Lord Folter: Ein Rapper, ohne Rap sein zu wollen
Wenige Deutschrapper*innen werden und wurden mit so viel Respekt und Anerkennung für ihre lyrischen Leistungen betrachtet, wie Lord Folter. Er starb mit 31 Jahren.
Am 17. Februar ist Julian Wachendorf alias Lord Folter verstorben. An den Folgen eines Hirntumors, wegen dessen er sich bereits Ende 2021 einer Operation unterzogen hatte. Auf seinem Spotify-Profil hat sich der Rapper selbst folgendermaßen vorgestellt: „Lord Folter, Biest im Nebelmeer, Antagonist der Herzen, Protagonist der Schmerzen, Julius Angst, Bube auf der Nebelbank oder Winterkind im Lederwams“. Sprache ging dem Künstler, der 1992 in Hennef geboren wurde, offenbar sehr nah.
Freie Kunst
Als seine Rapkarriere 2015 begann, studierte Julian Wachendorf noch Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf. Eigentlich mit einem Fokus auf Videoinstallationen, Skulpturen und Performance. Ein Werk aus dieser Zeit hat den Künstler bis zur Veröffentlichung seines letzten Albums FARCE im Jahr 2022 begleitet: eine Videoaufnahme, auf der er sich in einem Tümpel in den Wäldern rund um seine Heimatstadt fallen lässt. Der Moment kurz vorm Aufprall ist dann zum Cover der Platte geworden, auf der er auch die Diagnose „bösartiger Hirntumor im Sprachzentrum“ verarbeitet hat. Entstanden ist sie vor und nach der Operation im Dezember 2021.
2020 hat er die Großstadt, in der studierte und nebenher in einer Buchhandlung jobbte, verlassen, um mit seiner Familie zurück aufs Dorf zu ziehen. Als Begründung für diesen Schritt gab er an, dass ihn die urbanen Eindrücke auf Dauer überlasteten, er in der Ruhe besser arbeiten könne. Kunstakademie, Bücherhandlung, zurück ins Dorf, all das transportiert auch, dass Wachendorf weit neben dem Kern der hiesigen Rap-Szene agiert hat.
Und dann Deutschrap?
In einer Reihe von Interviews kam er immer wieder darauf zu sprechen, dass die lifestylezentrierten Themen im Mainstream ihn eher abstoßen. Auch die transportierten Männlichkeitsbilder, der Umgang mit Drogen und der stetige Sexismus waren ihm zuwider. Trotzdem hat er gerappt. Sich an einer sprachlichen Kunst beteiligt, ohne sich ihren Codes unterwerfen zu wollen.
Trotz Imagerap-Skepsis lieferte Lord Folter mit seinem 2020 erschienenen Song „Peacemaker“ einen lyrisch mehr als ernstzunehmenden Beitrag zu dessen Geschichte. In dem er sich gleichzeitig emotional mit seinem Vater befasst.
„Chefsache, baller Paraphrasen aus der S-Klasse, 100 Gramm in der Hérmes-Tasche, Weltklasse Flex aus der Heckklappe, erst fliegt die Rolex dann die Rechte mir egal ob er Recht hatte.“ Heftiges Gespitte nennt man das in der Fachsprache – und nach der Hook dann, ohne mit der Wimper zu zucken: „Den Hunger stillen aus der Blechpappe, schwarze Pisse in der Sektflasche, morgens gibt es gar nichts und zum Abendessen Stechapfel, Du wirst nichts ohne die drecks Patte, ob mein Alter Recht hatte? Chefsache, keine Messlatte, glaub ihm kein Wort, auch wenn er Recht hatte, in der Garage verrottet die alte S-Klasse.“ Aus jugendlichem Leichtsinn und übertriebener Coolness werden Dreck, Kater, Reue und Trotz, aber die S-Klasse bleibt.
Lord Folter hat Kunst studiert und sich entschieden Rap zu machen. Womit es wieder um seine Sprache geht. Um den fragmentarischen, stark assoziativen und teilweise abstrakten Textkorpus, den er in insgesamt sechs Alben und zwei EPs geschaffen hat. Mit seiner Entscheidung hat er Zuhörer*innen Einblick auch in jene Art Gedanken gegeben, die ihn 2015 dazu gebracht haben, sich in diesen Tümpel fallen zu lassen. Und sich dann wieder aufzurichten, die Kamera abzubauen, die SD-Karte zu exportieren und das Ganze schließlich an irgendeine Wand in Düsseldorf zu projizieren. Mit dem Kopf voran in Rap und irgendwie ist dabei Kunst entstanden. Er selbst nannte sich einmal „Texter mit HipHop-Hintergrund“.