Krautrock in Großbritannien
Die erste Euphorie ist dahin. Der Versuch, die ndW auch nach England zu exportieren, stößt auf unerwartete Probleme. Chris Bohn, Deutschland-Experte des "New Musical Express", kommentiert die Chancen und Schwächen der Kraut-Invasion.
Drei Jahre ist es nun her, daß sich die Deutsch Amerikanische Freundschaft, damals noch zu viert, in England niederließ. Sie hungerten sich eine Weile durch, veröffentlichten über alternative Kanäle zwei Platten und kamen so zu einer kleinen, aber enthusiastischen Gefolgschaft. Der große Durchbruch indes wollte sich nicht einstellen. DAF war die erste deutsche Gruppe, die einen ernsthaften Versuch unternahm, sich hier zu etablieren, obwohl sie selbst in ihrer Heimat noch relativ unbekannt war. Insofern war ihr Scheitern in England auch nicht weiter verwunderlich. Es läßt sich leicht nachvollziehen, warum ihre frühe, außergewöhnliche und gewalttätige Musik nie ein kommerzielles Level erreichte. Viel verwunderlicher aber ist es, daß sie es nicht schafften, ihren späteren Erfolg in Deutschland auch bei uns zu wiederholen. Sie sahen – inzwischen ein Duo – phantastisch aus; zudem ließ die Reduzierung von Musik und Text auf ein elektronisches Sequenzer-Pochen und herausfordernde, sexuelle Posen die Sprachbarriere absolut nichtig erscheinen. Vielleicht waren sie einfach nicht mehr deutsch genug. Anstelle der bekannteren DAF landete Trio den ersten britischen NDW-Hit mit „Da Da Da“. Ein dämlicher Titel, zugegeben, aber zumindest war er anders. Und wenn es etwas gibt, wonach das schnell gelangweilte britischen Publikum geradezu dürstet, so ist es die Novität. Für die Briten handelte es sich bei Trio um drei verrückte Krauts, die offensichtlich gewillt waren, dieses Spiel auch mitzuspielen. In einem ihrer Videos marschieren sie durch eine typisch deutsche Kneipe und gesellen sich zu einem Akkordeon-Trio. Abgesehen von den fehlenden Lederhosen paßten sie hundertprozentig in das stereotype Bild, das sich die Briten von einer deutschen Band machten. Wenn die Engländer wirklich einmal massenhaft ausländische Platten kaufen, dann tun sie das nach den gleichen Kriterien, wie sie sich Souvenirs aussuchen. Mit anderen Worten: Sie wollen Kitsch. Natürlich, bei genauerem Hinsehen ist alles doch ein wenig komplizierter, zudem gibt es auch Ausnahmen. An erster Stelle Kraftwerk, die durch ihren Einfluß auf die Entwicklung des britischen Electro-Pop eine besondere Position einnehmen. Und da sie nun einmal in den vergangenen zehn Jahren (wie auch die Tangerine-Dream-Familie) als Synonym für den Begriff „Krautrock“ standen, glaubt in Großbritannien jeder gern, daß sämtliche deutsche Bands Synthesizerorientiert seien. Das Phänomen der Neuen Deutschen Welle könnte bei aller Mittelmäßigkeit und Inkonsequenz vieler Bands, dieses Vorurteil ausrotten. Zum erstenmal passiert es britischen Schallplattenfirmen, daß ihre deutschen Vertragspartner Druck ausüben, damit in Deutschland erfolgreiche Platten auch in England veröffentlicht werden. Ein Phänomen, an das sie nun überhaupt nicht gewöhnt sind. Unter diesem Druck, begleitet von der Angst, irgendetwas zu verpassen, sind erste Fehler schon geschehen. Rückgratlose Verantwortliche der großen Firmen lassen sich darauf ein, deutsche Platten herauszubringen, von denen sie wissen m üßten, daß sie sich nicht verkaufen können. Das eklatanteste Beispiel lietete Ideal. Aufgrund hoher Umsätze in der BRD veröffentlichte die WEA DER ERNST DES LEBENS für ein völlig desinteressiertes englisches Publikum. Joachim Witt und die Krupps sollen folgen. Davon wäre höchstens die Veröffentlichung der Krupps-LP für England sinnvoll gewesen aber nur unter der Voraussetzung, daß die Firma ihre Verkaufserwartungen gedrosselt und die Zielgruppe eher in einer informierten, kritischen Käuferschaft gesehen hätte. Denn auf diesem Level haben sich die Krupps durchaus schon bewährt. Ihre unabhängige Maxi „Wahre Arbeit Wahrer Lohn“ verkaufte sich als Import erstaunlich gut, nachdem BBC-DJ John Peel sich dafür stark gemacht hatte. Es war einfach das, worauf dieses kleine Publikum, das wirklich neugierig auf nicht-angelsächsische Musik ist, gewartet hatte. Das letzte, was die Leute wollen, sind zaghafte Imitationen dessen, was sie längst kennen und wo ein Unterschied allenfalls in der Sprache existiert. Folglich stieß die enttäuschend konventionelle Krupps-LP VOLLE KRAFT VOR-AUS auch nicht auf annähernd starkes Interesse. Das Album hängt genau zwischen zwei Stühlen. Es ist einerseits nicht gewagt genug für die Spezialisten, andererseits ragt es aus dem gängigen Angebot nicht heraus. Die Krupps gehören jetzt eher zu jenem Electro-Pop, vor dem die britischen Charts fast überlaufen. Warum die Krupps hören, wenn man die englisch singenden Heaven 17 haben kann? Folglich ist der Versuch, eine relativ normale Band wie Ideal hier durchzuboxen, auch absolut sinnlos. Gemessen am allgemeinen Standard klingen sie durchschnittlich und uninspiriert. Das Konzert von Liaisons Dangereuses im „Venue“ z.B. war denn auch wesentlich besser besucht als das von Ideal am selben Ort, und sie kamen auch viel besser an. Niemand hier hatte zuvor solche Klänge gehört: exotische Tanzmusik voller Überraschungen, gleichermaßen abgehackt wie attraktiv. Terminlich passend, brachte Daniel Millers Mute-Label (auf dem auch schon „Kebabträume“ und DIE KLEINEN UND DIE BÖSEN von DAF sowie „Fred vom Jupiter“ von den Marinas erschienen) die Single „Los Ninos Del Parque“ heraus. Die England-Besuche der Frauenband Malaria erlebten allerdings nicht so großen Zuspruch wie ihr letztjähriges Konzert in New York; vielleicht, weil ihre herben, solide geschmiedeten Songs nicht mit dem in Britannien gepflegten Mythos eines dekadenten Berlin konform gingen. Immerhin: Sie haben eine Session für John Peels angesehene Radio-Show eingespielt, ihre Singles laufen über die Importschiene ganz passabel. Die eher unberechenbaren und lustigen Palais Schaumburg könnten die bislang einflußreichste Band werden. Nicht zuletzt, weil sie einige Produktions-Probleme gelöst haben, die so viele potentiell gute deutsche Platten verderben. Obwohl Phonogram die englische Option für die erste LP nicht wahrgenommen hat, wurde das Album vom Kamera-Label veröffentlicht. Die Kritiken waren unterschiedlich. Sie sind eine der wenigen deutschen Gruppen (vergleichbar ABC oder BEF) mit einem hochentwickelten Pop-Verständnis. Ebenso wie das exzellente Atatak-Label gehen sie ihren Weg, ohne dabei an Integrität und Verstand zu verlieren. Ihre innovative Annäherung an den Dadaismus wird (muß!) letztendlich über bloßes „Da, Da, Da“ siegen. Abwärts, Wirtschaftswunder, Der Plan, Pyrolator, Die Haut, S.Y.P.H., sie alle haben ihre kleinen, eingeschworenen Gefolgschaften – nach Extrabreit, Rheingold, Peter Maffay oder der Spider Murphy Gang hingegen kräht kein Hahn. Der Erfolg des Neuen Deutschen Pop ist ohnehin eine Frage der Sehweise: Entweder man mißt ihn an den Umsatzziffern oder aber an den Veränderungen, die er auslöst. Chris Bohn