgeleitet von „Tropicalismo“), einem Won, das auch synonym für das Weird-Folk-Movement verwendet wird. Er erklärt es so: „Alles ist ein Produkt der- Natur, selbst die synthetischsten Sachen. Alles hat seinen Quell letztlich in der Natur.“ Das mag simpel gedacht scheinen, doch die Erdverbundenheit Banharts reiht sich ein in eine Weltsicht, die jene Dinge ehrt, die älter sind als wir: die Natur, die Welt, der Kosmos.
Zu Banharts Lieblingsalben zählt der Soundtrack von „El Topo“, einem seltsamen, psychedelischen Mexico-Western des Regisseurs und Philosophen Alejandro Jodrowsky. Es ist davon auszugehen, dass Banhart auch den Film kennt: Ein schwarz gekleideter Revolverheld reitet mit Sonnenschirm und einem nackten Kind auf seinem Pferd durch die Wüste und sucht nach Erleuchtung. Banhart ist dieser einsame Reiter. Und seine Welt ist so verschachtelt und verdreht wie ein Jodrowsky-Film. Und dieser Jodrowsky hat gesagt: „Wenn Kunst keine Medizin für die Gesellschaft ist, dann ist sie Gift.“
>» www.devendrabanhart.com —