Leben Nach Nirvana


Nach dem Ende der Legende gründete Dave Grohl die Foo Fighters. Nun geht auch sein Kumpel Krist Novoselic an den Start

Nach dem Tod von Kurt Cobain im April ’94 standen Dave Grohl und Krist Novoselic vor dem Nichts. Dabei verbindet die beiden nicht nur das Schicksal, Teil der vielleicht wichtigsten Band der 90er Jahre gewesen zu sein. Auch ihre Zukunft gestaltet sich ähnlich: Die einstigen Wasserträger des Genies Cobain treten nunmehr selbst ins Rampenlicht – als Gitarristen, Sänger, Songwriter.

Der eine (Grohl) wagte diesen Schritt bereits vor zwei Jahren und war bislang durchaus erfolgreich. Der andere (Novoselic) schien lange Zeit desorientiert und fand erst spät zurück zur Musik. Als Aktivist gegen die zunehmende Zensur subkultureller Errungenschaften durch den amerikanischen Kongress engagierte er sich für die Änderung und Regulierung von Gesetzen, organisierte Festivals, Kundgebungen und Diskussionsrunden. An der Seite der Südamerikanerin Yva Las Vegas präsentiert er nun unter dem Bandnamen Sweet 75 einen Stilmix, der mit Grunge, Punk oder Rock nur noch bedingt zu tun hat. Vielmehr bietet das gleichnamige Debüt, das im Juli erscheinen soll, eine spleenige Melange aus Country, Lounge-Musik, Folk-Songs und ein wenig Power-Pop. Novoselic wechselte vom Bass zur Gitarre, während Bill Rieflin (Ministry) die Drums übernahm, Herb Alpert die Trumpete schmetterte, R.E.M.’s Peter Bück zur Mandoline griff und die Tonight Show Band als Bläser-Sektion fungierte.

Klingt das bizarr? Gut, denn genau das ist es, was Novoselic vorschwebt. „Ich wußte lange Zeit nicht, was ich mit meinem weiteren Leben anfangen soll. Doch jetzt liegt mir alles daran, dieses Album zu komplettieren und den Leuten zu zeigen, daß ich nicht länger in der Vergangenheit lebe.“

Grohl ist und bleibt ein Punk-Rocker, der mit seinem neuen Album „Colour & The Shape“ zwar nach anderen Ausdrucksformen sucht, aber doch immer wieder auf die Kraft der drei Akkorde zurückgreift. Und gerade deshalb wird er das Nirvana-Etikett so schnell nicht los. „Ich bemühe mich einfach, nach vorn zu blicken. Sich heute mit Nirvana auseinanderzusetzen, ist fast so, als ob du dein Tagebuch oder Photoalbum aufschlägst. Es kann manchmal sehr lustig sein, gleichzeitig lähmt es dich aber auch in deinem Vorwärtsdrang.“

Überhaupt sind sich Grohl und Novoselic auf eine bestimmte Art sehr ähnlich: Sie sind musikbesessene Endzwanziger, die sich nach Leibeskräften mühen, das Tor zu einer neuen Identität aufzustoßen. „Noch ehe ich das erste Foo Fighters-Album aufnahm, wußte ich, wie die Leute reagieren würden: ‚Es hat diesen fetten Drum-Sound, eine verzerrte Gitarre und einprägsame Melodien. Insofern muß es ja wie Nirvana klingen'“, ereifert sich Grohl. „Dabei mußt du nur fünf bis zehn Jahre zurückblicken und dir all die Bands anhören, die im Grunde genau dasselbe gemacht haben. Ich meine, es gibt keine Nirvana-Musik. Doch das wichtigste ist: Es ist die Musik, die mir etwas bedeutet. Was soll ich dagegen machen? Soll ich etwa ein Reggae- oder sogar ein Jazz-Album aufnehmen?“

Dabei ist Grohl ganz der clevere Autodidakt, während Novoselic eher den introvertierten Intellektuellen gibt. Schließlich hat er seine Formation nicht umsonst nach einem Gedicht von Theodore Roethke benannt, während UFO-Freak Grohl auf ominöse Lichtreflektionen aus dem zweiten Weltkrieg zurückgriff. Und während Novoselic die Halbwertszeit seines Gebräus erst noch unter Beweis stellen muß, hat Grohl schon zweimal zugeschlagen. „Krist macht es wahrscheinlich genau so, wie es eigentlich sein sollte“, grübelt Grohl. „Er ist viel unterwegs und hat einfach eine tolle Zeit, ehe er der Öffentlichkeit etwas gibt, was sie inspizieren kann. Dadurch wachsen Sweet 75 auch als Band, ehe sie in diese Maschine geworfen werden. Ich meine, er hat die richtige Entscheidung getroffen.“

Der Fluch von Nirvana wird also auch weiter auf Grohl und Novoselic lasten, aber so schlecht lebt es sich damit ja auch nicht. Würden ihre Alben sonst so viel Aufsehen erregen? Wohl kaum. So spicht Novoselic mit Blick auf Sweet 75 auch nur von seiner „zweitbesten Band“.