Leber Tance
Im Reich der Sinne sind fünf Kölner König. Mit Psycho-Power taumelt Rausch gegen die Nüchternheit der Welt zu neuen Bewußtseinsebenen. ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer suchte den Kater nach dem Rausch und fand dabei eine Leber in Trance.
Am Anfang war das Wort.
„Rausch: ein aufs höchste gesteigerter, meist als beglückend erlebter emotionaler Zustand, der durch erregende Erlebnisse oder durch Rauschmittel hervorgerufen wird.“
Brockhaus, Band fünf. Peter Sarach, Rausch-Fachmann und -Sänger weiß es besser. Er doziert über den Rand seines Weinglases: „Rausch hat drei Seiten, eine gute, eine schlechte und dann noch viele, viele andere.“
Das Wort, der Zustand, die Musik. Fünf Wahl-Kölner arbeiten seit drei Jahren an der perfekten Symbiose. Am 1.1.1988 startete das Lustprojekt unter dem Namen „Mush & The Rooms“ zur herkömmlichen Odyssee. Demoaufnahmen, Telefonterror und Briefberge, Arbeit an der ersten LP und die Entscheidung: „Die Platte klang so gut, da konnten wir nicht bei diesem dämlichen Namen bleiben. “ Die letzte Konsequenz lag in sechs Buchstaben und wurde zum Rausch-Programm: „Durch den Namen sind uns viele lustige Sachen passiert. Wir haben angefangen, uns mit der Poesie und der Philosophie, die hinter diesem Won steckt, auseinanderzusetzen, und haben auch viele Leute kennengelernt, die darüber geschrieben haben, wie Timothy Leary zum Beispiel.“
Seither verfolgt Rausch ein zielgerichtetes Projekt: „Wir arbeiten gegen die von außen gesteuerte Rauschunterdrükkung. Heute wird alles immer enger mit dem einzigen Plan, die Leute von der Ekstase, vom Ritual und vom Rock ’n‘ Roll wegzuholen. Die meisten Leute nehmen ihre Welt sehr ernst, und sie würden auch dafür töten, sie durchzusetzen, Was kann ich da anderes tun, als sie durch den Kakao zu ziehen. „
Schweigend selbstverständlich, fast lautlos, wechselt ein dezenter Ober die geleerte Weinflasche, wir heben die Gläser. Peter („Die meisten Leute sehen mich als Wilden, Träumer oder Barbar.“) will ansetzen zum zweiten Teil seines Vortrags. Bassist Rolf rettet von der Seite, bevor das Gespräch abhebt ins freie Assoziieren über außergewöhnliche Bewußtseinszustände: „Frag jetzt bloß nicht, ob wir was mit Drogen zu tun haben, diese Frage stinkt uns nämlich wirklich mittlerweile an. “ Gott bewahre, noch gibt es gewisse Unterschiede zwischen Angehörigen des Rauschgiftdezernats und Musikjournalisten. Auf gemeinsam alkoholisierter Basis finden wir den professionellen Konsens: „Rausch ist die Kraft der Musik, an die glauben wir mehr als an die Kraft der Reden irgendeines Politikers. Wir sind keine Super-Revolutionäre, aber wir nehmen auch kein Blatt vor den Mund. Wir machen, was wir wollen, und laufen keinem musikalischen Stil hinterher. In schwarzen Lederjacken einen auf Metal-Guru zu machen wäre uns schlichtweg zu langweilig.“ Mit dieser Einstellung avancierte Rausch denn auch letztes Jahr zu einer der heißumworbensten Band Deutschlands. Dir zweites Album GLAD rechtfertigt den Preis, den eine Kölner Major-Firma schließlich hinblätterte: elektrisierender Rock ’n‘ Roll, breite Hymnen, düstere Neuzeitvisionen. Geräuschgewitter und Drumcomputer haben vor allem eines gemein — die Intensität, mit der ihre Erzeuger musikalisches Grenzland beschreiten. Partyrock a la „Get Stoned“ arbeitet dabei genauso für die Sache wie schleppende Brutalo-Beats in „Let The Machines Work“.
Die Ideen sind frei und bei Rausch sprudeln sie ungehindert wie aus einer deckellosen Öl-Quelle: „Eigentlich ist jeder von uns ein Solo-Künstler, der am liebsten seinen eigenen Trip durchziehen würde, wir konnten uns nur im Rausch einigen.“ Peter Sarach hat siebzehn Jahre seines Lebens in Spanien verbracht, spielte dort Bob Dylan-Songs für deutsche Touristen und flüchtete erst vor ein paar Jahren vor der fettleibigen Ignoranz nach Köln. Lakonischer Kommentar von Bassistenseite: „Acht Jahre Franco sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen. “ Der Viersaiter Rolf le Ukel lebt neben der Musik noch sein bildnerisches Künstlertum aus. (Peter: „Ich glaube, der hat letztes Jahr auch mal ’ne Ausstellung gemacht in Zürich, oder so.“j. Gitarrist Eddy van Eider ist Holländer, Kollege M. T. stammt aus Hannover und “ hat früher sogar mal bei 96 Fußball gespielt“ und Schlagzeuger Wally Düse ist „unser Chefmusiker, der kann alles spielen.“
Trifft sich diese illustre Mischung zum gemeinsamen Musizieren, spielen sie einfach drauf los. „Dabei entstehen Sounds und Melodien, die den Inhalt des Songs direkt in den Kopf fließen lassen. Der Text ergibt sich dann fast von selber.“ Meist live erprobt, wandern die Spontanwerke irgendwann ohne Umwege auf Vinyl und paaren sich dort mit ausgeklügelten Kiangexperimenten.
„Ich arbeite auf beiden Ebenen gerne, es kommt auf das Thema des Songs an. Manchmal braucht man Zeit zum Feilen, braucht Konzepte und Elemente, die gewisse Signale geben, oder als Klanggebilde symbolhaft wirken und manchmal ist die rohe Gewalt einfach besser. “ Rausch-Lieder sind kleine Filme, die Mittel beugen sich dem Zweck. Deswegen findet sich auf „Get Stoned“ ein Rap-Part, liefert F. M. Einheit für „Let The Machines Work“ die passende Geräuschkulisse, zupft Steve Miller-Gitarrist Les Dudek die Slide-Gitarre. Rausch lebt die Kunst einfach nach persönlichen Regeln, und das sind die einfachsten und gleichzeitig seltensten, die das Geschäft kennt: „Rausch heißt Neues entdecken, Spaß haben und anderen Leuten Spaß bringen. Es muß ein paar Leute geben, die sich genauso gern berauschen lassen wie wir, sonst würde niemand auf unsere Konzerte kommen.“ Schließlich fährt Rausch den halben Weg zum Erfolg auf der Live-Schiene, bucht fünf Tage in kleinen Clubs und überzeugt lieber vor Ort als durch großangelegte Promotionkampagnen. „In Paris haben wir uns quer durch die Clubszene von Montmartre gespielt, am ersten Abend waren siebzig zahlende Gäste da, am letzten Abend siebenhundert. „Bei soviel Basisarbeit ist es nur liebenswert, wenn Peter beglückt lächelnd über den Verlauf ihrer Karriere meint: „Alles kam einfach so, das ist wie zaubern, du hast irgendwelche Visionen, Phantasiebilder, und die klinken sich dann halt irgendwann mal in die Realität ein. „
Wenn der sanftmütige Sänger auf der Bühne tobt, als ginge es um sein Leben, müssen es andere Visionen sein, die die Ekstase zum Höhepunkt treiben:
„Ich schlüpfe in die Rollen der Lieder, um dabei alle Gemeinheiten, die in ihnen sind, auch ‚rüberzubringen. Vielleicht kriegen die Leute manchmal Angst vor mir, aber ich brauche diesen Wahn auf der Bühne, um nicht jetzt und hier Amok zu laufen. Die Leute verstehen doch nur noch Gewalt, da ist es besser sie holen sie sich von irgendeiner Bühne, als sie selber auszuleben. Und wenn es sein muß, ziehe ich mich auch aus, oder wichs mir einen.“
Daran kann auch der Wechsel aus dem Indie-Lager zur Industrie nichts ändern:
„Die müssen auf unsere Ideen eingehen, weil die einfach besser sind als ihre. „Den ersten Härtelest haben die neuen Geldgeber schon bestanden. In limitierter Auflage erschien als Vorbote zur neuen LP „The Indie-(A)-Collection“,ein Sechs-Single-Paket mit Live-Mitschnitten, Cover-Versionen, Neubearbeitungen und Neuvorstellungen in hübsch aufwendiger, bunter Verpackung. „Wir wollten mal sehen, was wir mit denen so machen können.“ Ergebnis: Graue Haare bei den Vertriebs-Leuten, denn für sechs Singles als Paket gibt es keinen Bestellnummern-Code. Die Firma ist dennoch berauscht, sehr zur Freude der Band: „Wir sind unabhängier denn je, schließlich haben wir jetzt die nötige Kohle, um unsere Ideen durchzuziehen. Wenn wir spinnen wollen, dann richtig.“