Krauts With Attitude
Holsteinische Hustler? Bayrische B-Boys? Yo! Deutschland hat den HipHop entdeckt. Und diesmal sogar den deutschen
Jahre Nachdem die Street & Hip-Hop-Kultur den Atlantik überquerte, Jahre nachdem in England, Schweden und sogar Frankreich die ersten nationalen HipHop-Sampler erschienen, platzt nun plötzlich auch der hiesigen Szene der Kragen. Und gemeint sind diesmal nicht GIs und Ami-Rapper wie Turbo B. oder Cowboy von Splash, gemeint sind deutsche HipHop-Gruppen wie L.S.D. aus Köln, Lyrical Poetry aus Bremen, State Of Departments aus Braunschweig, Raw Deal aus München oder Die Fanstastischen Vier aus Stuttgart, übrigens die erste deutschsprachige HipHop-Band, die unlängst bei einem Platten-Major unterschrieb. „Die Ärzte des Hip-Hop“, heißen sie bereits in der Szene. „Wenn die einen Hit haben“, glaubt Philippe Hulin von Raw Deal aus München, „dann kommen plötzlich alle Firmen aus den Löchern und lachen sich einen deutschsprachigen HipHop-Act an. Das könnte den tödlichen NDW-Effekt haben.“
Bis dahin werden allerdings noch einige Reime den Rhein runter gehen. Anlaß zum Optimismus bietet immerhin der erste deutsche Hip-Hop-Sampler „Krauts With Attitüde“, mit dem ME/Sounds-Mitarbeiter Michael Reinboth einen ersten Überblick über die deutsche Rap-Szene gibt. Der Standard der 14 Bands ist hoch, in einigen Fällen sogar erstklassig. Man rappt in deutsch oder englisch über Zuhälter, Gewalt, Rösner, den Großstadt-Dschungel oder andere gefährliche Welten wie Frauen oder Aliens.
Wirklich überall kommen sie her, selbst Augsburg (Individual Concern) und Bielefeld (N-Factor) hat seine Rap-Crew mit Anhang (der sogenannten „Posse“). Jahrelang haben sie sich auf den ,Jams“ (so heißen die HipHop-Veranstaltungen mit DJs, Breakdance, Sprayern und Live-Rapping) getroffen, Reime ausgetauscht oder sich — cool gekleidet in Raiders-Kutten, Stüssy-T-Shirts oder Ice-T-Pudelmützen — auf die flache Hand geklatscht. Solche Hip-Hop-Meetings finden meist in giößeren Jugendzentren oder Gemeindesälen statt, und es reisen, wie neulich in Hannover, tausende Posses aus allen Winkeln der Nation an. Haupt-Kommunikationsnetz für Jams, Platten oder auch angesagte Turnschuh-Marken sind dabei die drei deutschen Fanzines „In Füll Effect“, „Rap Nation“ und „Hype!“.
Warum HipHop in Deutschland so spät zündet, hat diverse Gründe.
„Was hier fehlte, ist eine funktionierende Infrastruktur“, beklagt Götz Gottschalk von der Gruppe Exponential Enjoyment aus dem Raum Solingen/Wuppertal. „Wir sind bei einer Firma (veraBra) unter Vertrag, die eigentlich eher Jazz und Ethno verkauft. Tja, müssen wir mit leben. Schließlich haben wir hier kein Brooklyn oder South-Compton. Die kulturellen Widersprüche, die es in Teilen des Rhein/Ruhr-Gebiets ja durchaus gibt, müssen erstmal verarbeitet werden. Wir müssen uns auf einen eigenen Stil besinnen. „
Exponential Enjoyment arbeiten derzeit an einer Mini-LP mit einigen Wuppertaler Jazzern, darunter Deutschlands bekanntestem Freejazzer Peter Brötzmann. Der Gruppe Legally Spread Dope (L.S.D.) aus Bonn/Köln gelang es sogar, ein deffes Stück mit Funk-Legende Maceo Parker aufzunehmen, das sich mit jeder gehobenen US-Produktion messen kann. Trotzdem fehlen aber vor allem Studiofreaks und Produzenten, die HipHop adaequat umsetzen können. Doch inzwischen haben sich die Homeboys mit ihren PCs und Samplern soweit angefreundet, daß sie selbst in der Lage sind, boomende Bässe und harte Beats zu produzieren.
Das ist allerdings nur ein Grund, warum der Untergrund an die Oberfläche kommt. Mit der Zeit merken auch die etablierten deutschen Plattenfirmen, daß zu HipHop nicht ausschließlich ein rappender Neger und drei tanzende Tussies gehören.
Gegen soieh rigide Vermarktung wehrt sich die aufkeimende Szene zurecht. Klischees und Grenzen faulen schließlich überall. ^Nationalität und Hautfarbe sind doch scheißegal, HipHop ist ein Lebensgefühl“, betont Phillipe Hulin von Raw Deal Wie er, so finden alle deutschen B-Boys und Fly Girls, daß es verdammt Zeit wird. L .ebensgefühl und Beats mit den Amis und Engländern auszutauschen. Geimany is gellin busy! Oder um’s mit den Fantastischen Vier zu sagen: „Jetzt gehts ab!“